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VOLKSWAGEN AG
22.03.2021 E-MOBILITÄT Publikation

Die Elektro-Insel

Griechenland und der deutsche Automobilkonzern VW planen ein besonderes gemeinsames Projekt: Die Insel Astypalea soll künftig komplett auf Elektrofahrzeuge und grüne Stromerzeugung setzen. Das Experiment ist ein Mosaikstein im Transformationsprozess von VW und Teil des griechischen Klimaplans.

VON SIMONE FASSE

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Die griechische Insel Astypalea ist kein typisches Touristen-Ziel. Wer sich jedoch für nachhaltiges Reisen und die Ägäis begeistert, findet auf dem etwas kargen Eiland kleine Hotels und Ferien-Appartements, malerische Dörfer und einsame Buchten. Die Insel, in der Größe etwa vergleichbar mit der deutschen Insel Sylt, gleicht mit ihren zwei Teilen Mesa Nisi und Exo Nisi von oben einem Schmetterling, auch „Pataloudo“ genannt. 1300 Menschen leben auf diesem rund 100 Quadratkilometer großen Fleckchen in der Ägäis. In der Automobilbranche ist Astypalea seit Ende vergangenen Jahres eine kleine Berühmtheit. Denn die griechische Regierung und der deutsche Automobilhersteller VW planen hier ein neues Leuchtturmprojekt. Demnach sollen alle Insulaner schon bald komplett klimaneutral über die insgesamt 70 km asphaltierten Straßen flitzen – ob mit E-Roller, E-Auto oder E-Bike. Dafür sollen die insgesamt rund 1500 Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor durch 1000 Elektrofahrzeuge von VW ersetzt werden. Die dafür nötige Energie wird regenerativ erzeugt – das sieht jedenfalls die Absichtserklärung vor, die der stellvertretende griechische Außenminister Konstantinos Fragogiannis und Herbert Diess, CEO des Volkswagen-Konzerns, Ende 2020 unterzeichnet haben. „Unser langfristiges Ziel ist eine klimaneutrale Mobilität für alle. Mit dem Astypalea-Projekt werden wir herausfinden, wie diese Vision schon heute erreicht werden kann“, sagt Diess.

Das viel beachtete Experiment ist nur ein Mosaikstein im weitreichenden Transformationsprozess des VW-Konzerns, mit Elektromobilität als treibender Kraft. Insgesamt rund 33 Milliarden Euro investiert der Konzern hier nach eigenen Angaben in den kommenden fünf Jahren in die E-Mobilität. Schon 2025 will die Marke Volkswagen weltweit mehr als eine Million E-Autos pro Jahr verkaufen. Zugpferde dafür sollen zunächst der neue ID.3 und der ID.4 als Elektro-­SUV sein, bis 2029 könnten etwa 75 neue Modelle hinzukommen.

Hersteller müssen neue Ökosysteme aufbauen

Der Handlungsdruck ist groß und kommt von mehreren Seiten. Zum einen zwingen die Emissionsvorgaben der EU und Flottenziele aus China alle Automobilhersteller dazu, ihren CO2-Ausstoß deutlich zu verringern und E-Mobilität voranzutreiben. Gerade hat der VW-Konzern die europäischen Flottenziele bei Kohlen­dioxid-Emissionen gerissen, denn der Durchschnittswert in 2020 aller in Europa verkauften Pkw des Konzerns lag um 0,5 Gramm über den EU-Vorgaben. Der Konzern muss Bußgeld zahlen, sieht sich in puncto CO2-Reduktion jedoch auf dem richtigen Weg. Im Vergleich zu 2019 habe VW seinen durchschnittlichen Flottenausstoß im vergangenen Jahr um 20 Prozent reduziert, so der Konzern.

Auch die Expansion des amerikanischen Elektro-Vorreiters Tesla können die deutschen Hersteller nicht mehr ignorieren. „Bei Tesla sehen wir inzwischen innovative Ideen, die ‚Out of the Box‘ gedacht sind. Dafür hat Elon Musk noch immer Probleme in der Skalierung der Modelle. Am Ende kommt es darauf an, ob die Erstausrüster, die OEMs, mit ihren Entwicklungen schnell genug aufholen und ihre Vorteile in der Skalierung nutzen können“, sagt Dr. Ralf Petri, Geschäftsbereichsleiter Mobility im VDE. Das Modellprojekt ist aus seiner Sicht grundsätzlich der richtige Schritt: „VW kann auf Astypalea ein eigenes Ökosystem idealtypisch aufbauen – von der Erzeugung der Energie bis zur täglichen Nutzung der verschiedenen Fahrzeugtypen“, so Petri.

Konkret sollen auf der Schmetterlings-Insel alle Autos, Lastwagen, Bikes und Busse durch Elektro-Fahrzeuge ersetzt werden. Zusammen mit lokalen Partnern wird ein Teil der traditionellen Fahrzeugvermietung in ein Carsharing umgewandelt, das neben E-Autos auch Roller der Konzernmarke Seat sowie E-Bikes anbietet. Die Ladeinfrastruktur wird mit den Wallboxen der VW-Tochter Elli geschaffen, mit Ladestationen an Häusern, Parkplätzen oder an Badestränden. Der Strom soll aus lokal erzeugter Solar- und Windenergie, nicht mehr aus fossilen Brennstoffen wie den bisherigen Dieselgeneratoren gewonnen werden. Erste Schritte sind bereits in diesem Jahr geplant.

Das Projekt ist Teil des griechischen Klimaplans

„Wir stehen bei der Elektromobilität an einem Wendepunkt. Die Baureihen der OEMs werden sukzessive elektrifiziert, das lässt sich nicht mehr zurückdrehen. Allerdings sind Infrastruktur und Fahrzeuge im Zusammenspiel noch nicht in Gänze erprobt. Genau hier kann das Pilotprojekt wichtige Erkenntnisse liefern“, erläutert VDE Experte Petri. „Die Automobilbranche muss jetzt neue Ökosysteme aufbauen.“

Auch die griechische Regierung verfolgt große Ziele mit dem Modell-­Projekt, das zunächst für sechs Jahre angelegt ist. „Wir starten das erste ‚Smart Green Island‘-Projekt des Landes und markieren damit einen Meilenstein für die Zukunft. Elektrische Mobilität sowie ein umfassender, grüner und nachhaltiger Maßnahmenplan werden den Alltag der Inselbewohner deutlich verbessern“, meint Vize-Außenminister Konstantinos Fragogiannis. „Zusammen mit einem vollkommen neuen Nahverkehrssystem werden wir zukunftsweisende Ideen in die Realität übertragen.“

Astypalea eigne sich aufgrund der Größe und der autarken Energieversorgung für das Projekt. Den Übergang zur Elektromobilität sieht der Politiker als „zentralen Pfeiler unserer Strategie zum Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen“. Die Athener Regierung subventioniert die Fahrzeuge mit bis zu 12.500 Euro pro Stück und investiert hier, ebenso wie VW, voraussichtlich rund zehn Milliarden Euro. Bei der weiteren Finanzierung ist jedoch die Initiative der Insulaner gefragt – ebenfalls ein Test, ob die Überzeugungsarbeit für mehr Umweltschutz wirkt.

VW-Chef Diess nennt das Projekt eine „zukunftsweisende Blaupause“ für saubere Mobilität: „Wenn Politik, Unternehmen und Gesellschaft mit einer gemeinsamen Vision als Partner an einem Strang ziehen, kann Dekarbonisierung sehr schnell gelingen.“

SIMONE FASSE ist Journalistin mit den Themenschwerpunkten Technologie und New Work. Sie schreibt von München aus unter anderem für die VDI nachrichten.

Mehr über die Dienstleistungen des VDE Instituts zur E-Mobility unter:

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