Smartmeter vor blauem Hintergrund
EMH Metering
01.10.2025 VDE dialog

Smart Meter ROLLOUT: Staffel 1

Lange sah es so aus, als würde der Smart-Meter-Rollout in Deutschland nie ins Rollen kommen. Nun nimmt er Fahrt auf. Die gründliche Planung scheint sich auszuzahlen. Das Smart Grid rückt in Reichweite. Doch noch sind nicht alle Hindernisse aus dem Weg geräumt.

Von Eva Augsten

Streamingdienste wissen, wie man Zuschauer mit Serien bei der Stange hält. Immer dann, wenn man glaubt, die Handlung steuere auf ein Ende zu, gibt es eine unerwartete Wendung. So ähnlich war es auch beim Smart-Meter-Rollout in Deutschland. Ein Überblick der bisherigen Folgen und Ausblick auf die zweite Staffel.

Folge 1: Die EU fasst einen Plan

Der Ausbau von Wind- und Solarenergie in Europa geht voran. Der Ökostrom wird billiger – aber nur dann, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint. Damit auch Verbraucher von den Niedrigpreiszeiten profitieren können, gibt die EU im Jahr 2009 das Ziel aus, bis 2020 in den Mitgliedsstaaten 80 Prozent der Haushalte mit Smart Metern auszustatten.

Schweden hatte den Smart-Meter-Rollout bereits 2003 politisch beschlossen und war im Jahr 2009 damit fertig. In Italien waren bis 2011 rund 36 Millionen Smart Meter installiert.

Folge 2: Lohnt sich das?

Kritische Infrastruktur, Verbraucherschutz, Datensicherheit, 800 Verteilnetzbetreiber: In Deutschland kommt man schnell zu dem Schluss, dass Smart Meter ein komplexes Thema sind. Und lohnt sich der Aufwand überhaupt? Wirtschaftsminister Philipp Rösler, FDP, lässt das prüfen. Das Ergebnis: Nur in bestimmten Haushalten sollen Smart Meter eingebaut werden – zum Beispiel dort, wo der Verbrauch über 6000 kWh liegt oder Solaranlagen Strom ins Netz speisen. Damit schrumpft die Zahl der nötigen Smart Meter gewaltig. Man schreibt das Jahr 2013.

Folge 3: Seid Ihr sicher, dass das sicher ist?

Bei kritischer Infrastruktur schreibt der deutsche Staat lieber ein zweites Paar Hosenträger zum Gürtel vor. Das Bundesamt für Sicherheit und Informationstechnik (BSI), soll daher einen strengen Sicherheitsstandard erarbeiten, gemeinsam mit allen Beteiligten. Dazu gehört strikte Aufgabenteilung bei der Hardware: die moderne Messeinrichtung zählt, das Smart-Meter-Gateway kommuniziert. Im Februar 2015 liegt der erste Teil der Sicherheitsvorschriften vor. Frank Borchardt, Senior Projektmanager bei VDE FNN, bilanziert: „Die Smart-Meter-Gateways sind auf Geheimdienstniveau geschützt, besser als jedes Bankkonto.“

iMSys

Ein intelligentes Messystem (kurz: iMSys): Die moderne Messeinheit ist ein digitaler Stromzähler mit Zusatzfunktionen. An eine standardisierte Schnittstelle wird das Smart Meter Gateway angeschlossen.

| Dietrich Schmidt

Folge 4: Ein Gesetz gibt den Weg vor

Der Wirtschaftsminister, mittlerweile Sigmar Gabriel von der SPD, bringt das Messstellenbetriebsgesetz auf den Weg. Eine neue Anwendung für Smart Meter kommt hinzu: Netzbetreiber sollen sie nutzen dürfen, um im Falle von drohenden Netzüberlastungen bestimmte Verbraucher und Erzeuger steuern zu können. Generell sind die Geräte zuerst mal nach den Vorgaben des BSI zu zertifizieren. Sobald drei Geräte das geschafft haben, soll das BSI den Startschuss für den Rollout geben.

Folge 5: Unerwartete Schwierigkeiten

Der Zertifizierungsprozess des BSI ist anspruchsvoll und langwierig. Erst 2020 sind drei Hersteller zertifiziert.

Das BSI gibt den Startschuss – doch schon kurz darauf wird der Rollout unterbrochen. Ein Wettbewerber der zertifizierten Hersteller sieht sich benachteiligt und zieht vor Gericht, dieses stoppt im März 2021 den Rollout im Eilverfahren. Gut ein Jahr später hat das BSI eine Übergangsregelung erarbeitet. Doch das Hauptverfahren läuft noch, Messstellenbetreiber sind verunsichert und warten ab.

Wie schnell es ohne diesen Zwischenfall gegangen wäre, ist schwer zu sagen: Coronavirus, Lieferkettenprobleme und Fachkräftemangel bremsten in jenen Jahren die Wirtschaft weltweit aus.

Folge 6: Neustart

Der Wirtschaftsminister – mittlerweile Robert Habeck von den Grünen – will Tempo machen und legt das „Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende“ vor. Er streicht die Vorschrift, mindestens drei konkurrierende Hersteller am Start zu haben. Es gibt einen neuen Zeitplan: Von den Pflichteinbauten sollten so 20 Prozent bis 2025 erreicht sein, 50 Prozent bis 2028 und 95 Prozent bis 2030. Im Mai 2023, so scheint es, kann der Rollout wirklich beginnen.

Auch für die Netzbetreiber geht in dieser Folge ein Wunsch in Erfüllung: Sie bekommen 2024 mit dem Paragraf 14 a im Energiewirtschaftsgesetz die Erlaubnis, lokale Netzüberlastungen zu verhindern, indem sie bei Bedarf Wallboxen oder Solarstromeinspeisungen drosseln.

Porträtfoto von Frank Borchardt, Senior Projektmanager bei VDE FNN

Frank Borchardt, Senior Projektmanager bei VDE FNN

| VDE FNN

Folge 7: Rückblende und Perspektivwechsel

In der vorletzten Folge der Staffel 1 biegt der Smart-Meter-Rollout auf die Zielgerade. Ende 2024 sind fast 14 Prozent der geforderten Geräte eingebaut, Ende März 2025 ist die 15-Prozent-Marke geknackt. Das Tempo steigt.

Rückblenden zeigen, warum andere Länder so viel schneller waren. Beispiel Italien: Dort montierte der Netzbetreiber Enel Distribuzione ab 2001 die sogenannten intelligenten Zähler, um grassierende Stromdiebstähle zu unterbinden. 2017 musste Italien auf eine neue Zählergeneration wechseln, da die früheren Geräte den Datenschutz-Vorschriften der EU nicht genügten. Auch Schweden rollte seit 2020 seine Smart Meter neu aus. Die zunächst installierten Geräte sendeten die Verbrauchsdaten nur einmal monatlich – viel zu selten für die Anforderungen der EU nach einer Kommunikation in „beinahe Echtzeit“.

Die EU greift die deutschen Standards für Sicherheit und Kompatibilität im Cyber Resilience Act auf – sie könnten zur Blaupause für Europa werden. Deutschland hat länger gebraucht, doch macht nun den größeren Schritt. „Wir haben viele Probleme auf dem Papier gelöst, bevor wir den ersten Schraubendreher in die Hand genommen haben“, bilanziert Borchardt.

Folge 8: Der Cliffhanger

Doch der Rollout ist noch kein Selbstläufer. Während die meisten der großen Netzbetreiber schnell vorankommen, tun sich bei den kleinen viele schwer. Oft fehlt es schlicht am Personal für die Organisation oder für den Einbau.

Zudem kann das Smart-Meter-Gateway lediglich Informationen über Markt und Netz empfangen, bisher aber keine Steuerbefehle an Wallboxen, Wärmepumpen oder Wechselrichter senden. Dafür gibt es mehrere Optionen. Eine davon ist eine zusätzliche Hardware namens FNN Steuerbox. Standards sind definiert, erste Geräte zertifiziert, doch der breite Rollout steht noch aus. Geht dieser zügig, können Netzbetreiber damit ab 2026 Verbraucher und Erzeuger ansteuern.

Während der Netzbetreiber die Maximalwerte der Einspeisung oder Entnahme am Anschlusspunkt vorgibt, übernehmen sogenannte Heimenergiemanagementsysteme (HEMS) die tatsächliche Steuerung von Wallboxen, Wärmepumpen oder Wechselrichtern. Solche HEMS gibt es schon von vielen Herstellern. Fast alle sind mit einer Cloud verbunden. Wetterdaten, Erzeugungsprofile, Marktpreise und Updates schwirren durch den Äther. Das Smart-Meter-Gateway ist gesichert wie ein Tresor – aber hinten gibt es eine offene Terrassentür. Der VDE FNN und andere Organisationen haben das Thema bereits adressiert, doch klare Vorschriften gibt es noch nicht. Es gibt also noch einiges zu tun. Netz- und Messstellenbetreiber wollen daher momentan vor allem eins: in Ruhe arbeiten – ein fast schon kühner Wunsch in diesen Zeiten.


Wie geht es weiter?

Geht der Rollout 2026 planmäßig voran? Oder werden neue politische Ambitionen die Regeln wieder durcheinanderwirbeln? Gelingt es, die Kunden einzubinden – oder lassen E-Auto-Fahrer die Monteure vor der Tür stehen, weil sie befürchten, dass der Netzbetreiber ihnen den Saft abdreht? Gelingt es, alle Schwachstellen in den vielfältigen Energiemanagementsystemen zu beseitigen? Welche Rolle spielen dabei Angstkampagnen und Fake News?

Ein guter Plan ist viel wert, doch für viele Dinge kann man auch nicht vorausplanen. Holen Sie sich eine Schale Popcorn. Auch die Staffel 2 von „Smart-Meter-Rollout“ bleibt spannend.

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