Als der Chef des Bundeskanzleramts Helge Braun (CDU) Ende Januar die Datenstrategie der Bundesregierung präsentierte, nannte er eine schockierende Zahl: 90 Prozent aller Daten würden nach Schätzungen von Wissenschaftlern nicht genutzt. Die Strategie der Bundesregierung soll helfen, diese „Datenschätze“ zu heben und die Nutzung insbesondere in der Wirtschaft zu fördern. Denn die Bedeutung von Daten wächst stetig. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) bezifferte den Wert der Datenökonomie in der EU für 2019 auf 400 Milliarden Euro – fast acht Prozent mehr als im Jahr zuvor.
Nicht umsonst werden Daten gern als das neue Öl oder Gold bezeichnet. „Wobei der Vergleich nicht besonders sinnvoll ist“, sagt Volker Markl, Direktor des Berlin Institute for the Foundations of Learning and Data (BIFOLD). Weil Daten nicht verbraucht werden, seien sie nicht mit einem Rohstoff vergleichbar, sondern eher mit Produktionsfaktoren wie Kapital, Arbeit oder Boden. Auf Englisch sagt Markl daher gern: „Data is not the new oil, but the new soil“ - also der neue Boden. Denn so, wie aus dem Boden neues Getreide entsteht, können aus Daten neue Informationen gewonnen werden. „Und so, wie ich den Boden düngen oder gießen muss, muss ich auch Daten pflegen, reinigen und aktualisieren“, so Markl.
Seine Daten nicht nur zu sammeln, sondern systematisch aufzubereiten, ist die Grundlage für gewinnbringende Analysen. Und nur so kann man auch einen Schritt weiter gehen und Informationen aus verschiedenen Quellen miteinander verknüpfen. Die Vernetzung von Daten ist ein zentrales Element der Industrie 4.0: In Fabriken werden Informationen von Zulieferern und Kunden gleichermaßen benötigt, um Logistik- und Produktionsprozesse zu optimieren. Der Datenaustausch zwischen dem Hersteller und dem Anwender einer Maschine ist Grundlage für die vorausschauende Wartung („Predictive Maintenance“ – siehe auch Beitrag auf Seite 22 im E-Paper). Und auch ganz neue Geschäftsmodelle werden so möglich, bei denen digitale Zusatzservices verkauft oder nicht die Maschine selbst, sondern deren Nutzungszeiten berechnet werden.
Doch manche Unternehmen tun sich damit noch schwer. „Viele deutsche Mittelständler sitzen auf Daten, ohne zu wissen, welche praktischen Anwendungsmöglichkeiten es hierfür gibt“, sagt Keran Sivalingam, Leiter des Projekts smartMA-X bei der SmartFactory Kaiserslautern. Hier sollen die Grundlagen für ein europaweites Maschinennetzwerk auf Basis von Gaia-X entstehen.
Die Cloudinfrastruktur ist ein zentrales Element in der Strategie der Bundesregierung, um die Datennutzung zu fördern. Die Erwartungen an Gaia-X könnten kaum größer sein: Als „Moonshot der Digitalpolitik“ und „vielleicht wichtigstes digitales Bestreben einer Generation“ bezeichnete es Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) beim Start im vergangenen Jahr. „Gaia-X muss der europäische Goldstandard in der Industrie werden“, fordert Iris Plöger, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim BDI.
Die Erwartungen an das europäische Datenprojekt Gaia-X sind gewaltig
Die vernetzte Dateninfrastruktur soll einerseits die Abhängigkeit von den großen US-Cloudanbietern, den Hyperscalern wie Amazon Web Services (AWS) oder Microsofts Azure reduzieren und andererseits eine Grundlage zum besseren Datenaustausch und damit für ein europäisches Datenökosystem schaffen.
Ob Gaia-X das wirklich gelingen kann, muss sich in diesem Jahr zeigen. 2020 ist aus der deutschen Idee tatsächlich ein europäisches Projekt geworden: Die 22 Gründungsmitglieder haben in Brüssel eine Dachorganisation gebildet. Dazu gehören Konzerne wie SAP, Siemens, Deutsche Telekom, Bosch und BMW, aber auch die Fraunhofer-Gesellschaft und französische Industriegrößen wie der Telekommunikationskonzern Orange, die IT-Spezialisten Amadeus, Atos und OVH oder der Energieriese EDF. Mehr als 180 weitere Unternehmen haben sich bereits für eine Mitgliedschaft beworben.
Und auch in immer mehr europäischen Ländern steigt das Interesse an dem Projekt. „Neben Deutschland gibt es inzwischen schon acht weitere nationale Hubs und ich gehe davon aus, dass es bis Jahresende zwanzig sein werden“, sagt Peter Krämer von der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech). Krämer ist Koordinator des deutschen Gaia-X-Hubs, der zentralen Anlaufstelle für Interessenten an dem Vorhaben hierzulande. Wenn sich ein Unternehmer aus dem Sauerland bei Gaia-X anschließen möchte, muss er dadurch nicht in Brüssel anrufen, sondern hat eine direkte Kontaktmöglichkeit in München.
200 Personen aus 175 Unternehmen tauschen sich im deutschen Hub regelmäßig aus, die Produktionsindustrie und Use Cases aus der Industrie 4.0 spielen dabei eine herausragende Rolle. „Fehlende Möglichkeiten zum Austausch von Daten sind für viele ein Hemmnis, sich in die Datenwirtschaft einzuklinken“, sagt Krämer. „Ich glaube, dass Gaia-X diese Problematik beheben kann.“