mehrere dicke Kabel mit dem Aufdruck Superlink
Vauel
01.01.2025

Wundermaterial: Unter Umständen super

Supraleiter transportieren Strom ohne Verluste. Mit dieser Eigenschaft könnten sie einen erheblichen Beitrag zur Einsparung von Energie leisten. Doch bis Supraleiter flächendeckend eingesetzt werden können, ist noch viel Forschung nötig.

München geht mutig voran. Wenn alles klappt wie gedacht, nehmen die hiesigen Stadtwerke (SWM) bis spätestens 2030 den „mit Abstand längsten Hochtemperatur-Supraleiter der Welt“ in Betrieb. Geplant ist ein 15 Kilometer langes Kabel vom Hauptumspannwerk Menzing bis in den Stadtbezirk Sendling. Im Oktober 2024 wurde in Menzing bereits ein Prototyp in Betrieb genommen. Das Ziel des Projekts mit dem Namen Superlink: die Ersparnis von Millionen Kilowattstunden Strom. „Wenn wir damit erfolgreich sind, kann das für Städte weltweit ein Beispiel sein. Denn alle stehen vor der gleichen Herausforderung: dem stetig wachsenden Energiehunger“, sagt Helge-Uve Braun, Technischer Geschäftsführer der Stadtwerke München.

Hinter den großen Hoffnungen steckt eine Technologie, die Ingenieure, Techniker und Forschende gleichermaßen beschäftigt. Supraleiter haben die Eigenschaft, dass Energie durch sie hindurch ohne Verluste transportiert werden kann. Üblicherweise eingesetzte Kabel für die Stromversorgung, die etwa aus Kupfer sind, produzieren einen Energieverlust von sechs bis sieben Prozent. Angesichts der gewaltigen Mengen Strom, die minütlich verbraucht werden, ein Verlust, der nicht gerade leicht zu verschmerzen ist.

Bereits vor mehr als 100 Jahren fand der niederländische Physiker Kamerlingh Onnes heraus, dass der elektrische Widerstand von Quecksilber unter Umständen verschwindet, und entdeckte so die Supraleitung. Allerdings muss man supraleitende Materialien – auch Blei gehört dazu – bis fast zum absoluten Temperaturnullpunkt von null Kelvin herunterkühlen. Die benötigte Temperatur liegt auf der Celsius-Skala ausgedrückt bei etwa minus 269 Grad. Onnes schaffte das mit flüssigem Helium. Der Hintergrund: Bei null Kelvin kommen physikalische Teilchen zum Stillstand und alle Unordnung verschwindet und damit auch der Widerstand in supraleitenden Materialien. Da solch eine Kühlung extrem aufwendig ist und viel Energie verbraucht, sind Supraleiter nicht alltagstauglich.

Um eine solche Tauglichkeit zu erreichen, drehen etliche Forschungsprojekte sich seither darum, die benötigte Temperatur zu erhöhen – je weniger kalt Supraleiter sein müssen, um zu funktionieren, desto einfacher gelingt es, desto mehr Einsatzmöglichkeiten gibt es.

Ringen um jedes Grad

Blick in ein Hochtemperatursupraleiter-Stromkabel

Blick in ein Hochtemperatursupraleiter-Stromkabel: Flüssiger Stickstoff (blau) kühlt die Leiter, die aus keramischen Werkstoffen bestehen. Um Kühlverluste zu vermeiden, müssen die Kabel sehr gut isoliert sein.

| NKT A/S
01.01.2025 VDE dialog

Eine kurze Forschungsgeschichte der Supraleiter 

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Einen entscheidenden Beitrag leistete in den 1980er-Jahren der deutsche Physiker Georg Bednorz. Gemeinsam mit dem Schweizer Karl Alexander Müller entdeckte er die supraleitenden Eigenschaften von keramischen Materialien. 1987 erhielten sie dafür den Nobelpreis für Physik. Die neuen Supraleiter werden Hochtemperatur-Supraleiter genannt – wobei Hochtemperatur relativ zu verstehen ist. Sie benötigen immer noch sehr tiefe Temperaturen, damit der elektrische Widerstand verschwindet. Besonders relevant wird der Unterschied aber, wenn die nötige Temperatur 77 Kelvin (minus 196 Grad Celsius) oder mehr beträgt. Denn dann ist man zur Kühlung nicht auf das vergleichsweise teure Helium angewiesen, hier kann Stickstoff zur Kühlung eingesetzt werden.

Metallische Supraleiter sind heute schon im Einsatz, etwa in der Medizin. Weil Supraleiter auch sehr starke Magnetfelder erzeugen können, nutzt man sie in Magnetresonanztomographen (MRT), um den menschlichen Körper zu durchleuchten. Der Anwendungsfall zeigt, dass der Einsatz von Supraleitern in kleinem Maßstab schon heute möglich und sinnvoll ist.

So einen Anwendungsfall sehen die Stadtwerke München auch in ihrem Projekt Superlink. Um dieselbe Menge Strom zu transportieren wie in einem konventionellen Leiter, benötigt ein Supraleiter eine sehr viel geringere Spannung. „Ideal für Städte!“, wie es in der Projektbeschreibung heißt. Das nötige Umspannwerk müsse nicht größer sein als eine Doppelgarage. Auch die Leitung selbst sei extrem kompakt und daher gerade für dicht bebaute Areale hervorragend geeignet, da der Aufwand für die Leitungsverlegung sehr viel geringer sei.

Wenn große Strommengen über weite Strecken mittels supraleitender Kabel transportiert werden könnten, hätte das enorme positive Auswirkungen auf den Klimawandel. „Es wären weniger Kraftwerke nötig, weniger Treibhausgase würden freigesetzt, die Kosten würden stark fallen“, so die Stadtwerke München. Man räumt aber auch ein: „Ein großflächiges überregionales Netz aus Supraleitern ist bei den momentan benötigten Temperaturen nicht wirtschaftlich.“

Aufnahme von Helge-Uve Braun

„Den nötigen Umbau des Münchener Stromnetzes werden wir mit den bisherigen Technologien nicht schaffen.“ Helge-Uve Braun, Technischer Geschäftsführer der Stadtwerke München

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Chancen der Supraleitertechnologie zu zeigen und ihre wirtschaftliche Verbreitung zu fördern, das hat sich der Interessenverband Supraleitung (ivSupra) zur Aufgabe gemacht. In ihm sind Unternehmen der Branche und wissenschaftliche Institute organisiert. Sie setzen sich für „eine systematische Förderung von Leuchtturm- und Pilotprojekten, die geeignet sind, die Verbreitung der Supraleitertechnologie zu beschleunigen“ ein. Der VDE ist 2023 eine Kooperation mit dem ivSupra eingegangen. „Es ist unsere Aufgabe, die Netzwerke und Communitys zusammenzubringen und technologieoffen und neutral über die Vor- und Nachteile von Innovationen zu berichten“, so VDE CTO Dr. Martin Hieber.

Durch den hohen Aufwand für die Kühlung ist der Einsatz von Supraleitern nur unter bestimmten Umständen wirtschaftlich lohnend – der Übergang in die Massenfertigung ist daher noch weit entfernt.

„Wenn wir einen nennenswerten Beitrag mit Supraleitern zur Energiewende leisten wollen, dann müssen wir schnell große Mengen dieser Technologie in den Energiemarkt bringen“, sagt Dr. Michael Bäcker. Er ist Professor an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg im Fachbereich angewandte Naturwissenschaften und Geschäftsführer der MaTech-Consult. Das Unternehmen berät Firmen und Investoren bei der Produkt- und Prozessentwicklung mit dem Schwerpunkt Materialien für die Energietechnik und effiziente Beschichtungstechnologien. Außerdem ist Bäcker Vorstand im ivSupra. Der nötige Schritt in die Massenfertigung sei nicht absehbar, da es nur wenige Förderprojekte und diese in großen Abständen gebe. Man suche in der Branche intensiv nach Unternehmen, die hier mitziehen. Einige gebe es, die sich trauen, darunter die Stadtwerke München.

Ist das Münchener Projekt besonders mutig – oder einfach pragmatisch? München hat zwei Hauptumspannwerke, deren Leistung aber nicht mehr lange ausreicht, um die Region mit Strom zu versorgen. „Wenn es uns nicht gelingt, Technologien wie den Supraleiter einzusetzen, dann werden wir aufgrund des Energiebedarfs der Stadt ein drittes Hauptumspannwerk bauen müssen. Das verbraucht Fläche, in Städten ein knappes Gut, und kostet sehr viel Geld“, erläutert SWM-Geschäftsführer Helge-Uve Braun. „Im Rahmen der Energie- und Wärmewende müssen wir das Münchner Stromnetz in den nächsten 20 Jahren enorm ausbauen und modernisieren“, so Braun weiter. „Das werden wir mit den bisherigen Technologien nicht schaffen. Dabei kann der Supraleiter eine wichtige Rolle spielen.“

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