Durch das kommende Reallabore-Gesetz könnte klarer geregelter werden, wie es solche Experimentierklauseln in die jeweiligen Fachverordnungen schaffen. Die EFI-Kommission plädiert dabei für möglichst weit gefasste Ausnahmeregelungen, die sich nicht auf ein bestimmtes Reallabor-Vorhaben beziehen. Sonst wachse die Wahrscheinlichkeit, „dass sie nach relativ kurzer Zeit nicht mehr anwendbar ist“. Das Netzwerk „Reallabore der Nachhaltigkeit“ hingegen plädiert für eine vorsichtigere Öffnung – und für klare zeitliche Beschränkungen auf vier bis fünf Jahre. Der Rechtskanon insgesamt gehöre auf den Prüfstand, um Nachhaltigkeit zu ermöglichen und zu sichern, sagt Parodi: „Wir müssen sehr genau überlegen, was dauerhaft schützenswert ist und was nicht. Da braucht es einen großen gesellschaftlichen Diskurs.“
Bürokratische und organisatorische Hürden
Ebenso in der Diskussion: Wie kann Reallaboren vom Start weg geholfen werden? Per Definition müssen sie zahlreiche Disziplinen bedienen und benötigen die unterschiedlichsten Kompetenzen: Von der wissenschaftlichen Expertise über die juristische Beratung zu den Experimentierklauseln bis zu einer Öffentlichkeitsarbeit, die betroffene Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger mitnimmt. „Reallaborarbeit ist eine komplexe Angelegenheit, die viel Erfahrung und viel Fingerspitzengefühl erfordert – man muss zeitgleich verschiedene Sprachen sprechen“, sagt Wissenschaftler Parodi. All das gelingt nicht automatisch. Verschiedene Projektpartner bringen unterschiedliche Ziele und Interessen mit, beteiligte Unternehmen mögen andere Prioritäten haben als die mitwirkenden Wissenschaftler. Es sei „überhaupt nicht trivial, sich auf gemeinsame Ziele zu verständigen“, sagt Parodi. „Nur dann lebt das Reallabor und kann Früchte tragen.“
Als ein möglicher Ansatz, um zumindest organisatorische Hürden zu umschiffen, wird eine zentrale Anlaufstelle ins Spiel gebracht. Die soll Projekten und Organisationen dabei helfen, sich zu informieren, sich zu vernetzen und schnell an die passenden Ansprechpartner zu kommen. In Nordrhein-Westfalen existiert seit Ende 2021 die „Digi-Sandbox.NRW“, die diese Aufgabe übernimmt – und aktuell über 80 Reallabore zwischen Ostwestfalen und der belgischen Grenze aufführt.
Künftig soll ein solches Portal bundesweit entstehen. Vorgesehen ist dafür ein „One-Stop-Shop“, der laut BMWK „schlank und bürokratiearm“ aufgesetzt werden soll. Angedacht war der Start mal für dieses Jahr. Der neue Zeitplan: „Der Aufbau des One-Stop-Shop Reallabore soll dann im Spätherbst dieses Jahres beginnen“, teilt das BMWK mit. Im Frühjahr 2025 könnte der Pilotbetrieb starten – und drei bis vier Jahre lang Erfahrungen sammeln.
Gelingt dieser Austausch über die Disziplinen, sind große Sprünge in vergleichsweise kleinen Zeiträumen möglich. Das Reallabor zum bidirektionalen Laden am Frankfurter Flughafen hat sich beispielsweise einen ehrgeizigen Zeitplan gesetzt. In den ersten zwölf Monaten, die Anfang 2024 gestartet sind, geht es vor allem darum, den Ist-Zustand zu analysieren und die technische Planung vorzubereiten.
Doch dabei soll es nicht bleiben. Die so gewonnenen Daten ermöglichten die „Entwicklung praxisnaher Lösungen im Gegensatz zu rein theoretischen oder simulationsbasierten Ansätzen“, sagt Sebastian Herold, Professor für Energiewirtschaft an der Hochschule Darmstadt. In den drei Folgejahren sollen bereits bis zu 90 Stationen für das bidirektionale Laden auf dem Flughafengelände entstehen.
Manuel Heckel ist freier Wirtschaftsjournalist aus Köln.