Ein Mädchen sitzt vor einem Bergpanorama
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01.10.2024 VDE dialog

Karriere: Zukunft ohne Zweifel

Nur wenige junge Frauen entscheiden sich für ein Studium der Elektrotechnik. Das liegt oft nicht an mangelnder Begeisterung oder Begabung für Technik. Wer sie ermutigen will, Elektroingenieurin zu werden, muss auch ihr Selbstbewusstsein stärken.

Von Anna-Elisa Jakob

Caroline Schalk ist 19 Jahre alt, sie hat gerade ihr Abitur gemacht, 15 Punkte in Physik und Mathe. Ihre Eltern arbeiten beide in Ingenieurberufen, und für Caroline Schalk stand lange fest: Auch sie möchte Ingenieurin werden. Bis sie dann, in der Oberstufe, immer mehr Respekt vor dem Studium entwickelte; eine, wie sie selbst sagt, „irrationale Angst“. Sie habe plötzlich das Gefühl gehabt, andere seien ihr voraus, sie traute sich das Studium nicht mehr zu. Also rückte sie immer weiter von ihren ursprünglichen Plänen ab, informierte sich über BWL-Studiengänge, sah sich schließlich selbst doch eher in einem Hörsaal für „International Business“.

Woher kam diese plötzliche Angst? Warum verließ Caroline, die gute Noten in naturwissenschaftlichen Fächern, einen klaren technischen Berufswunsch und auch noch ihre Eltern als Vorbilder hatte der Mut? Caroline sagt, sie habe andere – vor allem Jungs – deutlich weiter als sich gesehen. Die hätten vielleicht schon vor Jahren angefangen zu programmieren, Dinge zu entwickeln, zu bauen, während sie selbst von alldem noch keine Ahnung hatte. Trotz ihrer Mutter als Vorbild – sie habe das Gefühl gehabt, die technischen Studiengänge seien noch immer „eine Männerwelt“ und dass viele um sie herum unbewusst davon ausgingen, dass „Männer einfach mehr dafür geeignet sind als Frauen“.

Diese Gedanken von Caroline Schalk passen nicht nur zu den Studierendenzahlen an deutschen Universitäten und Hochschulen, sie decken sich auch mit den Studien, die bereits zahlreich danach fragten, warum junge Frauen sich gegen MINT-Fächer entscheiden, obwohl sie sehr gute Noten in den entsprechenden Schulfächern haben. Elektrotechnik ist – zusammen mit Informatik und Maschinenbau – der unbeliebteste Studiengang bei Frauen, hier liegt ihr Anteil dauerhaft deutlich unter 20 Prozent.

Selbstbewusstsein ist nicht angeboren, sondern wird vom Umfeld geprägt 

Im Rahmen einer VDE Studie zum Image der Elektrotechnik wurden auch Gründe identifiziert, die junge Frauen von einem Studium der Elektrotechnik abhalten. Dass Elektrotechnik nun mal eine Männerdomäne sei, das sagten einige der befragten Mädchen; und auch, dass sie Angst davor hätten, in diesem Fach nicht zu genügen. Sie stellen sich vor, dass es ihnen deshalb mit diesem Beruf auch persönlich nicht gut gehen würde, dass sie etwas kaputt machen könnten. Studienleiterin Dr. Maya Götz schreibt: „Die eigenen Konstruktionen von ‚Frauen haben eine schwächere Psyche‘ und ‚Männer haben mehr Selbstbewusstsein und Aggressionspotenzial‘ werden zu Aversionsfaktoren, die sie von dieser Studienrichtung abhalten.“

Mit Selbstzweifeln kennt die Psychologin und psychologische Psychotherapeutin Alina Zinn sich aus. In ihre Praxis kämen häufig Frauen, deren Unsicherheiten sie im Berufsleben einschränken; um Frauen dabei zu unterstützen, hat sie ein Selbstvertrauensbooster-Programm entwickelt. Wichtig sei zu verstehen, sagt Zinn, dass Selbstbewusstsein genauso wie Selbstzweifel nicht angeboren seien, das habe also erst mal gar nichts mit dem Geschlecht zu tun. „Je nachdem, wie wir aufwachsen, wie wir sozialisiert werden, welche Menschen um uns herum sind, entwickeln wir aber bestimmte Muster in unserem Denken, Fühlen und Verhalten.“ Viel hänge von der Stärkung und Bestätigung durch das persönliche Umfeld ab. Dies beeinflusst stark, ob jemand sich fähig und in der Lage fühlt, etwas zu schaffen – oder meint, dass andere besser sind. Gerade bei überbehüteten Kindern, sagt Zinn, deren Eltern ihnen wenig zutrauten, könnte sich später die Annahme entwickeln, immer Hilfe zu brauchen. Das gelte prinzipiell für Jungen genauso wie für Mädchen.

Porträtfoto von Caroline Schalk

»Ich hatte das unbestimmte Gefühl, Männer sind einfach besser für technische Berufe geeignet.« Caroline Schalk

| Sarah Kastner / VDE

Und doch geht schon früh auseinander, wie viel Vertrauen Kinder in verschiedene Schulfächer entwickeln; schon im ersten Grundschuljahr, so heißt es im Geschlechtergleichstellungsbericht der OECD, schätzten Mädchen ihre eigenen Fähigkeiten in Mathe geringer ein als Jungs, auch wenn sich ihre Leistungen nicht unterschieden. Und in der PISA-Studie 2022 berichteten 19,7 Prozent der Mädchen von Angst im Matheunterricht, unter den Jungen waren es dagegen 9,8 Prozent.

Solche Annahmen können dann selbstverstärkend wirken: „Wenn ich davon ausgehe, ich kann kein Mathe, dann lerne ich vielleicht nicht für die Klausur, dann interessiert es mich nicht – wie eine selbsterfüllende Prophezeiung“, sagt Alina Zinn. Die eigene Annahme wird bestätigt, und das Denkmuster verfestigt sich, es wird zu einem Teufelskreis.

Die OECD, aber auch Netzwerke wie MINTvernetzt, empfehlen deshalb schon eine frühe Förderung, frei von Geschlechterstereotypen. Also auch Mädchen bauen oder konstruieren lassen, ihnen früh positive Erfahrungen in diesem Bereich ermöglichen und Lehrmittel einsetzen, die nicht „typisch Jungs“ oder „typisch Mädchen“ sind. Gefragt sind hier neben den Eltern Lehrende und Erziehende im Kindergarten – insbesondere wenn Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien kommen. Dass die soziale Herkunft sich auf den MINT-Bildungsweg auswirkt gilt dabei für Jungen und Mädchen gleichermaßen, wie eine Studie von MINTvernetzt darlegt. Demnach können unter anderem auch implizite und explizite Vorurteile von Lehrkräften vorhandene Ungleichheiten verstärken. Sie trauen Schülern und Schülerinnen aus sozioökonomisch benachteiligten Familien häufig nur geringe Kompetenzen im MINT-Bereich zu und fördern sie deshalb weniger. Aber auch der schlechtere Zugang zu außerschulischen Angeboten und Bildungserfahrungen der Eltern spielen eine Rolle. Interessant: Werden Kinder aus solchen Familien zu sogenannten Bildungsaufsteigern, bevorzugen sie natur- und ingenieurwissenschaftliche Studiengänge – wahrscheinlich weil hier herkunftsbedingte Defizite der sprachlichen Kompetenz sich weniger stark bemerkbar machen als beispielsweise im wirtschaftlichen oder rechtswissenschaftlichen Bereich.

Eine junge Frau steht vor einem Schild mit einem Fragezeichen.
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Bei Caroline Schalk war es ihr Vater, der Ingenieur, der immer wieder fragte, warum sie von ihrem Berufswunsch abgekommen sei. „Er hat gesagt, ich soll meine Begabung nicht wegschmeißen“, erzählt Caroline Schalk. Mittlerweile tendiert sie wieder zu einem technischen Studium; vielleicht werde es ein Mittelweg, sagt sie, momentan informiere sie sich darüber, wie und wo sie Wirtschaftsingenieurwesen studieren könnte.

Feststellen, was einem wichtig ist, und negative Denkmuster hinterfragen

Gemeinsam mit Caroline Schalk machte Marleen Stollberg ihr Abitur. Sie ist vollkommen überzeugt von ihren Fähigkeiten in einem anspruchsvollen Fach. Sie will Mathematik studieren. „Ich finde Mathe einfach unglaublich faszinierend“, sagt sie. Zu ihren sehr guten Noten dürfte das beigetragen haben. Sie ist die Einzige unter ihren Freundinnen, die sich für ein naturwissenschaftliches Studium entschieden hat. Wenn sie Leuten, die sie nicht so gut kennen, davon erzähle, dann sagten die auch mal Sätze wie: Weißt du denn, dass Mathe in der Universität anders ist als in der Schule? Dass du nur mit Jungs studieren wirst? Ob dich das nicht überfordern wird? Marleen kriegt für ihren als ungewöhnlich geltenden Studienwunsch also ganz schön Gegenwind, den sie aber gut aushält. In ihrem nahen Umfeld hat sie längst „klar gemacht, was ich möchte“. Das Mathestudium gehört also bereits zu dem Bild, das sie von sich hat, der Vorstellung davon, wer sie mal sein könnte. Sie weiß klar, was sie interessiert, hat sich genau informiert, sich ganz bewusst weibliche Rolemodels gesucht. Marleen bewundert die Mathematikerin Emmy Noether, die sich mit grundlegenden Beiträgen zur Algebra und Theoretischen Physik den Respekt der Fachwelt Anfang des 20. Jahrhunderts erwarb, und folgt der Cambridge-Absolventin Ellie Sleightholm, die sich auf ihrem YouTube-Kanal mit Mathe, Physik, Raumfahrt und Programmierung beschäftigt.

Porträtfoto von Marleen Stollberg

»Ich finde Mathe unglaublich faszinierend und bin auch richtig gut darin!« Marleen Stollberg

| Sarah Kastner / VDE

Diese Klarheit ist wichtig, sagt Nathalie Emas. Sie ist Coachin und berät und begleitet vor allem Frauen, die sich beruflich verändern und weiterentwickeln wollen. Dazu müsse man wissen: Was ist mir persönlich wichtig, was treibt mich an, wo grenze ich mich von anderen ab? Emas nennt das auch „empathische Selbstführung“, also: sich zu sagen, wohin man möchte, was einem liegt, aber dabei nicht zu hart mit sich selbst zu sein. Dazu gehöre auch, negative Denkmuster zu hinterfragen: Warum denke ich, dass dieser Job nicht zu mir passt? Warum denke ich, dass ich das nicht kann? Um gute Entscheidungen zu treffen, brauche es „eine gewisse Offenheit mir selbst gegenüber, eine Flexibilität im Denken“, sagt Emas.

Netzwerke könnten hierfür eine große Hilfe sein. Es stärke den Selbstwert, wenn man sich mit anderen austausche, die in derselben Situation sind, dieselben Zweifel hätten, ähnliche Ideen. Auch Emas betont, wie wichtig das Umfeld für das Selbstbewusstsein ist. „Wir alle haben Unsicherheiten und Zweifel – doch gerade dann sollten wir uns erlauben, die Dinge zu hinterfragen, noch mal neu darüber nachzudenken, was wir können und wollen.“ Dieses Hinterfragen kann zum Beispiel durch Mentoring-Programme gefördert werden. Oder man sucht sich selbst kollektive Unterstützung, zum Beispiel indem man entsprechenden Netzwerken beitritt.

Nicht auf Vorbilder warten – selber eins sein!

Frauen sehen sich anscheinend oft nicht in technischen Berufen und entschließen sich dementsprechend auch nicht zu einem Studium der Elektrotechnik. Bei Sarah Hillmann ist das anders: Die 22-Jährige studiert Elektrotechnik im vierten Semester an der Hochschule Merseburg. Bemerkenswerterweise sei sie in Mathe nicht besonders gut gewesen, auch nicht in Physik. Nur Chemie fand sie schon immer spannend, und sie interessierte sich für Klein- elektronik. „Ich habe gern an Dingen herumgebastelt.“ Also informierte sie sich darüber, welche Studiengänge genau zu ihren Interessen passten, und fand so zur Elektrotechnik. Sie habe sich den Stundenplan im Vorhinein genau angesehen, manche Module sofort interessant gefunden, andere weniger. Noch heute gefalle ihr manches besser (das Praktische) als anderes (die Theorie). „Aber das hast du ja in jedem Fach“, sagt sie.

Klar sei auch an ihrer Hochschule Elektrotechnik nach wie vor eine Männerdomäne. „In meinem Studiengang bin ich die einzige Frau.“ Doch das macht ihr nichts aus: „Das Studium ist ja nur ein Teil meines Lebens.“ Außerdem: „Was würde es mir bringen, darauf zu warten, dass hier plötzlich lauter Frauen auftauchen, an denen ich mich orientieren kann?“ Da ist sie lieber selber so eine!

Anna-Elisa Jakob ist Journalistin aus Hamburg.

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