VDE dialog: Wie wichtig ist Technologieoffenheit für das Gelingen der Mobilitätswende?
Prof. Dr. Martin Wietschel: Ich würde hier lieber den Begriff Ergebnisoffenheit verwenden: Man muss natürlich offen sein und sich die verschiedenen technologischen Optionen ganz genau anschauen. Dann wird man aber nicht darum herumkommen, sich irgendwann zu entscheiden. Gerade im Verkehrsbereich, wenn es dann darum geht, teure Infrastrukturen aufzubauen – beispielsweise Ladestationen oder Oberleitungen – wird es kaum gehen, dass alles parallel zu machen.
E-Fuels hätten den Vorteil, dass es mit dem bestehenden Tankstellennetz diese Infrastruktur bereits gibt und nicht erst etwas aufgebaut werden müsste. Warum sprechen Sie sich trotzdem dagegen aus, E-Fuels für den PKW, aber eben auch für LKW-Verkehr zu nutzen – wie jüngst in einem Diskussionsbeitrag des Fraunhofer-Institut ISI?
Das ist vor allem eine Kostenfrage. Für den Schwerlastverkehr sind die Energiekosten der entscheidende Faktor – viel wichtiger als zum Beispiel die Anschaffungskosten, die sich bei den Strecken, die Lastwagen in der Regel zurücklegen, ganz schnell amortisieren. Und die Kosten von E-Fuels sind nach heutigen Kenntnisstand nicht konkurrenzfähig, zumal es mit der Elektromobilität und der Brennstoffzelle deutlich günstigere Alternativen gibt.
Das sieht Uniti, ein Lobbyverband der Mineralölunternehmen, völlig anders. Da heißt es, die Herstellungskosten von E-Fuels würden sinken, bis im 2050 gar unter 1 Euro/Liter.
Keine Ökonomie lebt auf Basis von Herstellungskosten. Es gibt immer Marktpreise, gebildet durch Angebot und Nachfrage. Die Kosten der Gewinnung von konventionellem Erdöl liegen heute bei rund 20 Cent pro Liter und schauen Sie sich an, was wir heute an der Tankstelle für Benzin und Diesel bezahlen! Zudem möchte ich auch sehr bezweifeln, dass sich die Herstellungskosten so entwickeln würden, wie von Uniti prognostiziert; die meisten Experten gehen eher von 1,20 bis 1,50 Euro an Herstellkosten einschließlich der Lieferkosten aus. Übrigens: Selbst die BP – also eines der größten Mineralölunternehmen der Welt – hat jetzt in einer aktuellen Studie unterstrichen, dass sie im Straßenverkehr aus Kostengründen die Elektromobilität und zu bestimmten Anteilen noch Wasserstoff sehen, aber kaum E-Fuels.
Ein weiterer Punkt, den Kritikern von E-Fuels immer hervorbringen ist die schlechte Energiebilanz. Ist der nicht aber völlig irrelevant, wenn E-Fuels in Ländern gewonnen werden, in dem regenerative Energien unbegrenzt zu Verfügung stehen?
Ja, das ist natürlich richtig. Theoretisch haben wir das Potenzial, unsere gesamte Energienachfrage über Erneuerbare abzudecken. Allerdings müssen wir doch auch berücksichtigen, wo wir heute stehen: Denn bislang werden gerade weltweit einmal 13 Prozent unseres derzeitigen Energiebedarfs über Erneuerbare abgedeckt. Bevor wir neue Bedarfe schaffen, in Bereichen, in denen die Erneuerbaren wenig effizient genutzt werden, sollten wir doch erst einmal alle fossilen Energien aus dem Markt nehmen. Und das kostet Zeit und Geld.
Wäre es aber nicht gerade für Länder wie Namibia oder Chile eine riesige Chance in diesen Markt einzusteigen?
Einerseits: Ja, unbedingt und das sollte auch passieren. Deutschland wird auch in der Zukunft auf Energieimporte angewiesen sein. Anderseits reden wir meistens von Ländern, die selbst noch sehr stark von fossilen Energieträgern abhängig sind. Wenn man wirklich weltweit Klimaschutz betreiben will, sollte man diesen Ländern erst einmal helfen, ihre eigene fossile Energieversorgung umzustellen und teilweise überhaupt einmal die Stromversorgung sicherzustellen. Und wenn man dann soweit ist, im großen Stil E-Fuels und Wasserstoff aus diesen Ländern importieren zu können, wird es erst einmal darum gehen, die heimische Industrie sowie die Luft- und Schifffahrt damit zu versorgen. Diese Nachfrage reicht mehr als aus, um die Produktion von Wasserstoff und E-Fuels anzukurbeln.
Warum setzen Sie bei der Luft- und Schifffahrt auf E-Fuels, während sie im Schwerlastverkehr auf der Straße – und bei PKWs sowieso – sich so vehement dagegen aussprechen?
Weil es bei der internationalen Luft- und Schifffahrt, genauso wie in manchen industriellen Bereichen – Chemie, Stahl, Zement – leider kaum wirtschaftliche Alternativen gibt. Auch bei LKWs waren wir noch vor einigen Jahren skeptisch, ob die Elektrifizierung gelingen kann, allein schon wegen dem dafür nötigen Aufbau der Ladeinfrastruktur und dem Reichweitenthemen. Inzwischen zeigen unsere Analysen aber, dass die Umstellung zwar eine enorme Kraftanstrengung ist, sie aber im Unterschied zu dem eben Besprochenen tatsächlich für viele LKW-Anwendungen gelingen kann – sofern man es mit dem Ziel der Klimaneutralität im Verkehrsbereich ernst meint.
Auch eine Studie des Potsdam Institut für Klimafolgenforschung zeigt eigentlich sehr eindeutig, dass es regelrecht abwegig ist zu glauben, dass wir in den nächsten Jahrzehnten ausreichend E-Fuels haben würden, um damit etwaige Bedarfe aus dem Straßenverkehr zu decken. Warum ist dann diese Idee überhaupt noch auf dem Tisch?
Zum einen gibt es natürlich gewisse Interessengruppen, die aufgrund ihres heutigen Geschäftsmodells am Verbrenner festhalten wollen. Zum anderen ist das Präsentieren von vermeintlich leichten Lösungen, bei dem die Betroffenen sich möglichst wenig umstellen müssen, eine angenehme Botschaft. Das ist beim Auto so und bei der Heizungsumstellung ist es ähnlich. Aber was nutzt es, wenn ich meine Gastherme auch mit Wasserstoff speisen kann, wenn dieser nach heutigen Kenntnissen für viele Nutzerinnen und Nutzer die teurere Lösung sein wird?