Zwei Bündel Glasfaserkabel sind durch leuchtende Stränge miteinander verbunden.
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01.04.2023 Publikation

Sektorenkopplung: Alles im Fluss

Für die Verwirklichung der All Electric Society müssen unterschiedliche Bereiche miteinander verknüpft werden, Energie und Daten müssen ständig fließen. Entscheidend dabei: eine gemeinsame Sprache der Systeme – und ihre Normung. 

Von Markus Strehlitz
 

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Nicht alle Bereiche der Gesellschaft lassen sich ohne Weiteres elektrifizieren, etwa die Prozessindustrie oder die Luftfahrt. Auch die Bereitstellung von Wärme basiert noch zu einem großen Teil auf fossilen Energieträgern. In der All Electric Society lautet die Lösung hierfür: Kopplung der Sektoren, die bislang oft eher nebeneinanderher betrieben werden. Zu den Sektoren zählen: die Bereiche der Energiewirtschaft Strom, Wärme und Verkehr, die Verbrauchsgruppen Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen sowie private Haushalte. Sie alle müssen miteinander verbunden werden, um überall regenerativ erzeugte elektrische Energie als Primärenergie zu nutzen. 

Zudem sorgt eine Kopplung der Bereiche für die notwendige Flexibilität. Schließlich unterliegt die Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenenergie zeit- und wetterbedingt erheblichen Schwankungen. Daher ist es sinnvoll, in Zeiten mit viel Wind und Sonne den überschüssigen Strom für Wärme oder Verkehr zu nutzen oder mithilfe von Speichern aufzubewahren. Die Sektorenkopplung bildet somit das Fundament der All Electric Society.

Als Brücken zwischen den Sektoren stehen eine Reihe verschiedener Technologien zur Verfügung – allen voran die Power-to-X-Verfahren. Darunter versteht man alle Verfahren, die grünen Strom in chemische Energieträger zur Stromspeicherung, in strombasierte Kraftstoffe zur Mobilität oder Rohstoffe für die Chemieindustrie umwandeln. Die E-Mobilität ist ein gutes Beispiel dafür, dass Sektorenkopplung schon auf unterster Ebene beginnt. In einzelnen Gebäuden oder in zellularen Strukturen wie städtischen Quartieren treffen die verschiedenen Bereiche aufeinander. Und hier können die Brücken geschlagen werden – etwa durch das Laden des E-Autos mit Strom aus der heimischen Photovoltaikanlage. 

Ein weißes Klimagerät steht vor einer grauen Wand

Ohne intelligente Stromnetze - sogenannte Smart Grids - wird der Hunger nach Energie in der Zukunft kaum noch zu stillen sein.

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Die Einbindung vieler Akteure erfordert ein hochintelligentes Management

Um die Sektorenkopplung auf kommunaler Ebene voranzutreiben, haben die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) im Januar das dreijährige Projekt Forum Synergiewende gestartet – im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative und mit Förderung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Der Fokus liege auf der Unterstützung von Kommunen, die eigene Projekte im Bereich der Sektorenkopplung umsetzen möchten, sagt Barbara Metz, Bundesgeschäftsführerin der DUH. Denn diesen allein fehle dazu noch die Erfahrung und das Wissen. 

Ein Beispiel, wie Sektorenkopplung funktioniert, liefert die Heidelberger Energiegenossenschaft, die in der Heidelberger Südstadt bei einem Wohnquartier die Direktversorgung mit Sonnenstrom vom eigenen Dach umgesetzt hat. Integriert sind außerdem ein Stromspeicher sowie eine E-Ladesäule. Die Photovoltaikanlage mit einer Spitzenleistung von 67 kWp ist auf zwei Gebäuden installiert und versorgt circa 130 Personen mit Strom. 

Ein anderes Quartier-Beispiel zeigt, dass die Digitalisierung eine entscheidende Rolle bei der Sektorenkopplung spielt. Das Projekt Smartes Quartier Karlsruhe Durlach umfasst einen Gebäudekomplex von 175 Wohnungen, bei dem die konventionelle Versorgung durch ein neues Energiesystem aus Wärmepumpen, Photovoltaik und Blockheizkraftwerken ersetzt wurde. Für die Entwicklung des Energiesystems simulierte das am Projekt beteiligte Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) das Quartier mit allen Erzeugern und Verbrauchern. Daraus entstand dann ein Konzept, das auf einem intelligenten Energiemanagement basiert. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz werden die Wärmeerzeuger für die fünf miteinander vernetzten Gebäude zentral gesteuert. So lassen sich zum Beispiel auf der Basis von Wettervorhersagen und mithilfe von Algorithmen die Energielasten prognostizieren. Damit kann etwa der Betrieb der Wärmepumpen intelligent gesteuert werden. Diese sollen dann laufen, wenn die Photovoltaikanlage oder die BHKWs Strom produzieren.

Algorithmen sorgen auch dafür, dass das System Abweichungen vom Normalbetrieb erkennt. Ist dies der Fall, wird der mögliche Fehler gemeldet. Als selbstlernendes System wird es im Laufe der Zeit dabei immer besser. Was das Energiemanagementsystem in diesem Beispiel leistet, ist eine generelle Anforderung im Energiesystem der Zukunft. Die Sektorenkopplung sorgt dafür, dass zunehmend mehr Akteure in das System eingebunden werden – Windkraftanlagen, Ladesäulen oder private Photovoltaiksysteme. Diese müssen miteinander kommunizieren und intelligent gesteuert werden. Parallel zur Energie müssen also Daten fließen.

Ein Smart Grid, das schon seit vielen Jahren ein mehr diskutiertes als verwirklichtes Thema ist, wird nun tatsächlich gebraucht. Doch mittlerweile habe sich ein Mentalitätswechsel ergeben, meint Johannes Stein, Senior Principal Expert bei der DKE. Es würden nun konkrete Konzepte für Smart Grids ausgearbeitet – mit Fokus auf die Integration von 100 Prozent erneuerbaren Energien. Dabei würde man noch stärker als bisher die Perspektive der Verbraucher einnehmen und zu diesen nicht nur Wohngebäude, sondern auch die Industrie zählen. "Es ist ganz klar, dass ein Smart Grid ein wichtiger Bestandteil der All Electric Society ist", so Stein.

Zu sehen sind viele Strommasten. Die Leitungen sind leuchtend rot sichtbar gemacht.

Wärme und Kälte in Gebäuden, die Versorgung mit Elektrizität, Verkehr und Industrie – alle Bereiche basieren im Zukunftsbild der All Electric Society auf elektrischem Strom und sind miteinander verknüpft. Ein Problem: Jeder Sektor und jedes System hat bislang eigene Datenmodelle.

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Sicherheit in einem immer größer werdenden Datenstrom

Es gibt eine Reihe von Projekten, die das Stromnetz der Zukunft erproben. Dazu zählt das Smart Grid Lab Hessen. In einem Labor wurde dafür ein Netz mit allen dazugehörigen Betriebsmitteln wie etwa Wechselrichtern, Lastwiderständen, Speichern, Photovoltaikanlagen und E-Ladesäulen aufgebaut. Auf dieser Basis kann der komplette Betrieb eines Smart Grids inklusive Energieproduzenten und Energieverbrauchern simuliert werden. Das intelligente Netz sammelt die Energiedaten, analysiert diese und entscheidet autonom, wie die elektrische Energie am besten verteilt wird. Dazu kommen Flexibilitäten zum Einsatz. Diese können durch aktive Netzelemente wie Spannungsregler oder auch durch ein geändertes Lastverhalten der Kunden dargestellt werden.

Ein Fokus des Projekts liegt auf der Sicherheit der Daten. "Aufgrund der durch smarte Komponenten hervorgerufenen, immer größer werdenden Datenströme und der hohen Komplexität des Stromnetzes wird die Netzführung immer anspruchsvoller", sagt Projektleiter Prof. Dr. Ingo Jeromin. "Es ist enorm wichtig, einen höchstmöglichen Schutz für alle Prozesse und sensiblen Daten zu gewährleisten. Datensicherheit und Resilienz sind zentral." Eine der großen Herausforderungen sieht er in der Kommunikation zwischen den verschiedenen Betriebsmitteln. "Wir sind froh, dass wir es geschafft haben, die verschiedenen Komponenten miteinander zu verknüpfen", so Jeromin. Das Problem: Die unterschiedlichen Geräte nutzen jeweils ihre eigenen Datenprotokolle. Die Systeme verstehen sich also nicht ohne Weiteres. Und das macht den Aufwand für den Aufbau eines Smart Grids besonders groß.

Blick aus der Vogelperspektive auf einen Ausschnitt eines Autobahnkreuzes bei Nacht, auf dem viele Fahrzeuge unterwegs sind.

Um den Strom, der künftig nahezu grenzenlos und ohne negative Auswirkungen auf das Klima zur Verfügung stehen soll, intelligent zu verteilen, müssen die Schnittstellen zwischen den Sektoren genormt sein und diese mithilfe einer gemeinsamen Semantik kommunizieren. 

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Systeme, die zusammenarbeiten sollen, brauchen eine gemeinsame Sprache

Das Projekt in Hessen zeigt damit eine der größten Hürden, die der Sektorenkopplung noch im Weg stehen. "Jeder der verschiedenen Sektoren hat seine eigenen Datenmodelle, seine eigene Semantik", sagt DKE Mann Stein. Innerhalb der Bereiche gebe es Standards, nach denen gearbeitet wird – wie etwa CIM (Common Information Model) bei den Stromnetzen. Doch der Datenaustausch zwischen den Sektoren ist das Problem.

Ein Lösungsansatz könnte dabei aus der Industrie kommen. Unter Schlagworten wie Industrie 4.0 oder Smart Manufacturing machen sich Fertigungsunternehmen daran, ihre Produktion zu digitalisieren. Dabei müssen Maschinen, IT-Systeme und Sensoren mit unterschiedlichen Datenmodellen miteinander vernetzt werden. Um dieses Problem zu lösen, hat die nationale Initiative Plattform Industrie 4.0 im Rahmen eines Referenzarchitekturmodells eine sogenannte Verwaltungsschale entwickelt. Diese stellt einen herstellerunabhängigen Standard für das Bereitstellen von Informationen und für die Kommunikation in einer einheitlichen Sprache dar. Heißt konkret: Jedes Asset – wie etwa ein Bauteil, ein Gerät oder eine Software – hat seine eigene Verwaltungsschale, die quasi eine Art digitalen Produktpass darstellt. Dieser umfasst verschiedene Teilmodelle, die wiederum Eigenschaften, Fähigkeiten, Anweisungen zu dem jeweiligen Asset in einer definierten einheitlichen Semantik bereitstellen. Diese werden über den gesamten Lebenszyklus des Assets hinweg gespeichert – inklusive aller Änderungen. Mit der IEC 63278 gibt es bereits eine erste internationale Norm für die Verwaltungsschale.

Über die gesamten Wertschöpfungs- und Lieferketten hinweg tauschen sich die involvierten Unternehmen über einen gemeinsamen Datenraum aus, den die Initiative Manufacturing-X umsetzt – so die Pläne der Plattform Industrie 4.0. Dort sollen alle involvierten Unternehmen die Daten gemeinsam nutzen. Der Datenraum basiert dabei auf den Standards der Initiative International Data Spaces, die das Teilen von Informationen unter Wahrung der Datensouveränität gewährleisten sollen.

Dieses Konzept – also Verwaltungsschale plus gemeinsamer Datenraum – könnte laut Stein auch für die Kommunikation in der Sektorenkopplung genutzt werden. Das Modell und die erste Normung für die Verwaltungsschale sind so offen angelegt, dass sie sich als Rahmen für die anderen Sektoren außerhalb der Industrie schnell einsetzen lassen. Jede Komponente im Energienetz der Zukunft hätte dann auch ihren eigenen digitalen Produktpass. "Das Konzept findet gerade innerhalb der DKE starke Unterstützung, weil es sehr generisch ist", sagt Stein. Es komme zwar aus der Industrie, lasse sich aber leicht übertragen. "Um eine übergreifende Kommunikation zu ermöglichen, muss man nicht bis in alle Details der einzelnen Datenmodelle gehen", so Stein. "Es reicht, sich auf ein bestimmtes Set an Daten zu einigen, um eine einheitliche Semantik zu entwickeln."

Innerhalb der DKE wird nun laut Stein daran gearbeitet, wie sich Verwaltungsschale und Datenraum sektorenübergreifend realisieren lassen. An einzelnen Use Cases soll dann die Machbarkeit getestet werden.

In einer vorwiegend weißen Produktionshalle sind drei rote Industrieroboter mit gelben Armen bei der Arbeit zu sehen.

Normen, die als maschinenlesbare Inhalte vorliegen, spielen bei der Sektorenkopplung eine entscheidende Rolle.

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Einzelnormen zu einem funktionierenden Gesamtkonzept verbinden

Dabei wird es dann auch um die Interoperabilität von Normen gehen. Denn diese spielen in der Sektorenkopplung ebenfalls eine sehr wichtige Rolle. Innerhalb eines jeden Bereiches sorgen Normen bereits für Einheitlichkeit. Bei Brennstoffzellen beispielsweise legt die DIN EN 50465 fest, welchen Anforderungen die entsprechenden Anlagen genügen müssen. Im Sektor E-Mobilität sorgt die DIN EN IEC 62196 dafür, dass Fahrzeughalter in Europa ihr Elektroauto mithilfe des einheitlichen CCS-2-Steckersystems laden können. Ähnliches geschehe gerade beim bidirektionalen Laden, wie der langjährige DKE Vorsitzende Roland Bent berichtet. Doch nun geht es darum, den nächsten Schritt zu machen. „Was wir in der Normung brauchen, ist das Zusammenführen vieler Einzellösungen zu einem Gesamtkonzept“, sagt Bent. Die Normung müsse für die Sektorenkopplung den architektonischen Rahmen schaffen – sowohl in Bezug auf die Informationstechnik als auch auf die Organisation der Energieflüsse.
Zukünftig sollen die entsprechenden Normen als maschinenlesbare Inhalte vorliegen. Die entsprechenden semantischen Informationen können somit über die Verwaltungsschale bereitgestellt werden. Werden die Sektoren aber miteinander gekoppelt, müssen gegebenenfalls unterschiedliche Semantiken für die Anwendungsfälle harmonisiert werden. An Konzepten für Smart Standards arbeiten zurzeit DKE und DIN mit einer Gruppe von Normenanwendern in der Initiative Digitale Standards. Die in der Verwaltungsschale hinterlegten Daten und Normen zweier Komponenten – zum Beispiel eines Energiespeichers und eines Verteilnetzes – könnten dann miteinander aushandeln, wie sie interagieren. Intelligenz ist somit der Schlüssel für das Energiesystem der Zukunft – in Form von smarten Standards und smarten Netzen.

Markus Strehlitz ist freier Journalist und Redakteur beim VDE dialog.

DKE Innovation Campus 2023

Diskussionsrunde

| Milton Arias

DKE Innovation Campus 2023 – Speichertechnologien

Speichertechnologien haben für die Elektrifizierung von Gebäuden, Industrie, Verkehr und Gesellschaft eine große Bedeutung. Und genau deshalb standen die verschiedenen Energiespeichertechnologien im Mittelpunkt der Veranstaltung. #Zuhören, #Mitreden, #Mitgestalten und #Respekt – das Credo nicht für diesen einen Tag. Für die Normung. Für uns als Gesellschaft. Für die Vision der All Electric Society.

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