Wie hat man sich denn die Arbeit Ihrer Fachgesellschaft vorzustellen?
Die DGBMT ist in sogenannten Fachausschüssen strukturiert, in denen die entsprechenden Expertinnen und Experten regelmäßig zusammenkommen und sich austauschen. Zum Beispiel zu den Themengebieten „Magnetische Methoden in der Medizin“, „Neuroprothetik und intelligente Implantate“ und „Biosignale“, also zu verschiedenen physikalischen Wirkprinzipien, System- und datenbezogenen Themen. Außerdem werden ethische Aspekte in „Medizintechnik und Gesellschaft“ bearbeitet. Während diese Expertengruppen früher eher feste Einheiten waren, gehe ich davon aus, dass wir künftig noch mehr projektbezogen zusammenarbeiten werden und wir uns dann auch mit einem „Call for Experts“ etwas öffnen, um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler außerhalb der VDE Welt zu erreichen.
Was sind Ihre wichtigsten Zukunftsthemen?
Am meisten treibt uns derzeit der Themenkomplex Digitalisierung um. Also Themen wie Vernetzung, Interoperabilität, Internet of Things, Künstliche Intelligenz. Dabei geht es in der DGBMT um die Anwendung und Integration im zugelassenen Medizinprodukt. Und ein weiteres aktuelles Trendthema, neben der Digitalisierung, ist sicherlich die Biologisierung der Medizintechnik, also die Interaktion mit lebender Materie, wie beispielsweise den 3D-Druck von Zellen.
Auf welche besonderen Leistungen in der Vergangenheit kann die DGBMT zurückblicken?
Der DGBMT gelingt es immer wieder, sich einzubringen und Dinge voranzutreiben. Ich denke da zum Beispiel an das Themenfeld Ambient Assisted Living, bei dem es darum geht, alten und Menschen mit Behinderung mit Hilfe digitaler Technologien ein Leben zu Hause zu ermöglichen. Hier hat die DGBMT sicherlich einen signifikanten Beitrag geleistet.
Gelingt es Ihnen, sich auch in der Politik ausreichend Gehör zu verschaffen?
Die Besonderheit der DGBMT ist, dass wir in der Politik drei Anlaufstellen haben: das Gesundheitsministerium, das Forschungsministerium und das Wirtschaftsministerium. Sie unter einen Hut zu bekommen, war schon immer eine Herausforderung. Allerdings ist das in der letzten Zeit besonders schwierig geworden, da gab es tatsächlich einen Wandel. Nach wie vor gibt es da gute Kontakte, aber es zeigt sich doch immer wieder, dass es nicht gerade einfacher wird – zum Beispiel wenn bei neuen Gesetzesvorhaben in kürzester Zeit Rückmeldung von unserer ehrenamtlichen Community erwartet wird.
Wie schwerwiegend ist für Sie das Problem des Fachkräftemangels?
Der Fachkräftemangel betrifft uns in der ganzen Breite, also alle unsere Akteure: sowohl in der Medizin als auch bei den Wissenschaftlern und eben genauso in den Unternehmen. Es klemmt überall. Und wenn zum Beispiel in der Klinik so wenig Personal da ist, dass selbst die tägliche Versorgung kaum gewährleistet werden kann, haben die Mediziner natürlich weniger Zeit, in Wissenschaftsprojekte zu gehen.
Wie kann man junge Leute motivieren, technische Studiengänge im Allgemeinen und Medizintechnik im Besonderen zu studieren?
Wir können nur mehr Nachwuchs gewinnen, wenn wir ganz frühzeitig über das informieren, was wir überhaupt machen. Gerade in der jüngeren Generation geht auch mehr das Augenmerk darauf, dass man etwas Sinnstiftendes studieren bzw. später machen möchte. Und Biomedizintechnik ist so etwas. Das ist purer Dienst am Menschen! Wir müssen zeigen, dass es Biomedizintechnik braucht: Ein PCR-Test, um eine Pandemie zu bekämpfen. Ein Neuroimplantat, um Parkinson- oder Alzheimer-Patienten zu helfen. All diese Themen! Und gerade junge Frauen, die wir ja in technischen Studiengängen so dringend brauchen, sind übrigens für solche Argumente offen. Nicht umsonst ist unsere Disziplin im Gegensatz zu allen anderen Ingenieurswissenschaften keine reine Männerdomäne, wir haben einen Frauenanteil von 50 Prozent.
Warum ist die DGBMT eine Fachgesellschaft im VDE?
Die DGBMT ist seit 22 Jahren Teil des VDE – zum Vorteil beider Seiten. Auf der einen Seite profitiert der VDE und sein Geschäftsbereich VDE Health sicherlich von unserer wissenschaftlichen Expertise und der Reputation, die damit verbunden ist. Schließlich ist das Thema Gesundheit in einem Zeitalter des demografischen Wandels bzw. einer alternden Gesellschaft ein Zukunftsfeld, in dem viel Innovation steckt, aber eben auch viel Geld. Auf der anderen Seite sind die VDE Fachgesellschaften wie die DGBMT „nur“ ehrenamtlich agierende wissenschaftliche Expertennetzwerke. Mit einem gewichtigen und international agierenden Verband wie dem VDE an der Seite sind wir einfach viel schlagkräftiger. Von daher sind wir da schon optimal aufgehoben!
Welchen Beitrag leistet die DGBMT zur e-dialen Zukunft?
Die Biomedizintechnik ist ein gutes Beispiel dafür, was eine e-diale Zukunft bedeuten kann. Denn wir entwickeln technische Lösungen, die ein gesundes Altern ebenso ermöglichen sollen wie eine bezahlbare Medizin.
Die Fragen stellte Martin Schmitz-Kuhl
Prof. Dr. Karsten Seidl ist seit Oktober 2018 Geschäftsfeldleiter Health am Fraunhofer- Institut für Mikroelektronische Schaltungen und Systeme (IMS) und Professor für Mikro- und Nanosysteme für die Medizintechnik an der Universität Duisburg-Essen. Seit September 2023 ist er Vorsitzender der DGBMT.