Elektrotechnikstudium
IZI, Fotograph Christian Rudnik
01.10.2022 Publikation

Mehr als Monteure

Junge Erwachsene finden elektrotechnische Berufe unattraktiv – dabei wissen sie oft nicht, was dahintersteckt. Wie VDE und Fachbereichstag das Imageproblem mittels einer Studie aufarbeiten und Lösungen aufzeigen, erklären Studienleiterin Dr. Maya Götz und VDE Experte Dr. Michael Schanz.

Von Peter Ilg

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Nachwuchskrise

Digitalisierung und Transformation brauchen mehr Elektroingenieure und -ingenieurinnen. Doch statt mehr gibt es immer weniger von ihnen. Einer der Gründe ist, dass immer weniger junge Leute entsprechende Studiengänge absolvieren. An der Unbeliebtheit technischer Fächer allgemein liegt es nicht. Das zeigt der Vergleich von Elektro- und Informationstechnik und Informatik. Während die Studierendenzahlen Ersterer schrumpfen, wachsen sie bei Letzterer . Die Schlussfolgerung, dass speziell die Elektro- und Informationstechnik ein Imageproblem beim Nachwuchs hat, liegt nahe. 

Ob das stimmt und woran es liegt, will Dr. Michael Schanz, Arbeitsmarktexperte im VDE, in einer groß angelegten Studie herausfinden und hat damit gemeinsam mit dem Fachbereichstag Elektrotechnik und Informationstechnik Dr. Maya Götz beauftragt. Die Medienwissenschaftlerin leitet das Internationale Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen beim Bayerischen Rundfunk. Für die Studie wurden 658 Schülerinnen und Schüler, die dicht am Schulabschluss stehen, befragt, außerdem 50 mit einer 1 in Mathe, Physik, Informatik (High Potentials) und 1.195 Studierende überwiegend aus dem ersten oder zweiten Semester in Elektro- und Informationstechnik. Die Ergebnisse sind mal mehr, mal weniger überraschend – doch in jedem Fall alarmierend.

Unbeliebt wie nie

Die Studierendenzahlen vermeintlich konkurrierender Fächer zeigen: Die Elektrotechnik hatte 2021 ihren bisherigen Tiefstand.

Studierendenzahlen

Unbeliebt wie nie: Die Studierendenzahlen vermeintlich konkurrierender Fächer zeigen: Die Elektrotechnik hatte 2021 ihren bisherigen Tiefstand. 

| VDE Berechnungen, Statistisches Bundesamt
Dr. Maya Götz

"Das Studium der Elektro- und Informationstechnik erledigt sich für viele, bevor sie sich überhaupt zu möglichen Studiengängen informieren." Dr. Maya Götz, Studienleiterin

| IZI

Welches Image hat das Studium der Elektro- und Informationstechnik bei jungen Leuten?

Dr. Maya Götz: Kein gutes. Angehende Studienberechtigte stellen sich Ingenieure der Elektro- und Informationstechnik überwiegend als Männer in grauer Kleidung, manchmal im Blaumann vor, die in gebückter Haltung Kabel ineinanderstecken. Dies sind abschreckende Bilder, durch sie entsteht beim potenziellen Nachwuchs ein unattraktives Image für den Berufsstand. Das haben uns die befragten Hochbegabten unmissverständlich gesagt. 

Dr. Michael Schanz: Das große Problem ist, dass wir für die vielen Aufgaben in der Elektro- und Informationstechnik zu wenige Ingenieurinnen und Ingenieure haben. Auf die Demografie und die zunächst doppelte, dann sinkende Anzahl von Abiturientinnen und Abiturienten in einzelnen Bundesländern haben wir keinen Einfluss, wohl aber auf das Image des Berufsstands. Das lässt zu wünschen übrig. Deshalb sollten wir ein positives Erscheinungsbild grundlegend neu aufbauen.

Woher kommt dieses schlechte Image bei potenziell Studierenden der Elektro- und Informationstechnik?

Götz: Sie haben klare Vorstellungen von dem, was sie von ihrem Beruf erwarten. Dazu zählen: wirtschaftlich gut davon leben können, ernst genommen werden, kreative Aufgaben und eine gesunde Work-Life-Balance haben. Die Aufgaben von Elektroingenieurinnen und -ingenieuren bestehen in deren Wahrnehmung darin, dass sie handwerklich an elektrischen Anlagen arbeiten. Einige meinen sogar, Elektroingenieure würden die Weihnachtsbeleuchtung für den Marktplatz planen und selbst installieren. Sie haben somit völlig falsche Vorstellungen von den Aufgaben des Berufsstands. Reale Berufswünsche und missverstandene Berufswirklichkeiten finden deshalb keinen Konsens. 

Entsteht das unrealistische Bild, weil sich die jungen Leute an den falschen Stellen über das Studium informieren?

Götz: Die Hälfte der angehenden Studienberechtigten informiert sich über die Studienmöglichkeiten im Internet, mit deutlichem Abstand folgt die reale Welt. In der befragen sie Familienmitglieder und Bekannte. Einige Studiengänge, darunter insbesondere die Elektro- und Informationstechnik, werden online nur mäßig dargestellt. Etwa auf Homepages von Hochschulen wird sie folgenschwer präsentiert: Sie wird häufig mit einer Vielzahl von fachlichen Fremdwörtern kompliziert und unverständlich beschrieben. Damit können die Schüler nichts anfangen. Diese Präsentationen schrecken Studienwillige ab, anstatt sie anzuziehen.

Für die Studie wurden die Schülerinnen und Schüler auch nach ihren Noten in den für die Elektro- und Informationstechnik relevanten Fächern Mathematik, Physik, Informatik befragt und die Antworten der High Potentials speziell ausgewertet. Haben die guten Schüler ein anderes Bild von der Elektro- und Informationstechnik als die mit weniger guten Noten? 

Götz: Das Grundproblem ist das gleiche: Beide haben den Eindruck, Ingenieurinnen und Ingenieure der Elektrotechnik führen nur Anweisungen aus, kontrollieren und reparieren elektrische Geräte. Viele High Potentials, also die mit der 1 vor dem Komma, sehen sich eher in der Projektleitung und im Entwickeln von technischen Lösungen. Das ist eigentlich sehr dicht an dem, was Elektroingenieure und -ingenieurinnen beruflich tun, das wissen die Jugendlichen aber leider nicht. Auch die mit der 2 vor dem Komma in denselben Fächern stellen sich den Elektriker vor und wissen, dass Kabelstecken nicht ihrer Zukunftsperspektive entspricht. Somit erledigt sich das Studium der Elektro- und Informationstechnik für viele, bevor sie sich überhaupt zu möglichen Studiengängen informieren.

Michael-Schanz

"Der Begriff Elektrotechnik und seine Inhalte werden von der Jugend nicht mehr verstanden." Dr. Michael Schanz, VDE Arbeitsmarktexperte

| VDE

Unter denen, die das Fach tatsächlich studieren, gibt es einen großen Schwund: Viele wechseln das Fach, in eine Ausbildung oder fallen durch.

Schanz: Aktuell liegt diese Schwundzahl auf einem traurigen Rekordniveau von über 60 Prozent. Das können wir uns nicht leisten bei einem rasant ansteigenden Mangel an Elektroingenieurinnen und -ingenieuren. Deshalb müssen wir untersuchen, woran genau das liegt. Meine Vermutung ist, dass neue Gründe für den Schwund hinzugekommen sind, etwa das Alter der Studierenden. Mit der Einführung des Turbo-Abiturs wurde die Zeit am Gymnasium in fast allen Bundesländern um ein Jahr verkürzt. So beginnen Jugendliche manchmal schon mit 17 oder 18 Jahren ihr Studium. Nicht selten fehlt dann die notwendige Reife. In den Fällen kann selbst ein kleiner emotionaler Rückschlag zur Aufgabe des Studiums führen.

Laut Ihren Berechnungen beträgt die Lücke an Elektroingenieuren rund 11.700 pro Jahr. Bislang konnte sie mit aus dem Ausland Rekrutierten gefüllt werden. 

Schanz: Der Bedarf an Elektroingenieurinnen und -ingenieuren steigt aber und das Angebot sinkt. Deshalb war die Lücke noch nie so groß. Rekrutierte ausländische E-Technik-Ingenieure und -Ingenieurinnen kommen überwiegend aus anderen Industriestaaten. Aber auch in diesen Ländern ist zunehmend der demografische Wandel spürbar und auch bei ihnen werden mehr Elektro- und Informationstechnikingenieurinnen und -ingenieure gebraucht für Digitalisierung, Mobilitätswende und den Aufbau regenerativer Energien. Deshalb werden sie künftig eher weniger als mehr Elektroingenieure an uns abgeben wollen. Wenn es uns nicht gelingt, diese Lücke mehr mit eigenem Nachwuchs zu schließen, können die Unternehmen ihre Aufträge nicht erfüllen. Das kann die großen Themen unserer Zeit gefährden.

Das Institut der deutschen Wirtschaft hat im Frühjahr einen Rekordwert bei der Zahl an offenen Stellen in MINT-Berufen verkündet. Die größten Engpässe bestehen in den Energie- und Elektroberufen mit 82.500 und in den IT-Berufen mit 60.600. Energie, Elektro und IT scheinen die größten Sorgenkinder am deutschen Arbeitsmarkt zu sein.

Schanz: Das sind sie. Unsere Welt wandelt sich in Richtung elektrisch, digital und nachhaltig. Dadurch wird die Elektro- und Informationstechnik noch viel präsenter werden in allen Bereichen unseres Lebens. Deshalb ist es naheliegend, dass die meisten neuen Beschäftigten in den genannten Bereichen gebraucht werden – und sie hervorragende Zukunftsperspektiven haben.

Die Informatik ist das wichtigste Vergleichsfach. Die Elektro- und Informationstechnik hinkt hier im Wettbewerb um Studierende stark hinterher.

Schanz: Die Informatik ist in einer besseren Position und hat es dadurch leichter, Nachwuchs für das Studium zu rekrutieren. Denn das Wort „Digitalisierung“ hören wir gefühlt hundert Mal am Tag und die meisten verbinden es mit Informatik – ebenso Begriffe wie Smartphones, Tablets und Laptops. Junge Leute finden Informatik sexy, die Elektro- und Informationstechnik verstaubt und altbacken. Die Vertreter der Branche haben es verpasst, auf den großen Wettbewerber, die Informatik, zu schauen und ihr eigenes Image zu modernisieren. 

Berufswahl via Browser

Schülerinnen und Schüler zwischen 14 und 21 Jahren antworteten auf die Frage: Wer oder was hat dich auf die Idee für deinen Berufswunsch gebracht?

Quellen der Berufswahl

Berufswahl via Browser: Schülerinnen und Schüler zwischen 14 und 21 Jahren antworteten auf die Frage: Wer oder was hat dich auf die Idee für deinen Berufswunsch gebracht?

| VDE Berechnungen, Statistisches Bundesamt

Lässt sich das Image der Elektro- und Informationstechnik zum Positiven wenden?

Götz: Das Berufsfeld der Elektro- und Informationstechnik ist vielfältig, interessant und es bietet sinnvolle Tätigkeiten. Das Problem ist: potenziell Studierende des Fachs wissen das nicht. Deshalb sollten sich die Unternehmen der Branche zunächst klarmachen, was sie dem Nachwuchs bieten können und herausstellen, was sie attraktiv macht. Wenn diese beiden wichtigen Punkte dann auch noch so kommuniziert werden, dass sie bei den Jugendlichen von heute ankommen, lässt sich das schiefe Bild zurechtrücken.

Was können die Hochschulen tun?

Götz: Sie sollten sich für ihre Zielgruppe verständlich und attraktiv präsentieren. Wir dürfen nicht vergessen: Das sind Schülerinnen und Schüler zwischen 15 und 18 Jahren. Die Ansprache muss alters- und geschlechtersensibel sein. Zudem ist es wichtig, eine viel klarere Orientierung zu geben. Jugendliche wissen oft nicht, was ein duales Studium oder Ausbildung mit integriertem Studium ist, was den Unterschied zwischen Universität und einer Hochschule für angewandte Wissenschaften ausmacht und welche Hochschule welche Schwerpunkte legt. Jugendliche hätten erst mal gerne einen Überblick, sie wünschen sich zum Beispiel übersichtliche Steckbriefe über das Studium und den späteren Beruf. Hier würde sich eine Zusammenarbeit von Unternehmen und Hochschulen der Elektro- und Informationstechnik anbieten, um Orientierung zu bieten – die aber bitte mittels des passenden Mediums …

… also soziale Netzwerke …

Schanz: … richtig. Die Generation Z, die um die Jahrtausendwende geborenen, sind es gewohnt, sich in den sozialen Medien zu informieren. Und sie haben sich daran gewöhnt, dass die für sie wichtigen Informationen zu ihnen kommen, also eher Push- statt Pull-Nachrichten. Wenn sie im Internet suchen, muss die Information rasch auffindbar, verständlich und attraktiv kommuniziert sein. Diese Form der Kommunikation zwischen Unternehmen und Hochschulen einerseits und potenziellen Studierenden andererseits funktioniert nicht. Deshalb sollte sie geändert werden. Die digitale Kommunikation mit der Generation Alpha, ab 2010 geborene, wird wohl noch extremer werden. Wer also heute umstellt, investiert bereits in die Zukunft.

Würde es reichen, einen passenderen Namen für die Elektro- und Informationstechnik zu finden?

Schanz: Der Begriff "Elektrotechnik" war gut 130 Jahre sehr erfolgreich. Jetzt aber ist diese Bezeichnung aus der Mode gekommen und seine Inhalte werden von der Jugend nicht mehr verstanden. Das Thema ist strittig, aber wir sollten uns Gedanken darüber machen, wie wir uns künftig benennen wollen, um mit einer attraktiven und einheitlichen Bezeichnung des Studiums und Berufs mehr Interessenten zu bekommen. Dann verstehen sie eventuell auf Anhieb, dass es in der Elektro- und Informationstechnik nicht um Lichterketten auf dem Marktplatz geht.

Autor: Peter Ilg ist freier Journalist für Themen rund um Menschen und Technik.