Eine Roboterhand zeigt das Okay-Zeichen
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01.01.2025 VDE dialog

Roboter: Alles im Griff

Mehr Geräte, vielfältigere Einsatzmöglichkeiten, größerer Radius: Die Welt der Industrieroboter verändert sich rasant – auch wenn die wichtigsten Entwicklungen eher im Verborgenen stattfinden.

Von Manuel Heckel

Wummernde Bässe, glitzernde Lichter, ein jubelndes Publikum – es war eine ungewöhnlich große Bühne für eine Automatisierungsanlage. Anfang Oktober 2024 ließ Tesla- Chef Elon Musk bei einer Firmenveranstaltung mehrere Roboter in menschlicher Gestalt aufmarschieren. „Alles, was wir für autonome Fahrzeuge entwickelt haben – Batterien, Elektronik, Motoren, Schaltgetriebe, Software –, können wir auch für humanoide Roboter verwenden“, sagte Musk. Beim Event servierten die Roboter den Gästen Getränke, abseits des großen Scheinwerferlichtes sollen diese Roboter bald intern beim US-Autobauer mitarbeiten. Wenige Tage nach der Veranstaltung entzauberten Tech-Medien jedoch die eindrucksvollen Bilder. Die meisten Bewegungen seien von Mitarbeitern hinter den Kulissen ferngesteuert worden.

Die Begeisterungsstürme zeigen: Roboter, die für den Industrieeinsatz gedacht sind, sorgen für eine große Faszination auch außerhalb der Branche. Und auch jenseits dieser Bilder bewegt sich viel – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die Anzahl der Roboter nimmt zu, ihr Einsatz rechnet sich viel häufiger und ihr Radius erhöht sich immer stärker. „Es verändert sich einiges auf diesem Markt“, sagt Jörg Rommelfanger, der die Robotics-Division des Schweizer Herstellers ABB in Deutschland leitet.

Der im Herbst veröffentlichte „World Robotics Report“ der International Federation of Robotics (IFR), einem Zusammenschluss der weltweiten Herstellerindustrie, zählte für das Jahr 2023 mehr als eine halbe Million neu installierte Anlagen. Weltweit arbeiteten zum Jahreswechsel 2023/2024 rund 4,2 Millionen Roboter. Die Automobilindustrie war dabei mit 135.000 Robotern größter Abnehmer. Dahinter folgte die Elektronikindustrie mit ähnlichen Absatzzahlen. Unternehmen aus dem Metall- und Maschinenbau installierten 77.000 Roboter und damit 16 Prozent mehr Geräte als im Vorjahr.

Weltweit arbeiten schon heute mehr als vier Millionen Roboter, oft Hand in Hand mit Menschen. Die Faszination für die stetig neuen Entwicklungen ist groß.

Immer gilt: Einen, mehrere, Hunderte Roboter holen sich Unternehmen nicht aus Technikliebe in die Produktion, sondern aus wirtschaftlichem Kalkül. Und das geht immer häufiger auf: „Früher war die Automatisierung ein Nice-to-have, heute ist sie ein Must-have“, sagt Mladen Milicevic, Gründer von Unchained Robotics. Das Paderborner Unternehmen hilft Mittelständlern dabei, die passenden Automatisierungslösungen zu finden. Und hat im vergangenen Jahr den „MalocherBot“ auf den Markt gebracht. Dahinter stecken Komplettlösungen für populäre Einsatzzwecke wie das Palettieren, das Schleifen oder das „Picken“, also das Zusammenstellen von Warenkörben im Lager.

Die grundsätzlichen Gründe für das Robotik-Wachstum ähneln sich dabei rund um den Globus. Es geht immer um die Suche nach einer möglichst hohen Produktionseffizienz. In vielen Fällen wird diese Suche beschleunigt durch irgendeine Form von Fachkräftemangel: Entweder fehlen Beschäftigte ganz, um unangenehme, anstrengende, repetitive oder gefährliche Arbeiten zu übernehmen – oder sie fordern so hohe Stundenlöhne, dass sich ein Robotereinsatz rascher rentiert.

grüner Arm eines Industrieroboters
KUKA Group

Oder das Wachstum eines Produktionsunternehmens ist durch den Personalmangel begrenzt – während Roboter klaglos auch die Nachtschicht übernehmen und in ihrer zwölften Arbeitsstunde ähnlich präzise arbeiten wie in Stunde eins. Einige Branchen haben nach Lieferkettenproblemen der vergangenen Jahre damit begonnen, Teile der Produktion wieder näher an den Hauptsitz zu holen, um verlässlicher produzieren zu können. Je höher das Lohnniveau, desto eher rechnet sich häufig ein Roboter. „In vielen Ländern ist eine wirtschaftliche Fertigung ein Haupttreiber“, sagt René Kring, „diese Entwicklung begegnet uns weltweit und branchenunabhängig.“ Kring ist verantwortlich für die Geschäftsentwicklung im Bereich Automation Solutions bei der Firma Cloos, die insbesondere in der Schweißtechnik aktiv ist.

Der Einsatz von Industrierobotern ist längst keine technikverliebte Spielerei mehr, sondern ein entscheidender Faktor beim wirtschaftlichen Kalkül.

Eine zweite, parallel verlaufende Entwicklung sorgt ebenfalls dafür, dass die Robotik-Rechnung für immer mehr Unternehmen aufgeht: Die Preise sind in den vergangenen Jahren deutlich gefallen. Zum einen durch die Entwicklung sogenannter Cobots. Dahinter stecken Leichtbauroboter, die häufig auch mobil unterwegs sind und enger mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Produktion interagieren. Zum anderen dadurch, dass die maschinellen Helfer mittlerweile deutlich günstiger hergestellt werden können, getrieben vor allem durch den Eintritt chinesischer Robotikfirmen.

Das setzt die Margen unter Druck. Eine positive Folge hat dieser Preisverfall jedoch auch für die Herstellerseite: Der potenzielle Abnehmermarkt vergrößert sich. Waren es früher nahezu ausschließlich industrielle Massenmärkte – allen voran die Automobilindustrie, in denen Roboter im Akkord Teile bogen –, wird der Einsatz von Automatisierung häufiger für Mittelständler, Kleinbetriebe oder sogar Handwerker interessant. „Die Technologie bringt uns dahin, dass wir in neue Märkte einsteigen können, die früher nicht für uns zugänglich waren“, sagt Rommelfanger.

Manchmal steht dahinter eine Grundsatzfrage: Wählt die Industrie Roboter, die den vertrauten Arbeitsablauf kopieren? Dann werden häufig hohe Anpassungskosten fällig, zudem kann es lange dauern, bis die exakte Lösung steht. „Das sorgt aktuell noch für einen Engpass in der Automatisierung“, sagt Milicevic, „hilfreich wären hier mehr ‚Plug&Play-Lösungen‘.“ Der Traum vieler Anwender: Roboter bestellen, aufstellen, anschließen – los geht’s.

Roboterarm mit Saugnäpfen
ABB

Ganz so weit ist es noch nicht. Aber die Richtung stimmt. Obwohl die Eintrittspreise sinken, haben sich die technischen Möglichkeiten in den vergangenen Jahren deutlich erweitert. Dabei ähneln die allermeisten Industrieroboter auf den ersten unbefangenen Blick immer noch sehr ihren Vorfahren aus den 70er- oder 80er-Jahren: Ein Greifarm, angetrieben von einem oder mehreren Elektromotoren, bewegt sich in verschiedene Richtungen, ausgestattet ist er mit dem jeweils passenden Werkzeug.

Die Funktionsweise ist meist gleich geblieben – die Mechanik der heutigen Industrieroboter ist hochentwickelt. Optimierungspotenzial gibt es etwa durch den Einsatz von Materialien wie Kohlefaser oder gar Hochleistungskunststoffen. Dadurch können Roboter heute mit weniger Grundgewicht gebaut werden. Das sorgt für eine kompaktere Bauweise bei gleichen Leistungsdaten. Neue Antriebe, etwa sogenannte Torque-Motoren, helfen dabei, die Arme der Automatisierungshelfer effizienter und wartungsärmer zu betreiben.

Doch die entscheidende Entwicklung passiert eher im nicht sichtbaren Bereich: „Software wird entscheidend für die Frage sein, wie schnell und wirtschaftlich man entsprechende Anwendungen in den Markt bringen kann“, sagt Georg Stieler, Geschäftsführer der spezialisierten Stieler Technologie- & Marketing-Beratung (STM). Auch Kring sieht hier die entscheidenden Stellschrauben: „Die Leistungsfähigkeit von Software und Steuerungshardware steigt enorm und pusht dadurch die Performance von Robotern immer mehr.“

Wo große Datenmengen entstehen, ist Künstliche Intelligenz (KI) nicht weit. Viele Visionen gehen dabei erneut in die Richtung, sich rascher auf andere Bedingungen einstellen zu können. In der Robotik könnte die zum Beispiel in Zukunft dabei helfen, eigenständig Arbeitsmuster zu entwickeln. Für Schweißtechnik beschreibt Kring die Möglichkeit, dass Bauteile automatisiert gescannt werden – und die Anlage durch Maschinelles Lernen weiß, wo welche Art von Schweißnaht gesetzt werden muss, um die vorgegebenen Spezifikationen zu erfüllen. Ebenfalls denkbar: die Fähigkeit, Sprachbefehle oder die Dokumentationen von Kunden direkt in verschiedene Arbeitsschritte zu übersetzen und zu zerlegen.

Aus mechanischen Helfern werden so immer stärker vernetzte Anlagen, die im besten Fall auch entlang verschiedener Produktionsschritte und Roboter miteinander kommunizieren. So werden die Lösungen für die einsetzenden Unternehmen simpler. Im Hintergrund kann es dagegen komplexer werden: Zu dem bisherigen Mix aus Roboterhersteller, Spezialisten für die Manipulatoren (die Werkzeuge) und Integratoren, die alles zusammenbinden, kommen nun auch Softwarehersteller und Tech-Konzerne dazu.

Roboterarm mit Schweißaufsatz
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Sogar ein Chiphersteller wie Nvidia, mit dem KI-Boom massiv gewachsen, bietet Lösungen speziell für die Robotik an. Hier geht es unter anderem um das sogenannte Edge Computing. Dabei geschieht ein Großteil der notwendigen Rechenarbeit auf einem Chip, der direkt im Roboter verbaut ist. Auch an anderen Stellen profitiert die Branche von den Fortschritten, die nicht explizit für die Robotikindustrie entwickelt wurden. Etwa in der Kameratechnik: „Roboter verstehen besser, was sie vor sich haben, treffen dann in einem bisher eher eng begrenzten Korridor Entscheidungen und passen ihre Bahnplanung dynamisch an“, sagt Stieler.

Eigenständig losarbeiten im Sinne von Plug & Play können Roboter auch durch den Einsatz von KI noch nicht. Sie müssen genau wie menschliche Kollegen angelernt werden.

Das hilft insbesondere dann, wenn etwa Cobots nicht in einem abgegrenzten und abgesicherten Arbeitsbereich unterwegs sind, sondern sich frei durch Lagerhallen oder Produktionsstraßen bewegen. Mittlerweile macht dieser Robotertyp, der für ein kollaboratives Arbeiten mit Menschen ausgelegt ist, etwa zehn Prozent der weltweit aktiven Maschinen in der Industrie aus. Je näher sie am Menschen aktiv sind, desto mehr Anforderungen jenseits der reinen Technik müssen sie erfüllen.

Ein Themenfeld sind dabei die sogenannten „Soft Robotics“. Hier wird nach Material gesucht, das stabil ist, aber bei Zusammenstößen mit Menschen nachgibt. Fortschritte in der Sensorik helfen zwar, das Sicherheitsniveau zu erhöhen. Doch die Anforderungen des Arbeitsschutzes sind extrem hoch. „Die Regularien sind in Deutschland und der EU hierbei sehr streng“, beobachtet Milicevic.

Dennoch gehen Experten davon aus, dass sich der Radius vieler Roboter in den kommenden Jahren erweitert, etwa durch die Kombination mit Fahrgestellen. „So schafft man bereits ein System, das deutlich autonomer in unstrukturierten Umgebungen navigieren und sich positionieren kann“, sagt ABB-Manager Rommelfanger. Vereinfacht gesagt: Die Tech-Helfer warten weniger darauf, dass Bauteile zu ihnen kommen, sondern suchen sich Aufgabenfelder in der Fabrikhalle.

Noch mehrere Schritte weiter entfernt – ganz wörtlich gesprochen – sind jedoch die humanoiden Roboter, wie sie Elon Musk Anfang Oktober präsentierte. Noch sind diese Modelle technisch nicht ausgereift, das Stehen auf menschlich anmutenden Beinen ist beispielsweise eine Herausforderung. Auch wenn für Produktionsbetriebe weniger die menschenähnliche Gestalt im Fokus steht, sondern vielmehr das Kosten-Nutzen-Verhältnis: „Man kann heute schon viel an Technologie reinbringen in den Roboter“, sagt Rommelfanger, „aber am Ende muss sich der Einsatz immer lohnen.“

Roboter: „Auch der Bäcker um die Ecke hat Bedarf“

Rommelfanger

Jörg Rommelfanger, Leiter der Robotics-Division von ABB in Deutschland

| ABB
01.01.2025 VDE dialog

Von der Massenfertigung zum flexiblen Einsatz: Roboter werden schneller, schlauer – und werden künftig auch in anderen Branchen bei der Automatisierung helfen. Jörg Rommelfanger, Leiter der Robotics-Division von ABB in Deutschland, über neue Perspektiven für die mechanischen Produktionshelfer.

Interview: Manuel Heckel

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