Kenza Ait Si Abbou Lyadini

Kenza Ait Si Abbou Lyadini, Director Client Engineering DACH bei IBM, Technik-Influencerin, Buchautorin

| Hendrik Gergen
30.06.2023 VDE dialog

Vorbilder: Jeder Tag ist Girls’Day

Frauen in der Elektrotechnik sind rar. Das liegt auch daran, dass ihnen der Zugang und das Studium häufig schwergemacht werden. Dass der Weg sich dennoch lohnt, wissen erfolgreiche Ingenieurinnen und wollen das Mädchen und jungen Frauen vermitteln – nicht nur an Tagen wie dem Girls’Day.

Von Simone Fasse

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„Keine Panik, ist nur Technik – warum man auf Algorithmen super tanzen kann und wie wir ihnen den Takt vorgeben“ – die Autorin dieses Buches, Kenza Ait Si Abbou Lyadini (Director Client Engineering DACH bei IBM), zählt hierzulande zu den sichtbarsten Expertinnen für das Thema Künstliche Intelligenz. Nicht so bekannt ist dagegen, dass die engagierte Tech-Managerin und Keynote-Speakerin Elektrotechnik studiert hat.

Genau diese positiven Vorbilder fehlen, darin sind sich viele Fachleute einig. Doch das kann nicht der einzige Grund sein, warum so erschreckend wenig Frauen Elektrotechnik studieren. Nur 15 Prozent der Studierenden in diesem Fach sind weiblich (Stand Wintersemester 2021/2022). Das sind weniger als in allen anderen Fächern aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.

Jutta Hanson

Prof. Dr. Jutta Hanson, Professorin an der Technischen Universität Darmstadt

| TU Darmstadt

Für Prof. Dr. Jutta Hanson, Professorin und Leiterin des Fachgebiets Elektrische Energieversorgung unter Einsatz Erneuerbarer Energien an der Technischen Universität Darmstadt und Vorstandsmitglied der Energietechnischen Gesellschaft im VDE (VDE ETG), ist das kein neuer Trend, „sondern bereits seit Jahrzehnten ein Problem.“ Anlass genug also für die vierteilige Studienreihe zum Image der Elektrotechnik, die die Medienwissenschaftlerin Dr. Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) beim Bayerischen Rundfunk durchführt. Die Studienreihe wird getragen vom IZI in Kooperation mit dem VDE, dem Fachbereichstag Elektrotechnik und Informationstechnik e. V. (FBTEI) sowie dem Fakultätentag für Elektrotechnik und Informationstechnik e.V. (FTEI). Maya Götz und ihr Team untersuchen in der Reihe auch, warum gerade Mädchen nicht den Zugang zum Studienfach Elektrotechnik finden.

Elektro- und Informationstechnik bieten Jobs für Frauen mit Visionen

Schon jetzt liegen aufschlussreiche Erkenntnisse daraus vor. „Es fehlt ein klares Profil des Berufsfeldes von Elektroingenieurinnen, stattdessen haben Schülerinnen ein falsches Bild von den tatsächlichen Tätigkeiten“, weiß Maya Götz. Löten, schrauben, bücken, und das alles im „Blaumann“ – so beschreiben Schüler und Schülerinnen ihre Vorstellungen. „Wir haben ein sehr ausdifferenziertes Studienangebot, aber die Studierenden haben keinen Überblick und werden nicht differenziert beraten“, haben Götz und ihr Team erkannt. Und: „Es fehlen nicht nur weibliche Vorbilder, sondern überhaupt Menschen, die das Fach studiert haben – Lehrer sind Mathematiker oder Physiker, keine Elektroingenieurinnen und -ingenieure“, so die Medienwissenschaftlerin. „Jugendliche wissen nicht, was sich hinter dem Fach verbirgt, und sehen es schon gar nicht im Kontext des Klimawandels.“

Maya Götz

Dr. Maya Götz, Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) beim Bayerischen Rundfunk

| IZI

Dabei warten gerade in diesem Bereich viele neue und zukunftsrelevante Tätigkeitsfelder, bestätigt Dr. Isabell Wirth, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt im Bereich Wasserstofftechnik. „Ich wollte nach der Schule etwas Praktisches, Technisches machen“, berichtet die Ingenieurin. Beim Girls’Day wurde ihr Interesse für ihre späteren Kurse im Bereich Mechatronik geweckt, nach ihrem Bachelor und dem Jobstart war ihr dann klar: Ich möchte noch mehr lernen. „Deshalb habe ich mich für die Arbeit an der Hochschule entschieden“, so Wirth. Sie schrieb sich für den Master Elektro- und Informationstechnik in Würzburg-Schweinfurt ein und wählte als Themenschwerpunkt die Hochspannungstechnik, wozu sie auch promovierte. Auch sie berührt der Klimawandel. „Ich arbeite gern mit einer Vision – ich möchte über die Wasserstofftechnik die Dekarbonisierung voranbringen“, sagt Wirth. Damit ist sie nicht allein. „Wir merken, dass Techniken, die dem Umweltschutz dienen, großes Interesse bei den Studierenden wecken“, weiß die Forscherin. Doch auch sie sieht in den fehlenden Vorbildern einen Hauptgrund für die Abwesenheit der Frauen. „Viele Mädchen und Frauen sehen vielleicht gar nicht die Möglichkeiten, die sich mit dem Elektrotechnikstudium bieten, und haben bei den vielen anderen Fächern drum herum gar nicht den Gedanken an ein technisches Studium.“

Fokussierte, konkrete Studiengänge sind bei Studentinnen durchaus beliebt

Und selbst wenn das Interesse an Mathematik und Technik vorhanden ist, steuern junge Frauen eher in andere Studienfächer, zeigt die VDE Studie „Arbeitsmarkt 2022 – Elektroingenieurinnen und Elektroingenieure: Zahlen, Fakten, Schlussfolgerungen“. „So interessant Tätigkeitsfelder in der Energiewirtschaft, im Bereich Elektromobilität oder in der Industrie 4.0 sein mögen – die Frauenquote liegt unter den Erstsemestern in der Elektro- und Informationstechnik lediglich bei 17 Prozent“, sagt Dr. Michael Schanz, Autor der Studie und Leiter des VDE Fachausschusses Studium, Beruf und Gesellschaft. „Interessant ist dabei, dass Studiengänge wie ‚Regenerative Energien“ oder ‚Medizintechnik“ deutlich mehr Frauen anziehen. Wir sehen, dass das Interesse an E-Technik seit Jahren sinkt, während Informatik immer größeren Zulauf hat“, so Schanz. Diese Entwicklung bestätigt auch Prof. Dr. Hanson an der TU Darmstadt. „Ich sehe einen hohen Frauenanteil in der Medizintechnik, die hier bei uns zu 80 Prozent Elektrotechnik ist, und auch einen relativ hohen Anteil bei den Wirtschaftsingenieurinnen. Vielleicht ist ein Studiengang mit einer konkreten technischen und zusätzlich wirtschaftlichen Ausrichtung für Frauen attraktiver?“

Kathrin Goldammer

Dr. Kathrin Goldammer, Geschäftsführerin des Reiner Lemoine Instituts, Mitgründerin des Netzwerkes „Women in Green Hydrogen“

| RLI

Fehlende Wertschätzung, Stereotypen, abwertende Bemerkungen

Aus der Sicht von Dr. Kathrin Goldammer, Geschäftsführerin des Reiner Lemoine Instituts gGmbH und Mitgründerin des Netzwerkes „Women in Green Hydrogen“, wiegt die Thematik schwerer. „Ein großes Problem sind die fehlenden Vorbilder an der Uni und der alltägliche Sexismus“, beschreibt Goldammer ihre Erfahrungen, die sie auch im VDE Debattenbeitrag „Frauen in Führung“ zeigt. „An der TU Berlin war ich nach dem Vordiplom die einzige Frau im Jahrgang.“ Bemerkungen der Professoren wie „Was machen Sie denn hier in diesem Studiengang?“, ständige Wiederholung von Stereotypen, all das habe sie häufig erlebt. „Sagen wir es so: Ich bin meinen Weg erfolgreich gegangen, nicht weil, sondern obwohl ich Elektrotechnik studiert habe. Es wurde mir schwergemacht, aber die Erfahrungen im Studium haben mich nicht eingeschüchtert.“

Goldammer ist überzeugt: „Wenn es eine neue Generation der Lehrenden in diesem Fach gibt, kann auch das Fach attraktiver werden. Derzeit geht Elektrotechnik im Wettbewerb unter, denn es gibt so viele andere Fächer, in denen Frauen, wenn sie sich für Mathematik und Technik interessieren, mit mehr Spaß und in einem wertschätzenden und diversen Umfeld studieren können.“ Diese Wertschätzung will sie selbst als Arbeitgeberin am Reiner Lemoine Institut bieten, das wissenschaftliche Fragestellungen rund um Erneuerbare Energie bearbeitet und beispielsweise Mobilitäts- und Elektrifizierungskonzepte erstellt. „Ich sehe es als meine Lebensaufgabe, im Technikbereich wertschätzend und mit Diversität im Fokus eine Organisation zu führen. Schon jetzt haben wir im Reiner Lemoine Institut 60 Prozent Frauen in Führung.“ Mit den „Women in Green Hydrogen“ bieten Goldammer und ihre Mitstreiterinnen darüber hinaus Frauen, die im Bereich Wasserstoff rar sind, ein Netzwerk an.

Fehlende Wertschätzung habe sie nicht erlebt, berichtet wiederum Prof. Hanson. „Die Universität lebt Gendergerechtigkeit, das sehe ich nicht als Grund. Das Gegenteil ist sogar der Fall: Es werden inzwischen in nahezu allen Gremien oder als Gutachtende Frauen gefordert – somit haben wir die Möglichkeit, viele reizvolle Aufgaben mitzugestalten – gleichzeitig muss man lernen ‚Nein‘ zu sagen, denn man darf auch Forschung und Lehre nicht aus den Augen verlieren.“ Hanson kam über eine Ausbildung zur elektrotechnischen Assistentin in einem Unternehmen zur Elektrotechnik. Sie würde ihren Weg wieder genauso gehen. „Es gibt so vielfältige Möglichkeiten, sein Berufsbild zu finden und zu gestalten, ob in der Industrie oder in der Wissenschaft – Elektrotechnik ist zum Beispiel wegbereitend aus der Klimakrise, findet Anwendung in der Künstlichen Intelligenz, bietet Rettung in der Medizintechnik oder bringt die Verkehrswende voran“, skizziert die Professorin die Bandbreite.

Isabell Wirth

Dr. Isabell Wirth, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt

| Daniela Hütter

Zukunftstage und Girls’Day: Mädchen zeigen, was Elektrotechnik ist

Doch wie können diese Potenziale auch zu den Schülerinnen durchdringen, die nach dem Abitur ihr Studium oder ihren Berufsweg wählen? „Girls’Days funktionieren, reichen aber nicht aus“, weiß Maya Götz. „Unternehmen und Organisationen sollten regelmäßige Zukunftstage und beispielsweise Stationen anbieten, wo Schülerinnen gemeinsam mit Studentinnen Lösungen erarbeiten können. Unsere Evaluation zeigt: Die Hälfte der Teilnehmerinnen konnte sich nach dem Girls’Day vorstellen, Elektrotechnik zu studieren“, berichtet die Medienwissenschaftlerin. Vorhandene Stereotype müssten dringend aufgebrochen werden, ebenso wie vorhandene Ängste, so der Appell von Maya Götz. „Gerade die Mädchen haben die Vorannahme, dass sie in technischen Berufen in den Unternehmen ‚niedergemacht‘ werden.“

In diese Richtung denkt auch Wissenschaftlerin Isabell Wirth: „Vielleicht sollten wir die Angst davor nehmen, dass das Ingenieurstudium zu schwierig ist, und eher den Spaß und den Sinn beleuchten, den gerade die Elektrotechnik bietet. Wer gerne Rätsel löst und komplizierte Aufgaben ‚knacken‘ möchte, ist hier richtig.“ Allerdings, so Wirth, müssten die fachlichen Voraussetzungen dabei schon stimmen. „Das technische Verständnis und das Interesse für Mathe und Physik sollten da sein, um das Studium zu schaffen.“

Ingenieurinnen als Vorbilder für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Professorin Jutta Hanson will solche Ängste aktiv zerstreuen und für das Fach Elektrotechnik an der TU Darmstadt gezielt werben. „Wir werden weiterhin in die Schulen gehen und speziell Schülerinnen und deren Lehrer ansprechen, um ‚Ingenieurin‘ als faszinierenden Beruf mit hochaktuellen Aufgaben, tollen Weiterentwicklungsmöglichkeiten, einem breiten Berufsbild und vor allem auch als Anwendung von Mathematik, Physik oder auch Informatik vorzustellen. Wir laden speziell auch Schülerinnen zu uns ein, um Einblicke in die Universität und in das Studium zu geben.“ Andere Herangehens- und Sichtweisen auf die Technologie und aktuelle Herausforderungen, innovativere Lösungen durch diverse Teams sowie die Rekrutierung von dringend benötigten zusätzlichen Talenten, um die immense Lücke bei den Fachkräften in der Elektrotechnik zu schließen – all das spricht für mehr Frauen in der Elektrotechnik. Isabell Wirth, selbst zweifache Mutter, sieht dazu noch einen weiteren Grund: „Es wäre wichtig, dass es mehr Ingenieurinnen gibt, die eine Vorbildfunktion einnehmen. Nicht nur in fachlicher Hinsicht, sondern auch in Bezug auf neue Arbeitszeitmodelle und Care-Verpflichtungen. Derzeit lassen Projekte in Unternehmen kaum Teilzeit zu. Sicher könnte es helfen, wenn Care-Arbeit stärker wahrgenommen würde, das käme dann auch den Männern zugute, die sich mehr um ihre Familie kümmern möchten.“

LinkedIn-Influencerinnen wie Kenza Ait Si Abbou Lyadini, die neben „Keine Panik, ist nur Technik“ auch das Kinderbuch „Meine Freundin Roxy“ geschrieben hat, um mehr Nachwuchs für Robotik zu begeistern, und die ebenfalls Mutter ist, nutzen Social Media gezielt für mehr Sichtbarkeit. Dazu organisiert sie beispielsweise Hackathons speziell für Frauen. „Ich weiß, das Studium war etwas herausfordernd, aber dadurch habe ich keine Angst vor Technik. Ich würde Elektrotechnik auf jeden Fall empfehlen“, sagt die KI-Expertin. Und das gilt für Jungs genauso wie für Mädchen.

Simone Fasse ist Journalistin in München und schreibt schwerpunktmäßig über Themen aus dem Bereich Technologie und New Work.