Darstellung eines Implantats an einem menschlichen Arm
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01.10.2023 VDE dialog

Medizinische Implantate: Kabellos vernetzt

Mikroelektronische Implantate sind fest im menschlichen Körper verbaut und behandeln mittels Nervenstimulation die Erkrankungen von Millionen Menschen. Um noch mehr und noch besser helfen zu können, arbeiten Forschende an der Digitalisierung und Vernetzung der Implantate.

Von Julian Hörndlein

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Es nervt! Viele kennen den Tinnitus als leidvolles Geräusch in den Ohren. Weltweit sind laut italienischen Forschern 740 Millionen Menschen betroffen. Für knapp 118 Millionen von ihnen ist das Dauerpiepen eine nicht aushaltbare Belastung. Therapien mittels externer Technologie gibt es schon. Dabei wird der Hörnerv bei gleichzeitiger elektrischer Stimulation der Zunge über ein Mundstück gereizt. Eine wirkungsvolle Alternative soll künftig das Einsetzen von aktiven Implantaten ins Innenohr sein. Ohne von außen sichtbar zu sein, soll das mikroelektronische Implantat im Innenohr das sogenannte Runde Fenster stimulieren und das für den Tinnitus typische Phantomgeräusch verrauschen. Mikroelektronische Implantate, die in den menschlichen Körper eingesetzt werden, sind aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken. So wie Herzschrittmacher das Leben verlängern und Cochlea-Prothesen Menschen wieder hören lassen, könne die neue technologische Tinnitus-Therapie die Lebensqualität von Millionen Betroffenen erheblich verbessern, sagt Roman Ruff, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT: „Tinnitus ist eine Volkskrankheit.“

Medizinische Implantate sind bislang meist so aufgebaut, dass Sensoren und Aktoren im Körper verteilt und per Kabel mit einem Zentralimplantat verbunden sind. Das funktioniert. Aber: „Die Kabelverbindung ist häufig der Teil des Implantats, der zuerst technisch versagt“, sagt Wissenschaftler Ruff. Und bei einem Ausfall des Implantats erschwert die Kabelführung einen Revisionseingriff. Um diesen Schwachpunkt zu verbessern, hat die Wissenschaft die Technologie weiterentwickelt: „Wir sind den Schritt von einem Zentralimplantat hin zu einem Netzwerk aus miniaturisierten Implantaten gegangen“, erläutert Ruff. Sein Institut war Teil des Innovationsclusters INTAKT des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Abkürzung steht für „Interaktive Mikroimplantate“ und sollte ihre Vernetzung und Kommunikation erforschen. „Ganz konkret wurde eine Technologieplattform entwickelt“, sagt Ruff. Denn die Entwicklung vernetzter Implantate ist herausfordernd: Die Chips müssen gekapselt sein, dürfen im Körper nicht unerwünscht wechselwirken. Außerdem müssen Datenübertragung und Signalanalyse dauerhaft sichergestellt sein.

Verkapseltes Mikroimplantat

Komplexe Funktionalität auf kleinstem Raum: Das verkapselte Mikroimplantat beinhaltet eine achtlagige Platine.

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Die Kapsellösung bietet mehrere Vorteile: Sensoren und Aktoren werden direkt in die Gehäuse integriert. Die so entstehende kompakte Bauform sorgt dafür, dass die Biostabilität – also die Fähigkeit, der Zersetzung durch Mikroorganismen zu widerstehen – verbessert wird. Kernelemente der Implantate sind die anwendungsspezifischen integrierten Schaltungen – sogenannte ASICs. Deren Aufgabe ist es, elektrische Biosignale im Mikro- oder Millivolt-Bereich zu erfassen, zu verstärken und in digitale Signale umzuwandeln. Je nach Anwendung werden die Signale durch Elektrodenstrukturen etwa am Armmuskel, dem Magen oder Dünndarm erfasst. Die Informationen werden quasi in Echtzeit analysiert und daraus werden Stimulationsmuster für eine therapeutische Intervention an mehreren Orten im Körper abgeleitet. Alle genutzten Implantate agieren schließlich synchronisiert im Netzwerkverbund. „Bei INTAKT wurde die gewählte Signalverarbeitungsmethode genau auf die Signalgröße und zeitliche Auflösung der erwarteten Biosignale zugeschnitten“, sagt Nanko Verwaal vom Fraunhofer IIS, das ebenfalls am Projekt beteiligt war. Dadurch war es möglich, den Energieverbrauch des Implantats zu senken. Die Batterielaufzeit ist nämlich eine der größten Herausforderungen von intelligent vernetzten Implantaten. Durch die neue Forschung ist es möglich, ein aktives Implantat, das sich zum Beispiel im Arm befindet, über eine Manschette und ein elektromagnetisches Feld kabellos mit Energie zu versorgen. „Da der Ladungszustand der einzelnen Implantate per Funk zurückgemeldet wird, kann so gezielt für jedes Implantat die richtige Menge an Energie übertragen werden“, sagt Forscher Ruff. Die Anwendungsmöglichkeiten aktiver Implantate sind vielfältig: Das INTAKT-Projekt hat neben der Tinnitustherapie auch die Verwendung bei Störungen der Darmmotilität und zur Wiederherstellung der Greiffunktion nach einer Querschnittslähmung untersucht.

Hilfe bei unheilbaren und psychischen Krankheiten

Einen weiteren Forschungstrend bei medizinischen Implantaten kennt Prof. Dr. Thomas Stieglitz, Professor für Biomedizinische Mikrotechnik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Leiter des VDE DGBMT Fachausschusses Neuroprothetik und Intelligente Implantate. Stieglitz und sein Team haben sich im INTAKT-Schwesterprojekt INOPRO mit intelligenten Prothesen und Implantaten beschäftigt. „Wir nutzen bekannte Technologien für neue Anwendungen“, sagt Stieglitz. Ein Beispiel: die Tiefenhirnstimulation, die für Parkinsonpatienten entwickelt wurde. Dabei werden Kontaktpunkte in das Gehirn implantiert, um den Krankheitsverlauf zu überwachen. Tatsächlich kann die Tiefenhirnstimulation aber nicht nur Parkinson-Erkrankten helfen, sondern auch bei der Therapie von schweren psychiatrischen Erkrankungen eingesetzt werden. Für die Behandlung von Depressionen „laufen in Europa aktuell die Zulassungsstudien“, so Stieglitz. Auch könnte, so der Wissenschaftler, elektrische Stimulation Medikamente ersetzen. „Zielerkrankungen sind Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes, aber auch Morbus Crohn, COPD oder rheumatische Arthritis“, sagt Stieglitz – gerade dann, wenn Patienten auf Pharmaka nicht oder nicht gut ansprechen.

Funktionieren die Implantate an ihren jeweiligen Wirkungsstellen im Körper und sind mehrere von ihnen bei einer Person eingesetzt, ist der nächste Schritt die Vernetzung untereinander. „Wenn ich einen Vagusnervstimulator, eine Knieprothese und einen Herzschrittmacher habe, dann wäre es hilfreich, dass ein Gerät weiß, was das andere beschlossen hat“, sagt Stieglitz. „Der Trend geht auf jeden Fall zu mehr Vernetzung“, sagt auch Prof. Dr. med. Thomas Lenarz, stellvertretender Vorsitzender der VDE DGBMT und Professor an der Medizinischen Hochschule Hannover. Seine Forschungsschwerpunkte sind Hörstörungen und Hörimplantate. Die von ihm häufig verwendeten Cochlea-Implantate sind mittlerweile „voll digitale Systeme und setzen auf Konnektivität“. Sie kommunizieren miteinander oder auch mit Hörgeräten, wie er im ausführlichen Interview (siehe Kasten) erzählt. Nun steht die Verbindung mit anderen Implantaten bevor.

Die Implantate tauschen Daten aus – aber sicher

Unumgänglich dafür ist die gemeinsame Speicherung der Daten. Entsprechende Technologien hat das INTAKT-Konsortium mittels seiner Plattform schon realisiert. „Im Funkbereich gibt es passende Frequenzbänder, die auch für die Anwendung in Implantaten zugelassen sind“, erklärt Roman Ruff vom Fraunhofer IBMT. Ergänzt wird mit Infrarotkommunikation, die sich vor allem bei hautnahen Implantaten anbietet. Ein Aspekt, der beim Datenaustausch mitgedacht werden muss, ist die Datensicherheit. Das Fraunhofer IBMT forscht aktuell im EU-Projekt AI4HealthSec an einer Software-Plattform gegen Cyberattacken im Gesundheitswesen und bringt die vernetzten aktiven Implantate als Anwendungsfall ein. Ruff sieht allerdings ein eher geringes Risiko für die direkte Manipulation der Funktion der aktiven Implantate aus der Nähe. „Die Kommunikationsreichweite der implantierten und extrakorporalen Systemkomponenten ist sehr gering, daher können diese Systeme nur mit erheblichem Aufwand im Nahfeld kompromittiert werden“, sagt er.

Beide Wissenschaftler betonen, dass es sich bei den Entwicklungen vernetzter Implantate um Forschung handelt, die noch nicht marktreif ist, aber in Zukunft vielen Menschen helfen wird. Stieglitz: „Dass die Implantate miteinander sprechen, ist die Königsdisziplin.“


Julian Hörndlein ist Technik-Journalist in Nürnberg.

Cochlea: Vom Innenohrmikro zum bluetoothfähigen Nervenimplantat

Nervenzellen
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01.10.2023 VDE dialog

Es ist eines der bekanntesten und besterforschten Implantate, die in der medizinischen Praxis verwendet werden: Das Cochlea-Implantat, mit dem Hörgeschädigte ihre Hörfähigkeit wiedererlangen. In den 1960er-Jahren entwickelt und erprobt, wurde es über die Jahrzehnte immer weiter verbessert. Nun stehen Digitalisierung und Vernetzung der Technologie bevor. Ein Gespräch mit Spitzenforscher Prof. Dr. Thomas Lenarz, Professor an der Medizinischen Hochschule Hannover und Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (DGBMT) im VDE.

Interview: Julian Hörndlein

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