Es weht und stürmt weit draußen im Meer. Die Handvoll Menschen in Warnwesten und mit Schutzhelmen wirkt auf der riesigen Bohrinsel verloren. Und genau so soll es sein: Denn die Anzahl an Mitarbeitenden auf der Bohrinsel ist deshalb gering, weil es sich bei Bohrinseln um explosionsgefährdete Areale, den sogenannten Ex-Bereich, handelt. Je weniger Personen, desto weniger Aufwand und auch weniger Menschen in Gefahr. Aber sie sind nicht auf sich allein gestellt: An ihren Helmen sind futuristisch anmutende Brillen befestigt. Damit erhalten sie Informationen zu den notwendigen Arbeitsschritten und stehen im Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen am Festland, die in Echtzeit auf das Geschehen zugreifen können. Visor-Ex 01 heißt die Brille, die die Pepperl+Fuchs-Marke ECOM Instruments für den Einsatz in solchen explosionsgefährdeten Bereichen entwickelt hat. Ein Display kann über das führende Auge heruntergeklappt werden, der Arbeiter erhält darüber die Informationen, die er auch am Smartphone sehen würde. „Trotzdem bleiben die Beweglichkeit und die Flexibilität erhalten, der Bildschirm kann beim Gehen hochgeklappt werden“, erklärt Christian Uhl, Head of Communications bei Pepperl+Fuchs.
Das Scheitern einer Vision
Die Visor-Ex 01 ist eine der smarten Brillen, deren Einsätze aktuell in unterschiedlichen Branchen erforscht und erprobt werden. Wearables für die Augen versprechen Effizienzgewinne, schließlich wird das Sehfeld um Informationen erweitert, die die Arbeit erleichtern sollen. Noch mehr Hoffnungen lagen lange Zeit auf smarten Kontaktlinsen, für die es kein umständliches Gestell mehr braucht. Was vielversprechend klang, hat in den vergangenen Jahren jedoch Rückschläge erlitten. Als Google 2014 ankündigte, die Rechte für seine Smart Lens an den Pharmahersteller Novartis zu verkaufen, waren die Erwartungen groß: Die Linse hätte Altersweitsicht „heilen“ und Zuckerkranke durch chemische Sensorik bei der Erfassung ihres Blutzuckerspiegels unterstützen sollen. 2018 kam dann die Ernüchterung, das Experiment wurde abgebrochen und bisher nicht wieder aufgenommen. „Man hat mit smarten Kontaktlinsen die Erfahrung gemacht, dass Messwerte von chemischen Sensoren unzuverlässig sind“, erklärt Dr. Thomas Stieglitz, Professor für Biomedizinische Mikrotechnik an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg und Leiter des VDE DGBMT Fachausschusses Neuroprothetik und Intelligente Implantate. Zwar lassen sich mit chemischen Sensoren Messwertänderungen etwa des Glucosespiegels gut erfassen. Allerdings ist es schwierig, einen Grundwert für die Bestimmung der Messwertänderung zu ermitteln. Das liegt daran, dass sich der Grundwert verschieben kann, das Phänomen heißt in der Fachsprache „Drift“. Optische Sensoren könnten laut Stieglitz stabiler sein. „Ich kann mir vorstellen, dass wir in Zukunft Lösungen verwenden, die auf eine Mischung aus physikalischer und optischer Sensorik bauen, vielleicht am Rande mit chemischer Sensorik“, meint Stieglitz weiter.
Dabei ist die technische Umsetzung nur eines der Probleme, vor denen die Medizintechnik im Bereich Wearables für die Augen steht. Denn die Lösungen müssen auch noch einer Vielzahl an Regularien gerecht werden. Das macht die Weiterentwicklung aufwendig und teuer. Stieglitz sieht eine Lösung in einem lohnenswerten Umweg: Statt von vorneherein Medizinprodukte zu entwickeln, sammeln Unternehmen Erfahrungen und Praxis, indem sie Wearables zunächst für den rentableren Verbrauchermarkt produzieren. Beispiel Smart Watches: Sie werden primär in der Freizeit getragen, messen mittlerweile aber nicht nur den Puls beim Sport, sondern führen auch EKG-Messungen durch und erlauben Aussagen über den Blutsauerstoffgehalt. Dieser Werdegang ermöglicht es perspektivisch, dass aus Freizeit-Wearables Medizinprodukte werden.