Ein großer Greifer transportiert Restmüll durch eine Halle.
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01.04.2024 VDE dialog

Waste to Energy: Das Beste rausholen

Restmüll wird nie vollständig zu vermeiden sein. Unternehmen und Kommunen machen sich die bei der Müllverbrennung entstehende Energie zunutze. Was nach einer sauberen Lösung klingt, kann aber auch der Kreislaufwirtschaft im Weg stehen.

Von Eva Augsten

Träge wälzt sich die graue Masse durch den Bunker. Blaue Müllsäcke treiben als Farbklekse an der Oberfläche. Wo das bröcklige Gemisch ein Stück in die Tiefe sackt, ziehen sich helle Folienstreifen wie Kaugummifäden zwischen den Müllklumpen. Mehr als eine Million Tonnen Müll fallen jährlich in Hamburg an, etwa die Hälfte davon ist Restmüll, der in den städtischen Müllverwertungsanlagen verbrannt wird. Schon 1896 wurde in der Hansestadt eine solche Anlage – die erste auf dem europäischen Kontinent – in Betrieb genommen, denn Platz war in der Stadt schon immer knapp.

Mittlerweile geht es längst nicht mehr allein darum, die Müllberge zu schrumpfen. Heute ist in Hamburg die bei der Verbrennung an drei großen Standorten frei werdende Energie gefragt. Im Osten der Stadt verbrennt die Müllverwertungsanlage Borsigstraße jährlich 320.000 Tonnen Hausmüll und hausmüllähnliche Abfälle und erzeugt dabei rund 785.000 Megawattstunden Fernwärme – genug, um fast 4000 Haushalte zu versorgen. Erst Ende 2023 ging an der Borsigstraße eine neue Wärmepumpe in Betrieb, die aus dem Rauchgas weitere 350.000 Megawattstunden Wärme nutzbar macht. Eine ähnliche Dimension hat die Müllverbrennung am Rugenberger Damm, südlich der Elbe. Sie versorgt bisher ein nahe gelegenes Industriegebiet mit Energie. Eine neue Leitung unter der Elbe hindurch soll dafür sorgen, dass auch von dort bald Wärme ins städtische Fernwärmenetz gelangt. Und das ist kein Auslaufmodell: Im Nordwesten Hamburgs baut die Stadtreinigung gerade ihr neues „Zentrum für Ressourcen und Energie“, kurz ZRE. Ab 2025 sollen auch diese jährlich 323.000 Tonnen Müll aufnehmen, davon 145.000 Tonnen Restmüll. Mit einer modernen Sortieranlage will die Stadtreinigung vor der Feuerung noch knapp 10.000 Tonnen Metall, Papier, Glas und bestimmte Kunststoffe herausfischen. Der Rest wird verbrannt. Die Energie soll im Sommer vor allem für die Stromerzeugung genutzt werden, im Winter für die Fernwärme.

Abfall ist wichtige Energiequelle für Kommunen und Unternehmen

Hamburg ist bei Weitem nicht die einzige Großstadt, die in ihrer Energieversorgung große Stücke auf Müll als Brennstoff hält. Im Jahr 2021 wurden laut dem Umweltbundesamt in Deutschland über 25.000 Millionen Tonnen Abfälle in sogenannten thermischen Abfallbehandlungsanlagen verbrannt. Etwa die Hälfte davon ist Hausmüll, hinzu kommt eine große Menge Abfälle, die zu sogenannten Ersatzbrennstoffen aufbereitet werden. Diese haben zum Beispiel einen klar definierten Brennwert und sind oft zu Brickets oder Pellets verarbeitet, sodass sie sich gut kontrolliert verbrennen lassen und weniger Schadstoffe entstehen. Auch Klärschlamm und gefährliche Abfälle wie Öle und Chemikalien werden verbrannt.

Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) schätzt, dass in Anlagen von Industriebetrieben noch einmal weitere 24 Millionen Tonnen Abfälle und Ersatzbrennstoffe verfeuert werden, um Energie für den eigenen Bedarf zu erzeugen. Besonders interessant ist das für energieintensive Branchen wie die Papier- und Zementindustrie. Die verbrannten Abfälle können aus dem eigenen Betrieb stammen oder auch zugekauft werden. „Unterm Strich werden jährlich also knapp 50 Millionen Tonnen Abfälle in Deutschland verbrannt“, sagt Patrick Hasenkamp, VKU-Vizepräsident und Leiter der Abfallwirtschaftsbetriebe Münster.

Verbrennen ist besser als deponieren

Keine Frage: Der Müll muss weg, wenn er einmal da ist. Dafür zu sorgen ist eine gesetzliche Pflicht der Kommunen. Und was sich verbrennen lässt, darf nicht einfach deponiert werden. Auch das ist seit fast 20 Jahren gesetzlich verankert, denn im Vergleich zur direkten Deponierung ist das Verbrennen – im Fachsprech „thermische Abfallbehandlung“ genannt – definitiv die bessere Variante. Die Verbrennung spart nicht nur Platz, sondern zerstört auch viele Schadstoffe ebenso wie Viren und Bakterien. Giftige Stoffe, die in den zusammengeschrumpften Resten zurückbleiben, lassen sich leichter sicher verwahren als ganze Müllberge.

Müllverwertungsanlage Rugenberger Damm, Hamburg

Die Müllverwertungsanlage am Rugenberger Damm ist eine von zwei in Hamburg. Die Abfälle von mehr als einer Millionen Haushalte, Industrie und Gewerbe werden hier verwertet. Restmüll wird gar nicht mehr deponiert, sondern zu 100 Prozent verbrannt.

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Ist man einmal an dieser Stelle angekommen, liegt es also nahe, die Energie dann auch so gut wie möglich zu nutzen. Schließlich müssen Energieversorger, Industriebetriebe und Wärmenetzbetreiber allesamt ihren Einsatz von Öl, Kohle und Gas reduzieren. Abfall ist da ein durchaus willkommener Ersatz. Energie aus Abfall ist grundlastfähig und steht das ganze Jahr hindurch rund um die Uhr zur Verfügung. Das macht sie bei Fernwärmeanbietern nicht nur in Hamburg beliebt. Sie müssen schließlich auch in einer kalten, windstillen Winternacht Wärme liefern können – dann, wenn die Effizienz der Wärmepumpen in den Keller und die Strompreise durch die Decke gehen. Weil der Müll ohnehin das ganze Jahr hindurch entsorgt werden muss, gilt die Wärme aus Müll und Ersatzbrennstoffen in der Kommunalen Wärmeplanung als „unvermeidbare Abwärme“. Sofern es Restmüll ist, der verbrannt wird, besteht dieser ohnehin mehr oder weniger zur Hälfte aus Biomasse. Da diese eine erneuerbare Energiequelle ist, lassen sich die entsprechenden Anforderungen gleich mit abhaken.

Immer wenn etwas verbrannt wird, entsteht zwangsläufig CO2

Unterm Strich spiele Energie aus Abfall so eine wichtige Rolle für die Daseinsvorsorge, argumentiert der VKU in einem Positionspapier, das auch von weiteren Kommunal- und Branchenverbänden unterstützt wird. Die Energierückgewinnung sei „die nachhaltigste Art, mit Restabfällen umzugehen“, bilanziert der Verband. Ist Müll als Brennstoff also ein sinnvoller Beitrag zur Klimaneutralität?

Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Denn erstens gelangt beim Verbrennen von Abfällen und Ersatzbrennstoffen natürlich CO2 in die Atmosphäre. Grob gesagt wird pro Tonne Abfall eine Tonne CO2 frei. Selbst wenn man den Biomasseanteil als CO2-neutral verbucht, sind die Emissionen also erklecklich.

Seit Anfang 2024 fallen die CO2-Emissionen aus der Abfallverbrennung deshalb unter das nationale Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG). Der Grundgedanke: Wo Emissionen Geld kosten, werden sie sinken. Die Betreiber der Abfallverbrennungsanlagen halten wenig davon. Das Gesetz treibe die Abfallgebühren in die Höhe und werde den Export von Müll begünstigen, mahnt der VKU ebenso wie Deutschlands größter privater Müllverbrenner, die EEW Energy from Waste.

Statt die Verbrennung einzuschränken, sucht EEW nach Wegen, um den fossilen Anteil des CO2 aus dem Verkehr zu ziehen. „Dieser fossile Anteil kann natürlich abgeschieden und für weitere industrielle Prozesse genutzt werden“, sagte Bernard M. Kemper, CEO der EEW, in einem Interview im Sommer 2023. Die erste Anlage, die 270.000 Tonnen CO2 jährlich abscheiden soll, befinde sich demnach im Genehmigungsverfahren. Die Investitionen bezifferte er mit „einem dreistelligen Millionenbetrag“.

Die Henne und das Ei: Wie unvermeidbar ist der Müll?

Der zweite Kritikpunkt ist die Logik der Unvermeidbarkeit. Ist der Restmüll erst mal auf der Deponie angekommen, gibt es zum Verbrennen tatsächlich keine umweltfreundlichere Alternative mehr. Weitgehend unstrittig ist auch, dass es immer einige Bestandteile geben wird, wie zum Beispiel infektiöse Abfälle, bei denen kein Weg am Verbrennen vorbeiführt. Der heute gängige Ausdruck „Zero Waste“ wird daher oft falsch interpretiert, räumt auch Professor Henning Wilts ein, Leiter der Abteilung Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut: „Die richtige Übersetzung heißt nicht ‚kein Müll‘, sondern ‚keine Verschwendung‘.“ In Zahlen: Laut Statista landeten 2020 pro Person 160 Kilogramm Abfall in der Restmülltonne. Für ein Zero-Waste-Label müsste eine Kommune die 50-Kilo-Marke pro Kopf unterschreiten. Das ist ehrgeizig. Doch es gibt auch Pilotprojekte, die es möglich scheinen lassen. In einer Berliner Großwohnanlage gelang es, durch die Kombination eines neuen Gebührensystems mit gezielter Abfallberatung und Reinigung der Sammelplätze die Restmüllmenge binnen drei Jahren von 230 Kilogramm auf 84 Kilogramm pro Kopf zu senken.

Förderband in einer Müllverbrennungsanlage

Aus Abfall gewonnener Brennstoff: Das Stoffgemisch aus Papier, Kartonagen, Holz, Kunststofffolien, Gummi und Textilien wird auf einem Band zum Kessel zur Verbrennung transportiert.

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Sieht man den Müll nicht als Problem, sondern als Energiequelle, ergibt sich aus solchen Bemühungen ein Dilemma: Wenn Abfall plötzlich doch vermeidbar wird, geht dem Heizkraftwerk der Brennstoff aus. Eine Analyse des NABU deutet darauf hin, dass es sich dabei nicht nur um ein hypothetisches Problem handelt. Der Auswertung des Umweltverbandes zufolge fallen in kreisfreien Großstädten mit Müllverbrennungsanlagen durchschnittlich pro Kopf 204 Kilogramm Restmüll an. In Großstädten ohne eigene Müllverbrennungsanlage sind es mit 173 Kilogramm deutlich weniger.

Planen mit Abfällen, die es am besten gar nicht geben sollte

Doch selbst wenn es gelänge, sämtliche Trinkflaschen und Joghurtbecher vorschriftsmäßig in der Gelben Tonne zu erfassen, heißt das noch lange nicht, dass aus ihnen wieder neue Kunststoffe werden könnten. Materialgemische, Farbpigmente, Zusatzstoffe und Verbundmaterialien machen bei vielen Produkten das Recycling quasi aussichtslos. „Viele der heutigen Verpackungen und Produkte sind tatsächlich kaum recyclingfähig. Wenn wir zu einer echten Kreislaufwirtschaft kommen wollen, müssen wir also schon beim Produktdesign anfangen“, sagt Wilts. In dieser Hinsicht hat die EU mit dem Green Deal in den letzten Jahren einige Weichen gestellt. Dabei geht es weniger um das Vermeiden von Abfall, sondern vor allem um Rohstoffe. Schließlich mussten die heutigen Abfälle am Anfang ihrer Reise mit hohem Energie- und somit CO2-Einsatz gewonnen und oft aus Drittstaaten importiert werden. Zu den neuen Vorschriften sollen nicht nur recyclingfähige Produkte gehören, sondern auch Mindestanteile von recyceltem Material. Die Übergangsfristen sind lang, sie ziehen sich bis weit in die 2030er-Jahre. Doch geht der Plan auf, heißt das, dass automatisch weniger Abfall übrig bleibt, aus dem sich Strom und Fernwärme gewinnen ließe.

Unterm Strich ist also auch Waste-to-Energy eine komplexe Wenn-dann-Beziehung. Mit der Auslegung und dem Bau jeder Abfallverbrennungsanlage gehen die Betreiber eine Wette auf eine bestimmte Abfallmenge ein. Planen sie die Anlage zu klein, können sie ihren Entsorgungsauftrag nicht erfüllen. Planen sie zu groß, müssen sie auf Müll hoffen, den es am besten gar nicht geben sollte.

Eva Augsten ist freie Journalistin in Hamburg mit dem Schwerpunkt Erneuerbare Energien.

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