Die Idee klingt schon sehr verlockend: Mit dem E-Auto von Hamburg nach München fahren, ohne unterwegs nachladen zu müssen. Und das nicht mithilfe einer riesigen Batterie, die mehrere Hundert Kilogramm wiegt und im Fahrzeugboden verbaut ist. Sondern durch eine Technologie, an der weltweit viele Unternehmen und Forschungseinrichtungen arbeiten: das induktive Laden über ein Magnetfeld, ohne Kabelverbindung zum Fahrzeug. Durch den Wegfall dieser physischen Kabelverbindung ergibt sich eine spannende Option – das E-Fahrzeug kann nicht mehr nur wie bislang üblich stationär am Parkplatz geladen werden, sondern unterwegs, während der Fahrt. Theoretisch könnten E-Fahrzeuge, sofern entsprechend viele Straßenkilometer mit Induktionsspulen ausgestattet sind, dann künftig unendlich weit fahren.
E-Mobilität: Unendliche (Reich-)Weiten
Dass dies technologisch machbar ist, haben schon mehrere Projekte gezeigt. Vor kurzem erst hat ein Team des Instituts für Elektrische Energiewandlung (IEW) der Universität Stuttgart eine Teststrecke mit einer Effizienz in Betrieb genommen, die so bisher noch nicht erreicht worden sei, so die Forschenden. Damit sei realisierbar, dass 90 Prozent und mehr der zugefügten Energie tatsächlich für Fortbewegung genutzt würden. Damit wird die induktive Lösung absolut konkurrenzfähig im Vergleich zum konduktiven Laden per Kabel. „Mit diesem hohen Wirkungsgrad haben wir einen Meilenstein beim induktiven dynamischen Laden erreicht. Wir kennen kein System, das ähnlich effizient ist“, sagt Professorin Dr. Nejila Parspour, die das Projekt gemeinsam mit Professor Dr. Krzysztof Rudion vom Institut für Energieübertragung und Hochspannungstechnik (IEH) der Universität Stuttgart betreut.
Die Teststrecke auf dem Campus Vaihingen besteht aus 40 einzelnen Spulenelementen, jedes etwa einen halben Meter lang und breit. Der Abstand zwischen dem Fahrzeug und den Spulen beträgt gut 20 Zentimeter. Die Strecke erkennt die Position des Fahrzeugs automatisch und versorgt nur die jeweils relevanten Primärspulen im Boden. Unabhängig von der Fahrzeuggeschwindigkeit könne kontinuierlich eine Leistung von zehn Kilowatt übertragen werden. Ein Ziel der Forschung sei nun, die Leistung weiter zu erhöhen.
Laden ohne Stopps und Kabelgewirr
Wie kraftvoll induktives Laden während der Fahrt sein kann, erprobt auch der Automobilkonzern Stellantis in Norditalien auf seinem Testgelände mit dem vielversprechenden Namen „Arena del Futuro“. Auf der, frei übersetzt, „Spielwiese der Zukunft“ haben die Ingenieure einen Kilometer Asphalt elektrifiziert und erproben das induktive Laden unter anderem mit einem knuffigen Fiat 500e und einem deutlich größeren Elektrobus von Iveco. Stellantis setzt auf Gleichstrom (DC), um Wandlungsverluste zu minimieren, sowie auf Aluminiumschleifen, die günstiger sind als Kupferkabel. Ladeleistungen von bis zu 75 kW bei einer Geschwindigkeit von 70 km/h sollen auf der Teststrecke bereits erreicht worden sein. Stellantis betont, Messungen der Magnetfeldstärke bestätigten, dass es „keinerlei negative Auswirkungen“ für die Insassen des Fahrzeugs oder Passantinnen und Passanten gebe.
Induktives Laden bringt mehrere Vorteile mit sich. Weil das Elektroauto geladen wird, während es fährt, können Ladestopps ausgesetzt werden – stationäre Ladeparks werden entlastet. Das Kabelgewirr an öffentlichen Ladepunkten sowie im Kofferraum entfällt ebenfalls. Außerdem sind induktive Ladelösungen wartungsarm und sicher vor Vandalismus. Ein weiterer großer Pluspunkt: Sollten irgendwann in einer fernen Zukunft ausreichend viele Straßen- und Autobahnabschnitte das Laden während der Fahrt erlauben, könnten Batterien von Elektroautos einer Studie der Chalmers University of Technology in Schweden zufolge bis zu 70 Prozent kleiner dimensioniert werden, als das bisher der Fall ist. Damit wäre ein großer Kosten- wie auch Rohstofffaktor von E-Autos deutlich reduziert.
Vor allem für autonome Fahrzeuge wie etwa Shuttle-Kleinbusse wären induktive Ladestrecken von Nutzen, da sie dann beinahe rund um die Uhr und ohne Standzeiten im Einsatz sein könnten. In einem nächsten Schritt wollen daher Professorin Parspour und ihr Team der Universität Stuttgart die Technologie bei einem autonom fahrenden Campus-Shuttle erproben, das derzeit eingelernt wird. Dazu soll die Teststrecke zu einer Forschungsstraße auf dem Campus Vaihingen ausgeweitet werden.
Eine weitere öffentliche Teststrecke für induktives Laden von Elektrofahrzeugen entsteht in Nordbayern, als Teil des Projekts E|MPOWER, an dem mehrere Partner beteiligt sind: unter anderem die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), die TH Nürnberg, VIA IMC, die Autobahn GmbH, Risomat sowie das israelische Unternehmen Electreon, das schon seit gut zehn Jahren am kabellosen Laden arbeitet. Das Konsortium hat für das Projekt, bei dem ein Kilometer Autobahn elektrifiziert werden soll, Investitionen von gut acht Millionen Euro eingeplant. „Der Aufbau einer Teststrecke ermöglicht uns, die zu entwickelnden Prozesse für die automatisierte Herstellung und Fahrbahnintegration zu erproben und deren Funktionalität zu demonstrieren“, erklärt Dr. Alexander Kühl vom Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik (FAPS) an der FAU.
Nur eine Nacht, um einen Kilometer zu elektrifizieren
Die Übertragungsleistung des Systems soll bei bis zu 70 kW liegen. Electreons modulare Technik soll sich in einer Asphaltfräsung innerhalb nur einer Nacht auf dem gesamten geplanten Kilometer installieren lassen – inklusive Fahrbahnneueindeckung. Die Autobahn GmbH will dem Projekt hierfür einen Fahrstreifen zuweisen, dessen Oberfläche ohnehin saniert werden muss. Synergien wie diese helfen dabei, eine hohe Kosteneffizienz zu erreichen. Ab Mitte 2025 sollen Autofahrende die induktive Ladetechnologie ausprobieren können, sofern ihr Fahrzeug entsprechend ausgerüstet ist.
Allzu viel wird ein E-Auto-Akku auf dem Abschnitt allerdings nicht nachladen können. Denn beim Befahren mit Richtgeschwindigkeit fließt bei 70 kW Ladeleistung gerade mal ein halbes Kilowatt zurück in den Akku. Naheliegend wäre also, künftig vorrangig zunächst jene Autobahn- bzw. Straßenabschnitte mit Induktionsschleifen auszustatten, wo es häufig zu Staus kommt und Fahrzeuge sich länger auf bestimmten Abschnitten aufhalten, etwa in Ballungsgebieten – wo „Laternenlader“ ohne eigene Lademöglichkeit an der Wohnung oder der Arbeitsstätte das Angebot sicher mit offenen Armen willkommen heißen würden. Auf einen weiteren Vorteil von kabellosen Ladelösungen in urbanen Gebieten verweist Nejila Parspour von der Uni Stuttgart: „Die induktiven Systeme können städtebaulich leichter integriert werden, da sie keinen Platz für Ladesäulen benötigen.“
Noch ist induktive Ladetechnologie zu teuer
Noch zu klären ist, ob sich die Technologie rechnet oder ob das Laden am Kabel nicht die wirtschaftlichere Lösung wäre. Auf Anfrage erklärt der Energieversorger EnBW, der unter anderem am Forschungsprojekt ELINA (Einsatz dynamischer Ladeinfrastruktur im ÖPNV, dazu später mehr) in Balingen beteiligt ist, dass ein Kostenvergleich zu Konduktiv-Systemen aktuell schwer anzustellen sei, da induktive Ladesysteme – sei es dynamisch oder statisch – derzeit noch nicht in einem industriellen Maßstab produziert und aufgebaut werden. Die Projektbeteiligten nehmen sich aber auch dieser Forschungsfrage im Rahmen einer Technologiepotenzialermittlung im Projekt ELINA an.
Dem Aufwand und den Kosten für die Technik stellt EnBW die vielen Vorteile der streckenbasierten kontaktlosen Energieübertragung gegenüber. Die Verringerung der Batteriegröße sei perspektivisch ein wesentlicher Punkt auf Kostenseite, schließlich macht allein der Akku bei Pkw je nach Modell etwa 30 bis 40 Prozent der Fahrzeugkosten und somit einen mitunter deutlich fünfstelligen Betrag aus. Auch der Stromverbrauch von E-Autos würde sinken, da sie weniger Mehrgewicht der Batterie mit sich tragen müssten. Außerdem könnte eine streckenbasierte Ladung einen geringeren Batterieverschleiß mit sich bringen, was die Nutzungsdauer von Fahrzeugakkus erhöhen würde. Perspektivisch sei auch wichtig zu berücksichtigen, dass die Infrastruktur – etwa im Gegensatz zu elektrischen Oberleitungen, die für E-Lkw erprobt werden – von allen Fahrzeugklassen von kleinen Pkw bis hin zu schweren Lkw genutzt werden könnte. All diese Punkte seien letztlich auch finanzieller Natur und hätten das Potenzial, etwaige Mehrkosten des Systems zu rechtfertigen.
Magnetischer Beton: ressourcenschonend laden
Nejila Parspour von der Uni Stuttgart ist der Meinung, dass stationäre Systeme induktiv und konduktiv derzeit ähnlich hohe Kosten verursachen und dass sich die Mehrkosten für induktives Laden während der Fahrt in Grenzen halten dürften. Hierfür rechnet sie bei einem Neubau einer Straße mit einem Mehrpreis von etwa zehn Prozent, wobei es großes Potenzial gebe, die Mehrkosten durch Massenfertigung auf unter fünf bis gut drei Prozent zu verringern.
Einen interessanten Ansatz, um Kosten zu verringern und die Effizienz zu erhöhen, verfolgt Magment aus Oberhaching bei München: Das Unternehmen arbeitet an einem speziellen magnetischen Beton. Das Material dafür sei kostengünstig zu haben, da Ferrite, also metallene Werkstoffe wie etwa Eisen-, Nickel- und Zinkoxid, in der Produktion eine sehr hohe Ausschussrate von sieben Prozent haben. Pro Jahr gebe es weltweit gut 500.000 Tonnen Ausschuss, die bislang unter anderem ohnehin bereits für den Straßenbau zerkleinert, mitgemischt und als funktionsloser Zuschlag verbaut werden. Ferrite sollen den Beton stabiler und somit auch länger haltbar machen. Ein positiver Nebeneffekt, gerade bei höheren Belastungen. Ergänzt um elektrisch leitende Spulen und in der Zusammensetzung optimiert kann der magnetische Beton von Magment dafür genutzt werden, um Elektrofahrzeuge aufzuladen. Ein Vorteil des Systems ist, dass dank der Ferrite weniger Material für die Spulen benötigt wird – was die Lösung ressourcenschonender macht als andere Entwicklungen.
Drahtlose Ladetechnologie im Praxistest
Am Beispiel eines Gabelstaplers erklärt Firmengründer Mauricio Esguerra, was das System auf Kostenseiten so interessant macht: Weil die Batterie des Gefährts deutlich kleiner dimensioniert werden kann, ergebe sich eine Ersparnis von gut 7000 Euro. Damit könnte die Installation des Induktionssystems fast vollständig bezahlt werden, die Lösung rentiere sich somit beinahe von Anfang an.
Der Magnetbeton ist bereits im Einsatz: In den USA etwa hat Magment schon mehrere Kilometer mit seiner dynamischen induktiven Ladetechnologie ausgestattet. Und so manchem Hotelgast in Deutschland sind vielleicht schon Elektroscooter aufgefallen, die in einer Dockingstation auf die nächste Fahrt warten. Gut möglich, dass es sich dabei um das System von Magment handelt.
Wer sich selbst ein Bild von der neuen Technologie machen will, findet dafür bei der diesjährigen regionalen Gartenschau in Balingen, gut eine Autostunde südlich von Stuttgart, eine Gelegenheit. Dort wird zum ersten Mal in Deutschland eine dynamische drahtlose Ladetechnologie mit einem Shuttlebus in der Praxis getestet. Dafür haben die Projektpartner Electreon, EnBW, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und die Stadtwerke Balingen ein 400 Meter langes Electric Road System (ERS) unter dem Asphalt der Wilhelmstraße integriert. An beiden Endhaltestellen sind ebenfalls induktive Haltestellen eingeplant, dort lädt der E-Bus des Forschungsprojektes ELINA stationär. In einer zweiten Stufe wollen die Projektverantwortlichen weitere Strecken mit Magnetspulen ausrüsten, und ergänzend auch auf dem Busdepot eine weitere induktive Haltestelle einrichten – und das Projekt so auf den regulären Linienverkehr ausweiten.
Berührungspunkte mit der neuen Technologie wird es künftig also immer häufiger geben. Bis sie großflächig installiert ist und man tatsächlich ohne Ladestopp von München nach Hamburg kommt, dürfte noch einige Zeit ins Land gehen. Und bis dahin nutzt man eine kurze Ladepause einfach, um sich die Beine zu vertreten und selbst ein wenig frische Luft zu tanken.
Michael Neißendorfer schreibt als freier Journalist in München über nachhaltige Mobilität und Elektrofahrzeuge.