Die Kapsellösung bietet mehrere Vorteile: Sensoren und Aktoren werden direkt in die Gehäuse integriert. Die so entstehende kompakte Bauform sorgt dafür, dass die Biostabilität – also die Fähigkeit, der Zersetzung durch Mikroorganismen zu widerstehen – verbessert wird. Kernelemente der Implantate sind die anwendungsspezifischen integrierten Schaltungen – sogenannte ASICs. Deren Aufgabe ist es, elektrische Biosignale im Mikro- oder Millivolt-Bereich zu erfassen, zu verstärken und in digitale Signale umzuwandeln. Je nach Anwendung werden die Signale durch Elektrodenstrukturen etwa am Armmuskel, dem Magen oder Dünndarm erfasst. Die Informationen werden quasi in Echtzeit analysiert und daraus werden Stimulationsmuster für eine therapeutische Intervention an mehreren Orten im Körper abgeleitet. Alle genutzten Implantate agieren schließlich synchronisiert im Netzwerkverbund. „Bei INTAKT wurde die gewählte Signalverarbeitungsmethode genau auf die Signalgröße und zeitliche Auflösung der erwarteten Biosignale zugeschnitten“, sagt Nanko Verwaal vom Fraunhofer IIS, das ebenfalls am Projekt beteiligt war. Dadurch war es möglich, den Energieverbrauch des Implantats zu senken. Die Batterielaufzeit ist nämlich eine der größten Herausforderungen von intelligent vernetzten Implantaten. Durch die neue Forschung ist es möglich, ein aktives Implantat, das sich zum Beispiel im Arm befindet, über eine Manschette und ein elektromagnetisches Feld kabellos mit Energie zu versorgen. „Da der Ladungszustand der einzelnen Implantate per Funk zurückgemeldet wird, kann so gezielt für jedes Implantat die richtige Menge an Energie übertragen werden“, sagt Forscher Ruff. Die Anwendungsmöglichkeiten aktiver Implantate sind vielfältig: Das INTAKT-Projekt hat neben der Tinnitustherapie auch die Verwendung bei Störungen der Darmmotilität und zur Wiederherstellung der Greiffunktion nach einer Querschnittslähmung untersucht.
Hilfe bei unheilbaren und psychischen Krankheiten
Einen weiteren Forschungstrend bei medizinischen Implantaten kennt Prof. Dr. Thomas Stieglitz, Professor für Biomedizinische Mikrotechnik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und Leiter des VDE DGBMT Fachausschusses Neuroprothetik und Intelligente Implantate. Stieglitz und sein Team haben sich im INTAKT-Schwesterprojekt INOPRO mit intelligenten Prothesen und Implantaten beschäftigt. „Wir nutzen bekannte Technologien für neue Anwendungen“, sagt Stieglitz. Ein Beispiel: die Tiefenhirnstimulation, die für Parkinsonpatienten entwickelt wurde. Dabei werden Kontaktpunkte in das Gehirn implantiert, um den Krankheitsverlauf zu überwachen. Tatsächlich kann die Tiefenhirnstimulation aber nicht nur Parkinson-Erkrankten helfen, sondern auch bei der Therapie von schweren psychiatrischen Erkrankungen eingesetzt werden. Für die Behandlung von Depressionen „laufen in Europa aktuell die Zulassungsstudien“, so Stieglitz. Auch könnte, so der Wissenschaftler, elektrische Stimulation Medikamente ersetzen. „Zielerkrankungen sind Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes, aber auch Morbus Crohn, COPD oder rheumatische Arthritis“, sagt Stieglitz – gerade dann, wenn Patienten auf Pharmaka nicht oder nicht gut ansprechen.
Funktionieren die Implantate an ihren jeweiligen Wirkungsstellen im Körper und sind mehrere von ihnen bei einer Person eingesetzt, ist der nächste Schritt die Vernetzung untereinander. „Wenn ich einen Vagusnervstimulator, eine Knieprothese und einen Herzschrittmacher habe, dann wäre es hilfreich, dass ein Gerät weiß, was das andere beschlossen hat“, sagt Stieglitz. „Der Trend geht auf jeden Fall zu mehr Vernetzung“, sagt auch Prof. Dr. med. Thomas Lenarz, stellvertretender Vorsitzender der VDE DGBMT und Professor an der Medizinischen Hochschule Hannover. Seine Forschungsschwerpunkte sind Hörstörungen und Hörimplantate. Die von ihm häufig verwendeten Cochlea-Implantate sind mittlerweile „voll digitale Systeme und setzen auf Konnektivität“. Sie kommunizieren miteinander oder auch mit Hörgeräten, wie er im ausführlichen Interview (siehe Kasten) erzählt. Nun steht die Verbindung mit anderen Implantaten bevor.
Die Implantate tauschen Daten aus – aber sicher
Unumgänglich dafür ist die gemeinsame Speicherung der Daten. Entsprechende Technologien hat das INTAKT-Konsortium mittels seiner Plattform schon realisiert. „Im Funkbereich gibt es passende Frequenzbänder, die auch für die Anwendung in Implantaten zugelassen sind“, erklärt Roman Ruff vom Fraunhofer IBMT. Ergänzt wird mit Infrarotkommunikation, die sich vor allem bei hautnahen Implantaten anbietet. Ein Aspekt, der beim Datenaustausch mitgedacht werden muss, ist die Datensicherheit. Das Fraunhofer IBMT forscht aktuell im EU-Projekt AI4HealthSec an einer Software-Plattform gegen Cyberattacken im Gesundheitswesen und bringt die vernetzten aktiven Implantate als Anwendungsfall ein. Ruff sieht allerdings ein eher geringes Risiko für die direkte Manipulation der Funktion der aktiven Implantate aus der Nähe. „Die Kommunikationsreichweite der implantierten und extrakorporalen Systemkomponenten ist sehr gering, daher können diese Systeme nur mit erheblichem Aufwand im Nahfeld kompromittiert werden“, sagt er.
Beide Wissenschaftler betonen, dass es sich bei den Entwicklungen vernetzter Implantate um Forschung handelt, die noch nicht marktreif ist, aber in Zukunft vielen Menschen helfen wird. Stieglitz: „Dass die Implantate miteinander sprechen, ist die Königsdisziplin.“
Julian Hörndlein ist Technik-Journalist in Nürnberg.