Nach Angaben des europäischen Branchenverbands WindEurope hatte der jährliche Zubau der Windenergie allerdings europaweit eine Zeit lang nur schwach zugelegt. Nach dem Spitzenjahr 2017, als Anlagen mit einer Gesamtleistung von 17,3 Gigawatt neu installiert wurden, ging der Wert zunächst zurück. Erst 2021 und 2022 stieg die installierte Leistung mit 18,3 und 19,3 wieder über den Wert von 2017. Bei WindEurope heißt es: Wolle man die Ziele der REPowerEU-Strategie erreichen, müssten jährlich mindestens 31 Gigawatt zugebaut werden. Demnach sind derzeit europaweit 255 Gigawatt an Windkraftleistung installiert: 225 Gigawatt an Land und 30 offshore. Zum Vergleich: China ist weltweit Spitzenreiter beim Ausbau der Windenergie. Die installierte Leistung betrug im vergangenen Jahr fast 400 Gigawatt. Allein 2022 kamen in China fast 49 Gigawatt neu hinzu.
Windräder im Wirbelschatten
Um solche Werte in Deutschland und Europa zu erreichen, ist noch einiges zu tun. Technische Herausforderungen bringt der Trend zu immer höheren Anlagen mit sich, weil die Rotoren inzwischen den Bereich des Höhenwinds jenseits der 200 Meter erreichen. Der Wind weht dort stetiger und kräftiger, weil er kaum mehr von der Landoberfläche, von Häusern, Wäldern und Hügeln verwirbelt wird. Ein Problem besteht aber darin, dass der Wind teils auch aus einer anderen Richtung wehen und um bis zu 90 Grad versetzt auf das Windrad treffen kann. Der Rotor durchstreicht damit bei jeder Umdrehung ganz unterschiedliche Windbedingungen. „Das ist eine ganz neue Situation, für die wir noch gar nicht die passenden Simulations- und Rechenwerkzeuge entwickelt haben, um das Design entsprechend zu optimieren“, sagt Dr. Stephan Barth, Geschäftsführer des Zentrums für Windenergieforschung ForWind in Oldenburg. Eine Herausforderung sei auch, dass sich die Anlagen in Windparks gegenseitig beeinflussen. Betroffen sind vor allem Windräder, die im Wirbelschatten anderer stehen – im „Nachlauf“. Im Projekt X-Wakes der Fraunhofer-Gesellschaft wird aktuell an neuen Windpark-Designs gearbeitet, die das „Nachlauf“-Problem minimieren. So könnte man größere und kleinere Anlagen so kombinieren, dass der gesamte Park verstärkt Luft von oben anzieht.
Größe bleibt eine Herausforderung
Dennoch ist der Trend zu immer größeren Anlagen ungebrochen. Das liegt vor allem auch daran, dass in Deutschland neue Windparks seit mehreren Jahren nach Ausschreibungsverfahren vergeben werden. Der günstigste Anbieter gewinnt – und hat das Bestreben, auf der Windparkfläche so viel Leistung wie möglich zu installieren; bei annähernd gleichen Bau- und Projektkosten. Dabei ist das Größenwachstum an Land begrenzt. Das liegt unter anderem an der Straßeninfrastruktur, insbesondere der Höhe der Autobahnbrücken von 4,5 Metern. Keine Windradkomponente darf größer sein. Beim Bau setzt man daher hierzulande auf Hybridtürme: Die breite Basis wird aus Beton vor Ort gegossen. Obenauf, dort, wo der Turm schlanker wird, setzt man vorgefertigte Stahlsegmente mit einem Durchmesser von maximal 4,5 Metern. Auch die Länge der Rotorblätter bleibt eine Herausforderung, weil die Schwertransporter diese durch Kurven manövrieren müssen. Denkbar wären teilbare Rotorblätter, die auf der Baustelle zusammengesetzt werden. Aber damit ergäben sich neue Anforderungen in Sachen Haltbarkeit, Wartung und Anlagensicherheit. Letztlich muss mit dem Größenwachstum die ganze Logistik- und Zuliefererkette mitwachsen. „Mit dem gewünschten starken Ausbau der erneuerbaren Energien wird der Bedarf an Kränen, Schwertransporten, Schiffen, Bauteilen und Rohstoffen zunehmen – und zwar weltweit“, sagt Stephan Barth. „All das muss erst einmal in der entsprechenden Menge bereitgestellt werden. Sowohl onshore als auch offshore.“
Boom bei schwimmenden Anlagen?
Die Offshore-Industrie hat den Vorteil, dass es auf See weniger Größenbeschränkungen als an Land gibt. Allerdings ist der Bau der Anlagen im Wasser deutlich teurer. Deutschland hat das Glück, dass die Ostsee und die Nordsee eher flach sind und die Windradmasten im Meeresgrund verankert werden können. Schwieriger ist der Bau an Küsten mit Wassertiefen von mehr als 50 Metern. Für diese hat sich in den vergangenen Jahren ein Markt für schwimmende Windradplattformen entwickelt. Inzwischen tummeln sich dort mehr als 100 Firmen, die bisher aber fast nur Prototypen zu Wasser gebracht haben. Der mit elf Anlagen größte Windpark dieser Art wird derzeit 140 Kilometer vor der norwegischen Küste fertiggestellt. Zehn Anlagen mit dem Namen „Hywind Tampen“ sind bereits errichtet. Sie haben jeweils acht Megawatt und stehen auf schwimmenden Betonstrukturen, die an einem Ankersystem in 300 Metern Tiefe befestigt sind. Die Kehrseite des Projekts: Der Strom wird genutzt, um den Bedarf der nahe gelegenen Gas- und Ölförderanlagen zu decken.
Auch in China, Schottland und Frankreich sind schwimmende Windparks geplant. Die Ausschreibungen laufen. In vielen Fällen ist aber offen, wie man in den Häfen Platz für die Montage der Anlagen schaffen soll. Und oftmals fehlt es noch an klaren Genehmigungsverfahren und Zuständigkeiten. Faysal Talata, Finanzbereichsleiter beim spanischen Windenergie-Unternehmen Ocean Winds, ist vom Erfolg schwimmender Windparks trotzdem überzeugt: „Die Wettbewerber wollen die Projekte so schnell wie möglich zum Laufen kriegen, um Erfahrungen zu sammeln und die Technologie besser zu verstehen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, Spielmacher zu werden. In zehn Jahren wird es dafür zu spät sein.“
Drachen als ernst zu nehmende Lösung
In den kommenden Jahren könnte auch eine andere Technologie interessanter werden: die Energieernte aus Höhenwind mithilfe von Segeldrachen. Die Idee besteht darin, große Segeldrachen in 300 bis 400 Meter Höhe aufsteigen zu lassen, um die dort stetiger und stärker wehenden Winde zu nutzen. Ein solcher Drachen fliegt kontinuierlich Achten. Über ein langes Seil überträgt er seine Zugkraft auf eine Winde am Boden, die mit einem Stromgenerator verbunden ist. Die Technologie wurde lange Zeit von den Branchengrößen belächelt. Zu klein, zu unzuverlässig, heißt es zum Teil auch heute noch. Die Hamburger Firma SkySails aber hat eine technisch ausgereifte Anlage entwickelt, die seit dreieinhalb Jahren im Norden Schleswig-Holsteins bei Klixbüll im Probebetrieb ist. „Wir haben das Konzept ausführlich testen und optimieren können. Die Anlage mit einer Nennleistung von bis zu 200 Kilowatt speist regelmäßig Strom ins Netz“, sagt SkySails-Geschäftsführer Stephan Wrage. Eine zweite Anlage geht derzeit an einem ganz anderen Ort in Betrieb: auf der Insel Mauritius. Der Generator, die Mechanik und die Steuerung finden in einem kleinen Schiffscontainer Platz. Das ist der Charme der Anlage. Sie lässt sich leicht transportieren und ohne größere Bauarbeiten in Betrieb nehmen. Sie ist als Lösung für abgelegene Dörfer oder Inseln mit bis zu 200 Haushalten gedacht, die ihren Strom bislang mit Dieselgeneratoren erzeugen. Man kann sie mit Photovoltaikanlagen und einem Batteriespeicher kombinieren und damit ein kleines, zuverlässiges Stromnetz aufbauen. Darüber hinaus sei das Interesse an den Winddrachen vor allem in Asien groß. Für Stephan Wrage ist das eine ideale Ergänzung für den Windenergiemarkt, der von den klassischen und effizienten Dreiflüglern beherrscht wird.