Was ist mit der Produktion selber? Die sollte wahrscheinlich auch nachhaltig sein.
Faulstich: Unbedingt! Wenn ein Produkt – zum Beispiel ein Elektroauto – selbst klimaneutral ist, die Produktion aber nicht, wäre nicht viel gewonnen. Von daher muss man die ganze Wertschöpfungskette von der Herstellung der Komponenten über die Produktion selbst, die Nutzungsphase und am Ende die Demontage und das Recycling in den Blick nehmen.
Riess: Auch die Produktionsstandorte sind zum Beispiel ganz entscheidend für die Ökobilanz eines Produkts. Dessen Herstellung verbraucht zwar überall auf der Welt in etwa gleich viel Strom. Die Frage ist aber: Woher kommt die Energie dafür? Und dann macht es eben einen Unterschied, ob sich das Werk neben den Iguazú-Wasserfällen in Südamerika befindet und die Energie regenerativ hergestellt wird oder ob der Strom aus dem nebenan stehenden Kohlekraftwerk kommt. Übrigens: Umweltfreundliche Produktion ist oft auch aus wirtschaftlichen Gründen nachhaltiger, denn der Vorteil von regenerativer Energie ist ja, dass der Strom nach der Anfangsinvestition quasi kostenlos ist.
Nachhaltiger wären Geräte auch, wenn man sie häufiger recyceln würde. Warum passiert das nicht viel öfter? Warum haben wir Schätzungen zufolge mehr als 200 Millionen alte Handys und Smartphones in unseren Schubladen liegen?
Faulstich: Schon vor über zehn Jahren haben wir als Sachverständigenrat für Umweltfragen vorgeschlagen, hier ein Pfandsystem einzuführen – mit dem Erfolg, dass damals alle über uns hergefallen sind. Hätten wir das aber zu dieser Zeit gemacht, würden sie mit Sicherheit nicht mehr in unseren Schubladen liegen. Das Problem bei Handys ist eben, dass sie so klein sind und nicht weiter in der Schublade stören. Mehrere alte Waschmaschinen würden wir eher seltener im Keller lagern. Aber vielleicht bräuchten wir ja auch gar kein Pfand. Wenn es einfacher wäre, das Gerät abzugeben und es mehr Wertstofftonnen gäbe, würde das vermutlich auch schon viel helfen.
Riess: Die Situation hat sich ja auch durchaus schon verbessert. Inzwischen gibt es Geschäftsmodelle von namhaften Herstellern, die das Altgerät in Zahlung nehmen – weil es Sekundärmärkte für diese Geräte gibt, zum Beispiel in Afrika, oder zumindest die wertvollen Rohstoffe wieder ins System fließen.
Die Handys sind jedoch nur ein kleiner Teil des Elektroschrottproblems. Könnte man nicht mit einem Pfandsystem auf alle Geräte vieles erreichen?
Faulstich: Wir haben darüber mal eine Studie gemacht. Das Problem dabei ist, dass damit ein nicht zu unterschätzender Verwaltungsaufwand verbunden wäre – mit insgesamt mehreren Milliarden Euro Pfand, der dann irgendwo hinterlegt sein müsste. Denn eine Pfandflasche wird ja in der Regel nach wenigen Wochen ausgelöst, ein Elektrogerät kann dagegen mehrere Jahre halten und auch den einen oder anderen Besitzerwechsel haben. All das spricht aus meiner Sicht nicht grundsätzlich gegen ein solches System, aber die Einführung wäre eben nicht ganz profan.
Riess: Ich glaube auch, dass andere ökonomische Anreize wahrscheinlich sinnvoller oder zumindest praktikabler wären. Vor allem darf man aber auch nicht unterschlagen, dass wir in Europa in Sachen Recycling schon ziemlich weit sind. Es gibt hier ja bereits funktionierende Regulierungen – zum Beispiel bei Batterien – und die vorgeschriebenen Quoten werden durchaus erfüllt.
Ähnliches wird jetzt bei Verpackungen diskutiert, also mit festen Quoten für Rezyklat-Anteile. Wir sind also bereits auf dem richtigen Weg.
Faulstich: Es ist aber noch viel zu tun. Von den rund 16.000 Kilogramm Rohstoffen, die jeder Mensch in Deutschland pro Jahr verbraucht, stammen derzeit nur rund zwölf Prozent aus dem Recycling. Wenn man diesen Anteil erhöhen möchte, müssen Hersteller konsequent verpflichtet werden, feste Rezyklat-Einsatzquoten für ihre Produkte einzuhalten. Das Problem dabei: So viele Rezyklate gäbe es derzeit auf dem Markt gar nicht. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass, wenn es solche Quoten gäbe, auch entsprechend Bewegung in den Markt käme.
Riess: Das zeigt sich bereits bei einigen Rohstoffen: Viele Metalle haben ja hohe Recyclingquoten. Das Problem haben wir eher bei den Kunststoffen. Und ich glaube auch, dass feste Rezyklat-Einsatzquoten – wie wir sie übrigens bei dem EPEAT-Siegel schon haben – einen Markt schaffen und beflügeln würden, weil auch diese Rezyklate dadurch plötzlich einen hohen Wert für die Hersteller hätten.
Viele Produkte lassen sich aber auch nur sehr schwer recyceln. Wie kann bei diesem Thema das VDE Institut helfen?
Riess: Bei der Vollprüfung einer Waschmaschine nehmen wir zum Beispiel Proben von rund 650 Teilen. Dabei schauen wir uns an, ob im Gerät Stoffe oder Komponenten verbaut werden, die Recycling verhindern, sodass der Hersteller aufgrund unserer Analysen später genau sehen kann, was er machen muss, um sein Produkt recyclingfähiger zu machen. Zum Beispiel weniger verschiedene Materialien und weniger Verbundstoffe nutzen.
Dann kommen wir als letzten Punkt, um die Geräte nachhaltiger machen, zu deren Nutzung. Denn Nachhaltigkeit ist ja nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch eine Frage von neuen Nutzungsmodellen.
Faulstich: Genau. Das prominenteste Beispiel dafür ist das Automobil, das im Schnitt 23 Stunden am Tag einfach nur rumsteht. Da drängen sich neue, nachhaltigere Nutzungsmodelle wie Sharing ja quasi auf. Die Frage ist, ob wir solche Modelle nicht in Zukunft viel häufiger sehen werden. Denn eigentlich muss in einem großen Mietshaus auch nicht jeder Mieter eine Bohrmaschine im Keller haben. Und wenn es dann nur ein Gerät gibt, lohnt sich auch wieder das eingangs erwähnte Qualitätsmodell.
Wir haben jetzt viel darüber geredet, wie wir Produkte nachhaltiger machen könnten. Aber wie erreichen wir, dass das nun auch endlich mit Hochdruck passiert? Im Wahlkampf wurde immer das liberale Vertrauen auf die Innovationskraft der Unternehmen dem grünen Setzen auf Verbote gegenübergestellt. Was ist Ihrer Ansicht nach vonnöten?
Riess: Eine gesunde Mischung aus beidem. Es braucht den freien Markt genauso wie Regulierungen und klare Vorgaben. Wichtig ist, dass wir alle dieses Thema als Chance begreifen, den Wirtschaftsstandort Europa auch in der Zukunft zu sichern.
Faulstich: Das kann ich nur unterstreichen. Die Politik muss gute regulative Rahmenbedingungen schaffen. Und wie genau das umgesetzt wird, muss und wird dann der Markt regeln. Ich vergleiche das immer mit einem Fußballspiel: Da gibt es Spielregeln und einen Schiedsrichter, aber wie gespielt wird, entscheiden die Spieler auf dem Platz.
Haben Sie denn das Gefühl, dass das Thema Kreislaufwirtschaft schon ausreichend in der Politik angekommen ist?
Faulstich: Leider nein. Wenn Sie sich die aktuelle Klimaschutzgesetzgebung anschauen, lesen Sie dort viel über die Energie- und die Verkehrswende, während die Rohstoff- und Ressourcenwende dort gar nicht vorkommt. Es gibt in der Kreislaufwirtschaft große Potenziale für den Klimaschutz, die leider noch gar nicht erkannt wurden. Ich kann nur hoffen, dass die neue Regierungskoalition hier mehr Weitsicht zeigt.
Könnte es sein, dass die aktuellen Lieferengpässe diesem Thema auch etwas in die Hände spielen? Weil die Menschen erkennen, dass es hierbei nicht „nur“ um ökologische, sondern genauso auch um ökonomische Fragen geht?
Riess: Das ist auf jeden Fall ein Treiber für dieses Thema. Wir haben in letzter Zeit sehr verstärkt Anfragen zum Thema Qualifikation von alternativen Zulieferquellen und europäischen Produktionsstandorten. Und eine Stärkung der heimischen Produktion wäre sicherlich sowohl für die Wirtschaft als auch für die Umwelt von Vorteil, allein schon wegen dem Wegfall der langen Transportwege. Ich glaube auch, dass uns dieses Thema dauerhaft erhalten bleiben wird, eben weil es ganz klare wirtschaftliche Vorteile gibt, die man nur erkennen und dann auch fördern muss.
MARTIN SCHMITZ-KUHL
ist freier Autor aus Frankfurt am Main und Redakteur beim VDE dialog.