Eine Ärztin führt eine endoskopische Untersuchung durch
Martin Wolczyk / Adobe Firefly
01.01.2024 VDE dialog

VDE DGBMT: Technik, die Leben rettet

Seit mehr als 60 Jahren verbindet VDE DGBMT Technik und Medizin, Forschung und Lehre, Ingenieure und Ärztinnen, Patienten und technologische Lösungen für ihre Erkrankungen. Gesetzliche Regularien und die Digitalisierungen stellen dabei zurzeit die größten Herausforderungen dar.

Von Philipp Grätzel von Grätz

Was kann ein Ingenieur gegen Depression tun? Warum säuft ein Herzschrittmacher im klatschnassen Bindegewebe nicht ab? Wie muss ein Gefäßkatheter beschaffen sein, damit das kleine Mädchen auf der Krebsstation keine Blutvergiftung bekommt? Komplexe Fragen, auf die es ganz unkompliziert Antworten bei Spotify gibt. Wer die Antworten sucht, kann natürlich auch die Website der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik im VDE (VDE DGBMT) besuchen. Mit ihrem „Signals for Life“-Podcast ist die DGBMT, die im Jahr 2021 ihren 60. Geburtstag gefeiert hat, aber auch auf gängigen Audioplattformen vertreten. Und dort stehen ganz bewusst Menschen im Vordergrund – und Mittel und Wege, wie ihnen mit innovativer biomedizinischer Technik geholfen werden kann.

Kein Verein und kein Verband – sondern ein interdisziplinäres Netzwerk

Tiefe Hirnstimulation bei Depression. Mobile Aufzeichnung von Gehirnsignalen bei Epilepsie. Künstliche Intelligenz für die Darmspiegelung. Hochauflösender Ultraschall für die Darstellung molekularer Gewebestrukturen. Lichtbasierte, nichtinvasive Auswertung von Herz-Kreislauf-Parametern. Das sind einige der Themen, für die die DGBMT sich zuständig fühlt. Sie stehen in der Tradition anderer medizintechnischer Entwicklungen, die irgendwann in der über 60-jährigen DGBMT-Geschichte auch mal hochinnovative Forschungsthemen waren.

DGBMT-Geschäftsführer Dr. Cord Schlötelburg erinnert sich: „Herzschrittmacher sind eine große Erfolgsgeschichte der biomedizinischen Technik mit starker deutscher Beteiligung. Cochlea-Implantate sind auch so ein Beispiel. Und dann das ganze Gebiet der minimalinvasiven Chirurgie oder die medizinische Bildgebung. Alles mittlerweile Standard in der medizinischen Versorgung. Ich würde behaupten, dass unsere Fachgesellschaft ihren Anteil daran hatte – indem sie diese Themen bearbeitet und kommuniziert hat und indem sie Communitys zusammengeführt hat.“

Purer Dienst am Menschen!

Prod. Dr. Karsten Seidl
Hans-Jürgen Schmitz, Martin Wolczyk / Adobe Firefly (Composing)
01.01.2024 VDE dialog

Wenn Medizin auf Technologie trifft, kommt häufig Biomedizintechnik zum Tragen. Dass dabei alles rund läuft, dafür sorgt nicht zuletzt die Fachgesellschaft VDE DGBMT, so deren Vorsitzender Prof. Dr. Karsten Seidl.

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Die DGBMT ist kein (eingetragener) Verein, was sie von vielen anderen medizinischen Fachgesellschaften unterscheidet. Sie wurde unabhängig von Verbänden 1961 gegründet und schlüpfte im Jahr 2001 unter das Dach des VDE. Seitdem ist die DGBMT keine eigene Rechtsperson mehr, in jeder anderen Hinsicht aber eigenständig. Es gibt eine eigene Mitgliederversammlung, eine Geschäftsordnung, eine Wahlordnung. Nur für „Formaljuristisches“, etwa Kooperationsverträge, tritt der VDE in Aktion.

Wie bei jeder Fachgesellschaft sind es die einzelnen Mitglieder, die die DGBMT ausmachen. Die große Zahl persönlicher Mitgliedschaften unterscheidet die DGBMT von Verbänden wie BVMed und SPECTARIS, die ähnliche Themen bearbeiten. „Mitglieder in Verbänden sind Industrie- unternehmen, und entsprechend machen Verbände Industriepolitik“, sagt Schlötelburg. „Bei uns wählen die persönlichen Mitglieder den Vorstand. Wir sind eine neutrale, fachlich und medizinisch getriebene Technologieplattform.“

Rund 1600 persönliche Mitglieder hat die DGBMT. Die größte Gruppe bilden Ingenieure und Ingenieurinnen aus Medizintechnik, Biomedizinischer Technik, Informatik, Physik – technische Entwicklerinnen und Entwickler aus Hochschulen und Einrichtungen der angewandten Forschung. Sie werden flankiert von ihren Kolleginnen und Kollegen aus Unternehmen der Medizintechnik, der zweitgrößten Mitgliedergruppe. Es folgen Menschen aus der medizinischen Versorgung, aus techniknahen Fächern wie Anästhesie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Chirurgie, Kardiologie und, klar, Radiologie. Dazu kommen Behördenmitarbeiter, Angestellte von Benannten Stellen und Menschen, die in Mittlerorganisationen engagiert sind.

Ein bunter Haufen also, worauf man auch stolz ist: „Wir sind ein interdisziplinäres Netzwerk, das sich auf vielen Ebenen unterstützend mit biomedizinischer Technik befasst“, sagt Schlötelburg. Interdisziplinarität will gut organisiert werden. Der Vorstand ist neunköpfig und achtet streng auf die Quote. Es kommen immer drei Vorstandsmitglieder aus der akademischen Welt, drei aus Unternehmen und drei aus der medizinischen Versorgung. Ein Schauplatz für interdisziplinäres Miteinander sind auch die Jahrestagungen, Großereignisse mit bis zu 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die auch während der Pandemie nicht ausfielen.

Medizin und Technik: eine gemeinsame Sprache finden

Zur DGBMT gehören 23 Fachausschüsse. Einer der größten ist der Fachausschuss Biosignale, der den „Signals for Life“-Podcast herausgibt. Der Ausschuss beschäftigt sich mit messbaren Signalen des menschlichen Körpers, von Bioimpedanz bis EKG. Es geht um die Entwicklung von Sensorik und deren klinische Anwendung – ein Paradebeispiel, dass ohne Interdisziplinarität nichts geht. Einfach sei es damit nicht immer, sagt Schlötelburg: „Eine gemeinsame Sprache zu finden, ist eine Herausforderung.“ Das gilt für die Schnittstelle zwischen Technik und Medizin genauso wie für die zwischen akademischer und kommerzieller Forschung. Und für die Verbindung mit der Informatik: „Wir hatten ein Verbundprojekt mit Informatikern und Ingenieuren, bei dem wir es nach gefühlt zehn Sitzungen immer noch nicht geschafft hatten, einen Raum zu definieren, in dem alle über dasselbe sprachen.“ Schwierig sind auch die personellen Ressourcen auf klinischer Seite. Wer operiert, macht Forschung im Nebenjob: „An diese Leute zeitlich anzudocken, kann schwierig sein.“

Was die DGBMT auch stark beschäftigt: die Medizinprodukteverordnung (MDR) der EU: „Die hat alles verändert, nicht nur in der Industrie, auch in der Forschung“, so Schlötelburg. Längere Entwicklungszyklen führen dazu, dass über Patentierung neu nachgedacht werden muss. Immer neue Hürden für die klinische Forschung und die Adaptierung ganzer Normenkataloge an die MDR kommen dazu. Die DGBMT unterstützt mit Positionspapieren und Empfehlungen an Unternehmen, an Forschungseinrichtungen, an die Politik. Von Letzterer gehört zu werden, ist nicht einfach. „Die Besonderheit ist, dass wir in der Politik drei Anlaufstellen haben: das Gesundheitsministerium, das Forschungsministerium und das Wirtschaftsministerium. Sie unter einen Hut zu bekommen, war schon immer eine Herausforderung“, sagt dazu Prof. Dr. Karsten Seidl, DGBMT-Vorsitzender. Bei der Digitalisierung sind Datenschutz und Datensicherheit Großthemen. Der Zugang zu digitalen Versorgungsdaten für die Forschung steht hoch auf der Agenda, das Gesundheitsdatennutzungsgesetz lässt grüßen. Und dann ist da das regulatorische Umfeld bei künstlicher Intelligenz (KI). Hier haben die Benannten Stellen in Deutschland mitgeteilt, dass sie kontinuierlich lernende KI-Systeme für nicht als Medizinprodukte zertifizierbar halten. Ist das so? Die DGBMT sieht eine Möglichkeit: „Wir geben eine konkrete Handreichung, wie eine Zertifizierung unter der geltenden MDR aufgesetzt werden könnte. Das war ein ganz wichtiges Thema in den letzten Monaten.“

Künstliche Intelligenz, knappe Mittel, fehlende Fachkräfte

MDR und Digitalisierung inklusive KI, diese Themenfelder werden die DGBMT und ihre 1600 Mitglieder auch in den nächsten Jahren beschäftigen, genauso wie die langen Zulassungszeiten, die dringend kürzer werden müssen. Bei der 57. DGBMT-Jahrestagung Ende September in Duisburg gab es konkrete Zahlen: Noch bis vor Kurzem galt als Faustregel, dass es etwa zehn Jahre dauert, bis eine Sprunginnovation ein zugelassenes Medizinprodukt wird. Derzeit sind es eher 15 Jahre. „Wenn wir bei zwanzig Jahren sind, dann wars das hier“, so Schlötelburg. Abwanderung in die USA finde längst statt: „Früher hieß es immer: Wir denken darüber nach. Mittlerweile sind alle schon da.“

Die DGBMT wird nicht im Alleingang dafür sorgen können, dass der Medizintechnikstandort Europa wieder attraktiver wird. Aber sie kann dazu beitragen. Die Verschiebung wichtiger MDR-Fristen, auf die von vielerlei Seite hingewirkt wurde, schreibt sich die DGBMT auch auf die eigenen Fahnen. Wo kann die Fachgesellschaft besser werden? Noch mehr Interdisziplinarität, noch mehr Einbindung von vor allem medizinischen Fachkreisen, das sind Schlötelburgs Antworten. Eine Plattform, die diesbezüglich immer wichtiger wird, ist die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, die AWMF, wo die DGBMT seit 2007 assoziiertes Mitglied ist. Auf dem Weg über die AWMF kommen immer wieder Anfragen zu Kommentierungen bei der DGBMT an. Engpässe bei Medizinprodukten sind ein aktuelles Beispiel. Im Grenzgebiet zwischen klinischer Medizin, Medizintechnik und Politik ist viel los in Zeiten knapper Mittel, fehlender Fachkräfte und immer intelligenterer Software. Die DGBMT ist mittendrin.

Philipp Grätzel von Grätz schreibt als freier Journalist in Berlin und verbindet medizinische Themen und Technikthemen.

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