Über einer grünen Wiese mit Gänseblümchen wird eine leicht gebogene Folie mit Solarzellen von zwei Händen gehalten.

Über einer grünen Wiese mit Gänseblümchen wird eine leicht gebogene Folie mit Solarzellen von zwei Händen gehalten.

| Fraunhofer ISE
01.10.2022 Publikation

Neue Bedingungen

Der Klimawandel ist Fakt, allenfalls das Ausmaß ist noch zu beeinflussen. Schon seit Jahren steht deshalb Klimaanpassung auf der Agenda – etwa mit hitzeresistenten Baumarten für unsere Wälder oder mit höheren Deichen für unsere Küsten. Doch auch technologische Innovationen sind gefragt.

Von Martin Schmitz-Kuhl

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Die Idee ist bestechend, mit ihr würde man gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Große Foliendächer schützen die Pflanzen auf dem Feld vor Starkregen, Hagel, Sonnenbrand und Austrocknung. Doch statt einfache Plastikfolien zu nehmen, nimmt man hochwertige Folien mit transparenten organischen Solarzellen (Bild). Diese lassen das für Pflanzen wichtige sichtbare Licht hindurch, nutzen den infraroten Anteil aber zur Stromerzeugung, sodass die Landwirte eine weitere Einnahmequelle haben. Oder sie nutzen die Energie selbst, um das über die Folien gesammelte Wasser ganz gezielt und nach Bedarf auf die einzelnen Pflanzen zu verteilen, denn schließlich wird Wasser künftig ein noch wertvollerer Rohstoff sein, der nicht einfach so verplempert werden kann.

Was noch nach Science-Fiction klingt, ist für das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg bereits Alltag. Zumindest Forschungsalltag. Denn mit unterschiedlichen sogenannten Agri-Photovoltaik-Projekten wird dort schon seit geraumer Zeit erforscht, wie sich die Landwirtschaft mit Unterstützung solch innovativer Technologien den veränderten Klimabedingungen anpassen könnte. "Agri-Photovoltaik wird die Klimaerwärmung zwar nicht aufhalten, uns aber helfen, sich mit ihr zu arrangieren", so der zuständige Gruppenleiter Max Trommsdorff.

Es ist gar nicht so lange her, da hätte man solche Lösungen mit Argwohn betrachtet. Denn Klimaanpassung hat auch etwas von Symptombekämpfung. Natürlich wäre es sehr viel schlauer gewesen, wenn man früher und konsequenter die Ursachen der menschengemachten Klimaerwärmung bekämpft und damit eine Anpassung an neue Gegebenheiten gar nicht erst nötig gemacht hätte. Jetzt noch die Augen davor zu verschließen, dass die Klimaerwärmung in vollem Gang und nicht mehr rückgängig zu machen ist, wäre indes ebenfalls nicht besonders schlau. Dafür gab es einfach in den letzten Jahren schon zu viele Hitzesommer, Jahrhunderthochwasser, Flutwellen und andere Extremwetterereignisse.

Und so ist neben dem Kampf gegen die fortschreitende Klimaerwärmung die Klimaanpassung ein vorrangiges Ziel der Bundesregierung im Allgemeinen und der grünen Umweltministerin Steffi Lemke im Besonderen. Bis Mitte der Legislaturperiode will sie eine neue Anpassungsstrategie vorlegen, die die alte aus dem Jahr 2008 endlich ablöst. Die Strategie wird auf der Klimawirkungs- und Risikoanalyse basieren, die das Umweltbundesamt im vergangenen Jahr vorlegte. "Und sie wird zweifellos wesentlich ambitionierter sein, mit klar messbaren Zielvorgaben", verspricht Petra Mahrenholz. 

Im Fokus der Anpassung stehen die Städte

Petra Mahrenholz

"Wir müssen uns dringend überlegen, wie wir unsere Infrastrukturen resilient gegen Ausfälle durch Extremwetterereignisse machen." Petra Mahrenholz, Leiterin des Kompetenzzentrums Klimafolgen und Anpassung (KomPass) beim Umweltbundesamt.

| Privat

Die Meteorologin ist seit seiner Gründung im Jahr 2006 die Leiterin des im Umweltbundesamt angesiedelten Kompetenzzentrums Klimafolgen und Anpassung (KomPass), dessen Aufgabe es ist, die Anpassungsstrategie zu fördern und deren Weiterentwicklung zu begleiten. Im Gespräch mit dem VDE dialog betont sie, dass sie die Klimaanpassung als gesamtgesellschaftliche Herausforderung begreift, die sektorenübergreifend angepackt werden müsse. Auch die Elektro- und Informationstechnik sei hier gefragt, wenn beispielsweise die Städte angesichts steigender Temperaturen hitzeresistenter werden sollen.

"Allein in der Haus- und Klimatechnik muss viel passieren, und das auf eine Weise, bei der nicht mehr Energie verbraucht wird, sondern möglichst weniger", so Mahrenholz. Schließlich sind Städte bereits heute laut Weltklimarat (IPCC) für mehr als 70 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich und verbrauchen bis zu 76 Prozent der Energie. Wenn künftig noch mehr konventionelle Klimaanlagen für Kühlung sorgen würden, wäre dies daher zwar vielleicht im Sinne der Klimaanpassung, die Klimaerwärmung würde aber dadurch noch schneller voranschreiten. "Das darf natürlich überhaupt nicht passieren", so Mahrenholz. "Beide Ziele müssen energisch verfolgt werden und sich nicht gegenseitig widersprechen."

Ohnehin stehen neben der Land- und Forstwirtschaft vor allem die Städte im Fokus der Klimaanpassung. "Eine Smart City muss heute unbedingt auch eine klimaresistente Stadt sein", meint zum Beispiel Jens Hasse vom Deutschen Institut für Urbanistik. Seit Anfang des Jahres ist der Ingenieur auch Leiter des dort eingerichteten Zentrums 'KlimaAnpassung', das die Bundesregierung vor einem Jahr als Beratungszentrum für Kommunen initiiert hat. Das Thema Klimaanpassung gehört für Hasse nicht nur auf die Agenda einer Smart City, weil alles andere eben nicht smart im Sinne von "schlau" und "vorausschauend" wäre, sondern auch, weil sich digitale Lösungen bei diesem Thema schlichtweg aufdrängten.

Infrastrukturen vor Extremwetter schützen

Begrünte Hauswand

Viel grün hilft viel: In einer Schwammstadt wird Regenwasser aufgenommen und gespeichert, statt es nur zu kanalisieren und abzuleiten. 

| stock.adobe.com/mysteryshot

Beispiel: Schwammstadt. Das Prinzip der Schwammstadt und der wassersensiblen Stadtentwicklung verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz und hält Lösungen für auf den ersten Blick gegensätzliche Klimafolgen wie Starkregen und Hitzewellen mit andauernder Trockenheit bereit. Dabei geht es um die Fähigkeit einer Stadt, ein Zuviel an Wasser aufzusaugen, es wie ein Schwamm zu speichern und dann durch Verdunstung und gezielte Bewässerung verzögert wieder abzugeben. Die Vorteile einer solchen Schwammstadt sind vielfältig, neben dem Schutz gegen Starkregenfolgen und einer Kühlung in Hitzeperioden reduzieren sich auch die Entwässerungskosten, während die Biodiversität durch die entstehenden Grünflächen steigt. Ohne digitale Lösungen sind solche Konzepte jedoch nicht möglich. "Sogenannte Blau-Grüne Dächer werden dabei mit einem Sensorsystem ausgestattet und reagieren aktiv auf die aktuelle Wetterlage und Vorhersage", erklärt Hasse die Idee hinter diesen Smart Roofs. Automatisch würde dort Wasser gespeichert oder gezielt abgegeben werden.

Selbstverständlich sind, wenn es darum geht, Städte zu planen, die mit den künftigen Klimabedingungen besser klarkommen, vor allem Architekten und Stadtplaner gefragt. Diese müssen lernen, dass es keine gute Idee ist, zum Beispiel Glaspaläste zu bauen, die sich im Sommer unweigerlich aufheizen. Dabei müssen sie sich eigentlich nur auf das besinnen, was in südlichen Gefilden zumindest früher gang und gäbe war: eng stehende, schattenspendende Gebäude, klimaangepasste Baustoffe und Bauweisen sowie passive Ventilationsmaßnahmen statt energiefressender Klimaanlagen. 

"Von solarer Kühlung, vernetzten Systemen und Steuerungen bis hin zu gebäudeintegrierter Photovoltaik gibt es da allerdings auch für Elektroingenieure noch genug tun", ist Jens Hasse vom Zentrum 'KlimaAnpassung' überzeugt. Oft ginge es aber auch hier gar nicht um irgendwelche Innovationen, sondern vielmehr darum, in der Fläche umzusetzen, was längst entwickelt ist. Entwicklungs-, Forschungs- und vor allem Diskussionsbedarf sieht er, genauso wie Petra Mahrenholz von KomPass, eher auf einem ganz anderen Feld. "Wir müssen uns dringend überlegen, wie wir unsere Infrastrukturen resilient gegen Ausfälle durch Extremwetterereignisse machen", zeigt sich Mahrenholz überzeugt. Und Hasse ergänzt mit Blick auf die vergangenen Katastrophen wie zum Beispiel die im Ahrtal: "Hinterher ist mensch natürlich immer schlauer – aber zumindest das sollte man dann auch sein!" 
 

Ohne resilientes Stromnetz geht es nicht

Zu tun gibt es hier einiges, wie auch ITG und ETG im VDE immer wieder betonen. Beispiel Energie: Mögliche Einschränkungen in der Versorgung ergeben sich hier insbesondere durch Unterbrechungen der Stromversorgung über Verteil- und Übertragungsnetze. Diese können auftreten, wenn die Netzinfrastruktur durch Starkregen, Hochwasser oder Stürme beschädigt wird. Aber auch schon Hitze und Trockenheit können zum Problem werden. So verschlechtern hohe Temperaturen die Übertragungskapazität von Hochspannungsleitungen und Trockenheit im Erdreich kann bei Erdkabeln dazu führen, dass die Wärme nicht abströmen kann und sich die Energieverteilung staut.

Ähnlich problematisch ist es bei der Kommunikation: Schon der Ausfall eines Rechenzentrums kann dazu führen, dass – wie bei der Elbeflut 2013 – in der ganzen Region Telefon und Internet ausfallen oder – wie jüngst bei der Hitzewelle in London – sogar weltweit Websites offline gehen. "Wenn wir uns an das Klima anpassen wollen, geht dies nicht ohne eine resiliente Strom- und Kommunikationsinfrastruktur", betont auch der VDE Vorstandsvorsitzende Ansgar Hinz. "Wegen der gegenseitigen Abhängigkeiten von Energieversorgung und Kommunikation sind gezielte und sektorübergreifende Anstrengungen und Konzepte sowie ein koordiniertes Vorgehen und eine kluge Regulierung erforderlich. Der VDE steht hierfür bereit!"

"Smart heißt auch: vorausschauend"

Jens Hasse

Jens Hasse ist Teamleiter Klimaanpassung & Stadtökologie beim Deutschen Institut für Urbanistik gGmbH (Difu) und Leiter des dort eingerichteten Zentrums 'KlimaAnpassung'.

| Difu/Tomy Badurina
01.10.2022 Publikation

Warum eine Smart City um das Thema Anpassung nicht herumkommt und in welchen Bereichen sich insbesondere Elektroingenieure engagieren könnten, erklärt Jens Hasse vom Deutschen Institut für Urbanistik.

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Autor: Martin Schmitz-Kuhl ist freier Autor aus Frankfurt am Main und Redakteur beim VDE dialog.