Ein Jugendlicher hält eine grüne Platine mit verschiedenen Drähten und farbigen Leuchtdioden in die Kamera.
©Universität des Saarlandes / Foto: Oliver Dietze
30.06.2023 VDE dialog

Junge Talente: Früh übt sich...

...was ein Meister werden will – so sagt der Volksmund. Und das gilt für künftige Ingenieure erst recht. Das Problem: Zu viele junge Menschen wollen weder das eine noch das andere werden. Sowohl in der elektrotechnischen Ausbildung als auch beim Studium der Elektro- und Informationstechnik gehen die Zahlen dramatisch zurück. So wird die „All Electric Society“ nicht gelingen. Wie kann man mehr Nachwuchs gewinnen?

Von Martin Schmitz-Kuhl

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VDE dialog - Das Technologie-Magazin

Die Ziele sind ehrgeizig: Deutschland will, nein, Deutschland muss bis 2045 klimaneutral sein. Spätestens. Das ist das Minimum, um zumindest einen relevanten Beitrag zum Verlangsamen der Klimaerwärmung zu leisten. Um die Politiker daran zu erinnern, dass dafür endlich die richtigen Maßnahmen eingeleitet werden müssen, gingen jeden Freitag Tausende junger Leute auf die Straße. Fridays for Future und ihr Kampf zur Rettung der Welt war das bestimmende Thema im Jahr 2019 – bis im folgenden Jahr mit der Corona-Pandemie ein neues Thema die Schlagzeilen beherrschte. Und heute? Das Virus ist kein Thema mehr, doch die jungen Leute sind inzwischen nur noch selten auf der Straße, um eine andere Klimapolitik einzufordern. Viele sind frustriert, weil zwar Maßnahmen ergriffen und vor allem versprochen wurden, diese aber bei Weitem nicht ausreichen werden, um die gesteckten Ziele zu erreichen.

Und wo sind die Schülerinnen und Schüler, die damals einen Großteil der Demonstrierenden ausgemacht haben, nun? Sicher ist nur, wo sie nicht sind: Nämlich in den Seminarräumen und Hörsälen der Republik, um Elektro- und Informationstechnik zu studieren. Trotz bester Zukunftsaussichten für Elektroingenieure sinkt die Zahl der Studieneinschreibungen seit Jahren stetig. Nur noch 3,5 Prozent aller Abiturienten entschließen sich für ein Studium der Elektrotechnik, damit hat das Fach innerhalb von zehn Jahren gut ein Drittel an Beliebtheit verloren. „Das ist dramatisch und sollte uns aufrütteln“, mahnt Dr. Michael Schanz, Arbeitsmarktexperte des VDE. Dem Bedarf von rund 20.000 Stellen pro Jahr stehen bereits heute nur noch rund 8.000 Studierende gegenüber, die ihr Studium erfolgreich abschließen. Das eine – Klimawandel – hat dabei durchaus etwas mit dem anderen – Rückgang der Studierendenzahlen – zu tun. Vielleicht mehr, als manch einem und einer in der Fridays-for-Future-Bewegung bewusst ist. Denn ohne Elektroingenieure wird es keine Energiewende geben. Und auch keine Wärme-, Ressourcen- oder Mobilitätswende, weil die hierfür benötigten informationstechnischen und mikroelektronischen Schlüsselkomponenten nicht entwickelt werden würden. Klimaneutralität – zumindest, wenn sie sich nicht allein auf Verzicht und Askese gründen soll – wird nur gelingen, wenn die dafür nötigen Technologien entwickelt und dann schnell und zügig implementiert werden. Ohne die entsprechenden Fachkräfte wird dies jedoch nicht gelingen – was derzeit zum Beispiel beim Thema Wärmepumpen schmerzhaft deutlich wird.

Schülerlabor

Ob gemeinsame Projekte oder eigene Experimente: Im Schülerlabor SinnTec an der Universität des Saarlandes schärfen Kinder und Jugendliche ihren Sinn für Technik und lernen technische Sinnesorgane, ihre Funktionsweise und mögliche Anwendungsgebiete kennen.

| ©Universität des Saarlandes / Foto: Oliver Dietze

MINT-Förderprogramme gibt es reichlich – doch das ist nicht genug

Um junge Menschen – und hier insbesondere auch Mädchen – an diese Themen heranzuführen, ist es daher wichtig, sie so früh wie möglich dafür zu gewinnen und Interesse zu wecken. Das weiß natürlich auch die Politik und das auch schon seit langer Zeit. Bereits seit Jahren steht die sogenannte MINT-Förderung – also die Förderung der Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – hoch im Kurs. Erst kürzlich betonte Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger: „Um die großen Herausforderungen der Zukunft wie Klimawandel und Digitalisierung zu meistern, müssen wir mehr Kinder und Jugendliche für MINT begeistern.“ Im vergangenen Sommer verkündete sie hierzu den MINT-Aktionsplan 2.0. In diesem bündelt ihr Ministerium die MINT-Bildungsförderung. Hierzu zählen neben der Initiative „Haus der kleinen Forscher“, Schülerwettbewerben wie „Jugend forscht“, der bundesweiten Geschäftsstelle „MINTvernetzt“ und der Kommunikationskampagne „#MINTmagie“ vor allem die sogenannten MINT-Cluster. Mit diesen Clustern sollen kreative Lernorte und niedrigschwellige, außerschulische Bildungsangebote geschaffen werden. 53 sind es derzeit, 15 bis 20 weitere sollen jetzt hinzukommen. „Dafür stellt mein Haus über fünf Jahre insgesamt zwölf Millionen Euro bereit“, so die Ministerin.

So bemerkenswert dieses Engagement ist – Bildung ist in Deutschland vor allem Ländersache –, ist es doch nicht viel mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Oder anders formuliert: Das Thema MINT-Förderung hat in Deutschland noch nicht den Stellenwert, den es in Anbetracht der dramatischen Situation haben müsste. „Das aktuelle MINT Nachwuchsbarometer zeigt, dass wir in Deutschland unsere Anstrengungen, junge Menschen für MINT-Fächer zu begeistern, dringend weiter verstärken müssen“, sagt deshalb auch Prof. Dr. Christoph Meinel, Direktor des Hasso-Plattner-Instituts und Vorsitzender des Vereins MINT Zukunft. „Dabei kommt Schulen eine besondere Bedeutung zu, wird doch hier die Basis für die MINT-Kompetenzen gelegt und Schülerinnen und Schülern die Freude am Gestalten der realen und virtuellen Welt nahegebracht.“

Junge Talente: Von der Straße in den Hörsaal!

VDE Präsident Alf Henryk Wulf

VDE Präsident Alf Henryk Wulf

| Sarah Kastner / VDE
30.06.2023 VDE dialog

Ein Appell von VDE Präsident Alf Henryk Wulf

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Elektrotechnik ist unter den MINT-Fächern schlecht repräsentiert

Allein: Gerade in den Schulen sind die Zukunftsaussichten für MINT alles andere als rosig. So fällt der Lehrkräftemangel in den MINT-Fächern noch mal deutlich höher aus als in anderen Fächern. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass viele MINT-Lehrerinnen und -Lehrer in den Ruhestand gehen, zum anderen nimmt aber auch bei den Lehramtsstudierenden die Zahl derjenigen ab, die so ein Fach belegen wollen. Hinzu kommt, dass viele auch hier ihr Studium abbrechen: Vergangenes Jahr veröffentlichte beispielsweise die Uni Potsdam, dass von den 42 jungen Leuten, die dort 2015 ein Lehramtsstudium der Mathematik aufgenommen hatten, jetzt nur neun einen Abschluss gemacht haben, von den 17 Physikanfängern waren es gerade einmal zwei. Auch Quereinsteiger können diese Lücke kaum füllen, zumindest nicht in der nötigen Qualität. Denn während es vielleicht noch genügend arbeitslose Künstler oder Musiker gibt, die zwar keine pädagogische Ausbildung haben, aber doch zumindest die inhaltliche Kompetenz mitbringen, um die entsprechenden Fächer sachkundig und versiert unterrichten zu können, ist es in Mathematik, Informatik oder den Naturwissenschaften grundlegend anders: Dort ist der Arbeitsmarkt ohnehin leer gefegt, allenfalls Rentner können hier für den Dienst an der Schulbank rekrutiert werden.

Der VDE Arbeitsmarktexperte Michael Schanz weist noch auf ein weiterführendes Problem hin: „Bei MINT-Projekten spielt die Tätigkeit von uns Elektroingenieuren oft keine oder eine sehr untergeordnete Rolle. Und wenn doch, wird sie für tolle Beispiele herangezogen, aber nicht benannt.“ Während beim englischen MINT-Pendant STEM (Akronym von Science, Technology, Engineering und Mathematics) die Ingenieurwissenschaften sogar ausdrücklich genannt werden, droht die Elektrotechnik – als ein Teilbereich von „T“ – bei MINT-Aktivitäten vernachlässigt zu werden, befürchtet Schanz. „Obwohl es doch gerade wir sind, die den Umbau zu einer ,All Electric Society‘ bewerkstelligen können und müssen.“

Junge Talente: Best Practice im Saarland

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Dr. Andreas Schütze im Schülerlabor

| ©Universität des Saarlandes / Foto: Oliver Dietze
30.06.2023 VDE dialog

Für den Vorsitzenden des VDE Saar, Prof. Dr. Andreas Schütze, ist die Nachwuchsförderung kein Thema unter „ferner liefen“, sondern ein wichtiger Schwerpunkt seiner Arbeit.

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Zerrbild von der Arbeit in der Elektro- und Informationstechnik

Wohin dies führen kann, zeigt eine Studienreihe zum Thema „Das Image der Elektrotechnik“, die das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) in Kooperation mit dem VDE jüngst veröffentlicht hat. Dabei kam heraus, dass Jugendliche in der Regel keine Ahnung haben, was ein Elektroingenieur tatsächlich macht. „Elektrotechnik ist für die große Mehrheit ein unbeschriebenes Blatt, über das man als mögliches Studienfach schon gar nicht nachdenkt“, heißt es in der Studie. So glaubten die meisten der befragten Jugendlichen, Elektrotechnik sei eher ein Handwerk, in dem Dinge gewartet und repariert werden würden. Zudem sei es ein Beruf, bei dem man alleine vor sich hinwerkelt und nicht mit anderen Menschen zusammenarbeitet. Außerdem unkreativ und langweilig, nichts, bei dem man etwas wirklich Bedeutsames machen würde. „Auch wenn Ingenieure in der jugendlichen Perspektive selbst eher ein Zerrbild dessen sehen, was ihre Arbeit in der Realität auszeichnet, dürfen wir uns nicht wundern, wenn dann niemand mehr Elektroingenieur werden möchte. Es hilft nicht, wenn wir uns nur selbst gut finden“, so Schanz.

Anstrengungen verstärken – mit Wettbewerben und Aktionstagen

Dass es auch anders laufen kann – und wie erfolgreich das ist –, zeigt der VDE schon seit mehr als 20 Jahren mit dem Schülerwettbewerb INVENT a CHIP, bei dem Teilnehmende der Jahrgangsstufen 9 bis 13 ihre selbst entwickelten Mikrochips präsentieren können. Denn wer hier mitmacht und einmal „Blut geleckt“ hat, wird wohl kaum noch etwas anderes als Elektrotechnik studieren wollen. Vor fünf Jahren neu hinzugekommen ist hier noch der Wettbewerb LABS for CHIPS. Dieser richtet sich nicht an Kinder und Jugendliche selbst, sondern an Menschen und Initiativen, die Kinder und Jugendliche für (Mikro-)Elektronik begeistern wollen. Solche Projekte werden vom VDE – wie INVENT a CHIP unterstützt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung – mit Preisgeldern gefördert. In diesem Jahr beispielsweise die modellhafte Nachbildung von Ampeln und Beleuchtung für eine Smart City, die Fertigung von Luftqualitätssensoren, das Löten elektronischer Würfel oder auch die Robotikprogrammierung „rollender Käfer“ bereits für Grundschulkinder.

Doch auch in den Bezirksverbänden des VDE ist das Thema auf der Tagesordnung: vom VDE Bayern Schülerforum über den VDE Rhein-Ruhr Schüleraktionstag bis hin zu all den Projekten des VDE Saar. Hinzu kommen andere Aktivitäten des VDE, wie der Maustag: Da öffnet das Prüf- und Zertifizierungsinstitut seine Türen für die Sendung mit der Maus. Ein riesiger Spaß, nicht nur für die beteiligten Mitarbeitenden des Instituts, sondern vor allem für die große Schar Kinder, die die Maus in die Labore begleiten durften. Und doch reicht all das Engagement noch nicht aus, um bei den Studierendenzahlen eine Kehrtwende zu erreichen. Was also tun? „Uns bleibt nichts anderes übrig, als unsere Anstrengungen noch weiter zu verstärken“, fordert VDE Präsident Alf Henryk Wulf. Und darauf zu hoffen, dass die Wichtigkeit und Dringlichkeit dieses Anliegens zunehmend auch bei der Zielgruppe ankommt. Wie würden die jungen Leute von Fridays for Future sagen? Wir haben keinen Planet B!

Martin Schmitz-Kuhl ist freier Autor aus Frankfurt am Main und Redakteur beim VDE dialog.

Laborsituation E-LAB live des VDE Instituts

Das E-LAB Live des VDE Instituts ist unter anderem auf großen Messen oder auch auf Veranstaltungen wie den Science Days zu finden. Unter Anleitung fachkundiger Studierender erlenen Kinder spielerisch grundlegende elektrotechnische Fähigkeiten.

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