Vorausschauen ist Trumpf
BMW AG
19.03.2021 PREDICTIVE MAINTENANCE Publikation

Vorausschauen ist Trumpf

Sensoren, Daten und Künstliche Intelligenz sollen eine vorausschauende Wartung von Maschinen möglich machen. Das ist nicht nur funktional, sondern zudem kosteneffizient. Letztlich bringt es Wettbewerbsvorteile, einen Schaden gar nicht erst eintreten zu lassen.

VON MARKUS STREHLITZ

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Schon fünf Minuten Produktionsstillstand sorgen in der Automobilindustrie im Schnitt für Kosten in Höhe von 100.000 Euro. Um das zu verhindern, müssen Maschinen und Anlagen regelmäßig gewartet werden. Doch wenn dies nicht effizient geschieht, entstehen ebenfalls unnötige Kosten. Allein deutsche Produktionsbetriebe geben jährlich insgesamt 14 Milliarden Euro zu viel für Instandhaltungskosten aus. Diese Zahlen stehen in einem Leitfaden des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) der RWTH Aachen. Das WZL beschäftigt sich darin mit Predictive Mainte­nance­ – also der vorausschauenden Wartung. Maschinen oder Geräte werden nur noch dann gewartet, wenn es wirklich notwendig ist.

Predictive Maintenance ist derzeit der Haupttrumpf, den Botschafter der Industrie 4.0 in Händen halten. Wann immer Experten gefragt werden, was denn Vernetzung und intelligente Systeme in der Fabrik bringen sollen, nennen sie dieses Schlagwort. Vor einigen Jahren und Jahrzehnten habe das noch wie Science-Fiction geklungen, heißt es im WZL-Leitfaden. Doch durch verbesserte und günstigere Sensoren, Übertragungs- und Datenspeichertechnik sei die vorausschauende Wartung heute schon in einigen Branchen Realität. Dafür sorgen auch komplexe Analyseverfahren und Algorithmen – häufig auf Basis Künstlicher Intelligenz.

In einem Forschungsprojekt mit Partnern aus der Industrie hat das WZL den Nutzen von Predictive Maintenance speziell im Zusammenhang mit Werkzeugmaschinen offengelegt. Die Unternehmen, welche die Maschinen einsetzen, profitieren von reduzierten Instandhaltungskosten, einer verbesserten Produktionsplanung und optimierten Prozessen. Auch der Werkzeugbaubetrieb kann einen Nutzen gewinnen, wenn er Wartung als Dienstleistung anbietet. Er kann damit sein Angebot erweitern, sich von der Konkurrenz abheben und die Erkenntnisse aus der Datenanalyse für die Weiterentwicklung der eigenen Produkte und Services verwenden.

Wie ein Blick in die Glaskugel: Algorithmen sagen Schaden voraus

Andreas Zientek

»Wir schicken den Techniker zum Kunden, bevor dieser überhaupt weiß, dass er ein Problem hat.« Andreas Zientek, Systems Engineer, Zeppelin GmbH

| SPLUNK

Wie Predictive Maintenance in der Praxis aussieht, zeigt das Beispiel Zeppelin – ein Unternehmen, das unter anderem Lösungen in den Bereichen Bau-, Berg- und Landmaschinen, Baulogistik, Antrieb und Energie, Engineering und Anlagenbau anbietet und Partner des Maschinen­bauers Caterpillar ist. Zeppelin überwacht zum Beispiel die Zündkerzen von Blockheizkraftwerken, die beim Kunden stehen. Jede Minute werden Werte wie Zündspannung und Abgastemperatur pro Zylinder gemessen und anschließend von Algorithmen analysiert. „Wir können dadurch in 70 Prozent der Fälle den Ausfall einer Zündkerze im Voraus erkennen“, sagt Andreas Zientek, Systems Engineer bei Zeppelin. „Wir schicken den Techniker zum Kunden, bevor dieser überhaupt weiß, dass er ein Problem hat.“ Zeppelin kann so auf der einen Seite den Einsatz seiner Service-Leute effizienter gestalten. Auf der anderen Seite haben sich die Ausfälle pro Anlage um circa die Hälfte reduziert. Das sorgt für zufriedene Kunden.

Auch Druckmaschinenhersteller Koenig & Bauer wertet die Daten seiner Produkte aus. 20.000 bis 30.000 Sensor­meldungen pro Maschine treffen täglich beim Unternehmen ein. Koenig & Bauer nutzt diese Daten zum Beispiel, um eine Hydraulikpumpe zu überwachen oder um Platten­wechselzeiten zu analysieren, die auf den Ausfall einer Baugruppe schließen lassen. Entscheidend sei, dass Ausfallzeiten durch Wartungen geplant stattfinden und nicht ungeplant, sagt Thomas Göcke, bei Koenig & Bauer zuständig für das Thema Digital Business Transformation. Denn Letzteres bedeutet, dass die Produktion eventuell dann stillsteht, wenn der Zeitpunkt am ungünstigsten ist. Schließlich ist die Maschine laut Göcke das teuerste Produktionsmittel, das der Kunde hat. Und das muss laufen.

Im Münchner BMW-Werk setzt man ebenfalls auf Predictive Maintenance und Künstliche Intelligenz (KI). Konkret geht es um 600 Schweißzangen, mit denen Roboter im Karosseriebau arbeiten. Früher begutachtete täglich ein Mitarbeiter die Schweißzangen. Das hat sich geändert, seit diese mit Sensoren ausgestattet sind, die dreimal pro Schicht die Reibung messen und auftretende Abweichungen melden. „Durch die Sensoren und die Erfassung der Daten in einer Cloud wird nun rund um die Uhr automatisch ermittelt, wo es Bedarf für die Instandhaltung gibt“, sagt Martin Hilt, Innovations- und Digitalisierungsbeauftragter des Werks München: „So können wir den Austausch besser planen und zum Beispiel in produktionsfreie Zeiten legen.“

Software-Hersteller und Technikkonzerne haben das Potenzial von Predictive Maintenance erkannt und auch die zahlreichen IoT-Plattformen bieten entsprechende Funktionen. Ein Beispiel ist die Software Senseye, die Siemens in seine Plattform MindSphere integriert hat. Mit Senseye lassen sich Analysen für eine vorausschauende Instandhaltung erstellen. Doch auch trotz passender Software ist Predictive Maintenance mit Aufwand verbunden. Den Hauptteil der Arbeit verursachen die Daten selbst. Bis zu 85 Prozent der Zeit verbringe man in solchen Projekten damit, die Daten verfügbar zu machen und in das richtige Format zu bringen, so Zientek. Doch wenn die Technologie erst mal implementiert sei, entwickle sich eine eigene Dynamik. „Dann überlegt man, ob es noch weitere Daten gibt, die ausgewertet werden können.“ Dass sich die Auswertung lohnt, daran zweifelt inzwischen niemand mehr.

MARKUS STREHLITZ ist freier Journalist und Redakteur beim VDE dialog.

Mehr über den WZL-Leitfaden finden Sie hier:

https://bit.ly/307qC7P

02/2021: Industrie 4.0: Auf dem Weg in die vernetzte Produktion

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