Jens Hasse

Jens Hasse ist Teamleiter Klimaanpassung & Stadtökologie beim Deutschen Institut für Urbanistik gGmbH (Difu) und Leiter des dort eingerichteten Zentrums 'KlimaAnpassung'.

| Difu/Tomy Badurina
01.10.2022 Publikation

"Smart heißt auch: vorausschauend"

Warum eine Smart City um das Thema Anpassung nicht herumkommt und in welchen Bereichen sich insbesondere Elektroingenieure engagieren könnten, erklärt Jens Hasse vom Deutschen Institut für Urbanistik.

Von Martin Schmitz-Kuhl

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Herr Hasse, muss eine Smart City heutzutage zwangsläufig auch eine klimaresistente Stadt sein?

Jens Hasse: Ich denke, das ist unabdingbar. Insbesondere gilt das natürlich dann, wenn man smart in seiner ursprünglichen Bedeutung von "schlau", "clever" und "intelligent" versteht. Denn eine Stadt muss sich natürlich auf jeden Fall mit der Zukunft beschäftigen und vorausschauend sein, insbesondere, was klimatische Änderungen und Extremwetterereignisse angeht. Aber selbst was den technischen und digitalen Aspekt von smart bzw. Smart City betrifft, gibt es viele Berührungspunkte.

Inwiefern?

Hasse: Digitale Lösungen sind natürlich nicht nur für eine gute Straßenbeleuchtung oder für die Energieversorgung gut. Wenn wir diese Technologien und die Infrastruktur dazu schon haben, können wir sie auch für andere Services wie die Klimavorsorge einsetzen. Sobald Sie beispielsweise einen Sensor für das Parkraum-Management haben, kann man den auch erweitern oder zumindest die Leitungen beispielsweise für die Messung von aktuellen lokalen Wetter- und Klimadaten einsetzen. Denn exakte lokale Daten gekoppelt mit genauen Vorhersagen können sehr wichtig sein, um auf Extremwetterereignisse zu reagieren.

Zum Beispiel, um Flutkatastrophen zu verhindern?

Hasse: Genau. Wir haben inzwischen eigentlich gelernt, dass bloßes Ableiten von Regenwasser keine gute Lösung ist. Denn der abfließende Niederschlag – das zeigte sich im Ahrtal. aber auch genauso in Städten wie 2017 in Goslar –, sammelt sich, wird immer mehr und schneller und lässt sich dann nicht mehr auffangen oder lenken. Deshalb brauchen wir intelligente Systeme überall in Einzugsgebieten von Flüssen, Bächen, aber auch höher gelegenen Siedlungsgebieten, die frühzeitig und "smart" erkennen, welches Wasser wann wohin geleitet und zwischengespeichert werden kann. Dann müssen eben zum Beispiel vorab Zisternen und Rückhaltebecken kontrolliert geleert werden, damit sie dann in solchen Fällen mehr Wasser aufnehmen können. Aber auch die Dächer könnten hier eine Rolle spielen. Stichwort: Smart Roofs.

Was ist an diesen Dächern smart?

Hasse: Die "Blau-Grünen" Dächer, also begrünte Dächer, die auch Regenwasser zurückhalten können, werden mit einem Sensorsystem ausgestattet, mit dem Netzwerk für den ganzen Stadtteil verbunden und können so entsprechend der aktuellen Wetterlage und Vorhersage automatisch oder sogar aktiv gesteuert werden. Sie sind so in der Lage, überschüssiges Regenwasser zu speichern und die Häuser und Stadtviertel vor den Auswirkungen sehr starker Regenereignisse, aber auch vor Hitze und Dürre zu schützen, indem sie Wasser zur Kühlung und zur Bewässerung von Pflanzen und Bäumen bereitstellen. Und das alles weitgehend automatisiert, sodass es eben nicht mehr menschlicher Planung und Steuerung bedarf. All solche Lösungen gibt es schon, beispielsweise in der Landwirtschaft oder im "Smart Gardening"-Bereich, damit verbunden ist aber natürlich ein gewisser Investitionsaufwand seitens der Gebäudeeigentümer und der Kommunen bzw. von deren Stadtentwässerungen, der zum Teil die Berührungsängste gegenüber solchen technologischen Lösungen erklärt.

Eben haben Sie bereits die Hitze erwähnt. Welche Innovationen sind in diesem Bereich sonst noch denkbar?

Hasse: Man könnte mit einem solchen System von Sensoren natürlich Menschen davor warnen, bestimmte Orte aufzusuchen oder empfehlen, sie zu meiden, oder andersherum auch auf andere Orte zum Abkühlen hinweisen. So sehr Science-Fiction ist das übrigens gar nicht: Interaktive Hitze-Straßenkarten gibt es schon in Städten wie Paris, aber auch in Worms und verschiedenen anderen Kommunen in Deutschland. 

Geräte zur Abkühlung sind dann aber wieder eher Klimakiller, oder?

Hasse: Und nicht nur das. Die meisten Klimaanlagen machen ja nicht nur den Innenraum von Gebäuden kühler, sondern auch den Außenraum, den öffentlichen Raum heißer, weil sie die ganze Wärme auf die Straße abgeben. Hier geht es in Zukunft darum, die Häuser ganz anders zu bauen und im Prinzip die Physik zu nutzen – also viel mehr mit Verschattung, Kamineffekten, anderen Baustoffen etc. zu arbeiten.

Also weniger ein Arbeitsgebiet für den Elektroingenieur?

Hasse: Da gibt es für alle Ingenieure genug zu tun – von solarer Kühlung, vernetzten Systemen und Steuerungen bis hin zu gebäudeintegrierter Photovoltaik. Oft muss man da das Rad allerdings auch gar nicht neu erfinden, sondern nur das konsequent umsetzen, was wir schon seit Jahren für den Bereich nachhaltiges Bauen diskutieren. Hier dürfen wir auch nicht alles Bauherren und Architekten überlassen, bei denen oft der architektonische Entwurf und die Finanzen die entscheidenden Kriterien sind. Aber auf Ersteres dürfen wir in Zukunft nicht mehr so viel Rücksicht nehmen, wenn wir klimarobust und ressourceneffizient …hier fehlt ein Verb…und Letzteres ist zu kurzsichtig: Denn nachhaltige Lösungen zahlen sich auf die Dauer, im gesamten Lebenszyklus, immer aus.

Muss eine smarte Stadt auch ihre Infrastruktur besser sichern?

Hasse: Auf jeden Fall! Natürlich müssen wir aus Flutkatastrophen wie die im vergangenen Jahr unsere Konsequenzen ziehen und zum Beispiel erkennen, dass es sicherlich keine gute Idee war, die Operationssäle im Eschweiler Krankenhaus im zweiten Untergeschoss unterzubringen, ohne diese mit robusten Flutschotts auszustatten, wie wir sie beispielsweise aus Hamburg kennen. Hinterher ist mensch natürlich immer schlauer – aber zumindest das sollte man dann auch sein! Das heißt, Smart City sollte auch Klima- und andere Zukunftsvorsorge umfassen, die solche Extremwetterereignisse in Stadtentwicklungsplanungen miteinbezieht, also beispielsweise Verteilerkästen einen Meter über Grund zu bauen oder Heizsysteme und IKT-Systeme nicht im Keller, sondern beispielsweise unter dem Dach unterzubringen.

Das klingt einfach.

Hasse: Ist es in vielen Fällen auch. Bei anderen Maßnahmen müssen wir aber vielleicht auch etwas grundsätzlicher ran. Intelligente Stromnetze (Stichwort: Smart Grid), Eigenstromerzeugung auf Gebäuden und Notfall-Batteriesysteme wären zum Beispiel Möglichkeiten, um einzelne Quartiere und Kommunikationssysteme im Falle eines Hochwassers oder eines anderen Großschadensfalls etwas unabhängiger und sicherer zu machen. Um so etwas umzusetzen, geht es allerdings nicht nur um technische Lösungen, sondern auch um Zuständigkeiten, rechtliche Rahmenbedingungen, Finanzierungen, gute Kommunikation und Vorsorge etc. Das ist dann nicht mehr ganz so einfach.