Noch nie stand eine deutsche Bundesregierung so sehr unter Druck, bevor sie überhaupt im Amt war: Vor der Weltklimakonferenz Ende Oktober verlangten die Vereinten Nationen eine Versiebenfachung der Klimaschutzbemühungen, um das vereinbarte 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen. Zeitgleich wandte sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit einem dramatischen Appell an die Weltgemeinschaft: „Es geht um das Überleben der Menschheit.“ Parallel klingelte in Berlin der Postbote aus Brüssel: Erstmals (und als einziges größeres EU-Mitglied) muss Deutschland aufgrund von 22 Millionen Emissions-Einheiten im Minus für 2020 Klima-Ausgleichszahlungen leisten. Und um die Latte noch ein wenig höher zu legen, formulierte auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) seine aktuelle Studie „Klimapfade 2.0“ im Superlativ: „Deutschland steht vor der größten Transformation seiner Nachkriegsgeschichte.“
Nichts davon ist übertrieben. Und eigentlich böte die Klimakrise genau jetzt Politik und Wirtschaft die Chance, das Land gemeinsam in Richtung Nachhaltigkeit umzubauen. Denn die gesetzlich verankerte Erreichung der Treibhausgasneutralität bis 2045 erfordert „einen fundamentalen Umbau unseres Energiesystems, unserer internationalen Energieversorgung, unseres Gebäude- und Fahrzeugbestands, unserer Infrastruktur sowie großer Teile unserer produzierenden Wirtschaft“, so die BDI-Studie. 80 Unternehmen und Industrieverbände mit mehr als 150 Expertinnen und Experten haben daran mitgeschrieben und kommen auf gewaltige Zahlen.
Explodierende Benzin- und Heizkosten, massive Lieferengpässe, Rohstoffmangel, steigende Mieten und die spürbare Inflation schüren jedoch die Gegenforderungen einer von Corona erschöpften und durch die vierte Pandemiewelle gespaltenen Bevölkerung gegenüber der Ankündigung weiterer Belastungen und Verzichtsforderungen. Der Druck, gegen jede Vernunft den Aufbruch in eine sozial-ökologische Marktwirtschaft, wie ihn SPD, Grüne und FDP während der Koalitionsbildung ausgehandelt haben, weiter zu verschieben, könnte in diesem Winter noch erheblich steigen. Dafür müsste gar nicht viel passieren. Es müsste nur ein bisschen dunkler, ein bisschen windstiller und ein bisschen kälter werden: etwa so, wie das Wetter 2017 zwischen dem 16. und dem 25. Januar war.