Quantencomputer
EleQtron
01.10.2025 VDE dialog

Quantencomputer: Geht nicht, gibt’s nicht

Dr. Jan Goetz von IQM und Jan Leisse von eleQtron stehen für die kleine, aber schnell wachsende Quantentechnologie-Branche in Europa. Zum Abschluss des Quantenjahres 2025 der Vereinten Nationen sagen sie: Scheitern ist keine Option!

Interview: Martin Schmitz-Kuhl

VDE dialog: Sie sind die CEOs von zwei der vielversprechendsten Quantencomputer-Herstellern Europas. So richtig funktionierende Computer verkaufen Sie aber noch nicht, oder?

Jan Leisse: Das ist immer eine Frage der Definition. Generell sind Quantencomputer noch relativ am Anfang. Was wir von eleQtron aktuell auf der Hardware-Seite verkaufen, sind sogenannte Demonstratoren. Allerdings geht es uns auch nicht nur um die Hardware. Das muss immer gemeinsam mit Quantenalgorithmus, Use Case und Dataset gesehen werden. Das ist wie ein Backrezept: Dafür braucht man Mehl, Zucker und eine Flüssigkeit – und alles muss perfekt aufeinander abgestimmt sein.

IQM ist schon ein, zwei Schritte weiter. Aber auch Ihre Quantencomputer gelten – wie alle auf dem Markt befindlichen Quantencomputer – als noch nicht „praxistauglich“.

Jan Goetz: Es ist wichtig zu verstehen, dass es nicht den einen Tag geben wird, an dem Quantencomputer „fertig“ sind. Wir reden hier über eine Technologie, vergleichbar mit der Halbleiterindustrie, die sich seit den 1950er-Jahren stetig weiterentwickelt. So wird es auch beim Quantencomputing sein. Und in der Tat sind wir da noch sehr am Anfang. Hinter der Frage der Praxistauglichkeit steht vor allem der „kommerzielle Nutzen“, den es derzeit noch nicht gibt. Das heißt aber nicht, dass diese Computer nutzlos sind. Im Bereich des wissenschaftlichen Computings, bei fundamentalen Fragestellungen, liefern sie schon heute Antworten.

Sie beide setzen in Ihren Unternehmen auf zwei völlig unterschiedliche Technologien. Worin unterscheiden sie sich?

Leisse: eleQtron baut Quantencomputer auf Basis von Ionenfallen. Das hört sich ein bisschen wie Science-Fiction an, funktioniert aber seit den 1980er-Jahren. Wir fangen einzelne Atome in einem elektromagnetischen Feld und nutzen dann deren quantenmechanische Eigenschaften, um mit diesen Atomen zu rechnen. Diese sogenannten Qubits, werden mithilfe von Mikrowellen für Quantenberechnungen eingesetzt. Der große Vorteil dabei ist, dass unsere Ionenfallen keine großen Kühlanlagen brauchen und von Natur aus sehr perfekte, stabile Qubits liefern. Das reduziert langfristig Betriebskosten und erleichtert die Skalierung.

Porträtfoto von Jan Goetz

Jan Goetz hat in München in Quantenphysik promoviert. 2018 hat er in Helsinki IQM gegründet, inzwischen eines der führenden Quantencomputer-Unternehmen in Europa.

| IQM

Empfinden Sie sich nicht als Konkurrenten?

Goetz: Natürlich gibt es Wettbewerb – eine Ausschreibung für einen Computer kann nur einen Gewinner haben. Aber momentan sind wir in der Phase, in der wir den Kuchen backen. Das müssen wir gemeinsam tun, damit er groß wird. Später werden die Stücke verteilt.

Leisse: Ich sehe den Wettbewerb auch weniger auf der technologischen Seite, sondern zum Beispiel beim Thema Recruiting auf einem umkämpften Arbeitsmarkt. Oder auch beim Thema Fundraising – denn das Feld der Tech-Investoren in Europa ist bekanntlich ja ebenfalls relativ begrenzt. Und trotzdem glaube ich auch, dass es der richtige Weg ist, hier kollegial zusammen- und nicht gegeneinander zu arbeiten.

Goetz: Zum Beispiel müssen wir uns auf gewisse Standards und Modalitäten einigen. Und wir sollten auch gewisse Erkenntnisse, die wir aus unserer Arbeit mit den Quantencomputern gewinnen, teilen, um uns gemeinsam weiterzuentwickeln. Da ist es einfach sinnvoll, an einem Strang zu ziehen, auch gemeinsam mit den Endnutzern.

Mit der neuen europäischen Quantum-Strategie soll Europa bis 2030 zu einem weltweiten Vorreiter bei der Quantentechnologie werden. Ist das „heiße Luft“ oder hat das Substanz?

Goetz: Das ist ja erst mal nur eine Zielsetzung, und grundsätzlich halte ich auch für gut, wenn wir uns ambitionierte Ziele setzen. Meistens hapert es allerdings nicht am guten Willen, sondern an der Umsetzung. Angekündigte Millionen entpuppen sich leider allzu oft als umetikettierte Altprogramme. Wichtig ist daher, dass Ziele mit echten Mitteln unterfüttert werden.

Leisse: Wir sollten aber auch nicht darauf warten, dass auf europäischer Ebene einfach die richtigen Hebel in Bewegung gesetzt werden und schwuppdiwupp sind unsere Probleme gelöst. Das wird nicht funktionieren. Ich glaube aber, dass Europa über ganz viele notwendige Puzzleteile verfügt, um tatsächlich vorne mitzuspielen: Spitzenforschung an den Universitäten, spezialisierte Zulieferer, Elektrotechnik-Unternehmen etc. Was fehlt, ist die Verknüpfung von diesen Kompetenzen und wirklich eine durchgängige Wertschöpfungskette.

Goetz: Quantencomputing kommt meist aus dem universitären Kontext – nicht umsonst sind sowohl eleQtron als auch IQM Spin-offs von Universitäten. Das ist Chance und Risiko zugleich. In den USA haben wir mittlerweile sehr große Quantenfirmen, die jetzt anfangen, nach diesen kleineren europäischen Firmen zu greifen. Wenn wir da nicht in Europa dagegenhalten, werden wir ein Problem bekommen. Aber sowohl der politische Wille als auch die Instrumente sind ja da: Zum Beispiel in Frankreich werden Start-ups jetzt über das Verteidigungsministerium über viele Jahre hinweg mit sehr, sehr großen Summen gefördert.

Herr Leisse, Sie haben zu diesem Thema auf LinkedIn geschrieben: „Deutschland, Zeit zum Aufwachen!“ und bemängelt, dass wir im Gegensatz zu den Franzosen noch keine nationale Quantenstrategie haben. Was aber würde die konkret bringen?

Leisse: Dabei dürfte es natürlich nicht bleiben, aber es wäre ein Anfang: Erst ruft man ein Ziel auf und überlegt dann, wie man da hinkommt. Deutschland hat da in den vergangenen Jahren auch durchaus schon die richtigen Schritte gemacht und erhebliche Mittel bereitgestellt. Das war ein starkes Signal und hat vieles für uns Start-ups erleichtert. Jetzt geht es aber darum, das nachhaltiger zu gestalten, nicht nur von Legislaturperiode zu Legislaturperiode und auch über die Gründungsphase eines Start-ups hinaus. Denn am Ende brauchen wir Unternehmen und Produkte, die sich am Weltmarkt behaupten können.

Goetz: Das sehe ich auch so, allerdings sollte man sich mit solchen nationalen Strategien auch nicht zu sehr auf das eigene Land konzentrieren. Wir brauchen Allianzen, die wir eingehen können, um eine Liefer- und eine Wertschöpfungskette gemeinsam aufzubauen. Von daher finde ich die vielen nationalen Initiativen erst mal löblich. Am Ende müssen wir daraus aber ein Gesamtbild machen, sodass alle wirklich in die gleiche Richtung laufen.

Sehen Sie diese Partnerschaften tatsächlich global oder in erster Linie europäisch?

Goetz: Technologische Souveränität heißt Entscheidungsfreiheit. Mit „like-minded countries“, die unsere Werte teilen, sollten wir unabhängig vom Kontinent zusammenarbeiten.

Porträtfoto von Jan Leisse

Jan Leisse, Diplom-Ing. mit MBA, ist Mitgründer und CEO von eleQtron. Das Spin-off der Uni Göttingen bezeichnet sich als das erste Startup für Quanten-Hardware in Deutschland.

| EleQtron

Im ersten Satz der neuen „Hightech Agenda“ der Bundesregierung heißt es, Deutschland sei in Bezug auf die Quantentechnologie im internationalen Wettbewerb gut aufgestellt. Teilen Sie das? Oder ist die USA hier nicht doch auf einem ganz anderen Level?

Leisse: Dass man diesen Eindruck bekommt, liegt auch an deren Kommunikation. Da sind wir in Europa tendenziell zurückhaltender. Wenn man beispielsweise die Veröffentlichungen von Microsoft liest, bekommt man den Eindruck, dass die viel weiter sind als wir. Ich bin aber überzeugt, dass das nicht stimmt. Richtig ist, dass bei uns der wissenschaftliche Unterbau ultragut aufgestellt ist, egal ob theoretische Physik oder praktische Elektrotechnik. Allerdings darf man sich darauf natürlich nicht ausruhen, weil es eben um noch ganz andere Kompetenzen und Themen geht. Neben der Hardware brauchen wir auch passende Use Cases. Und dieses Design, mit sehr viel Speed, mit der entsprechenden Finanzierung und dem richtigen Mindset voranzubringen – da tun wir uns leider hierzulande etwas schwer.

Goetz: Ich sehe uns auch eigentlich in einer ganz guten Startposition. Was uns hier aber einfach fehlt, ist dieser Pull-Effekt von Hyperscalern wie Microsoft oder Google, die da nun einmal irrsinnige Summen investieren. Gleichzeitig haben wir aber auch nicht so eine massive, zentrale Koordination und Förderung wie in China. Was wir uns deshalb überlegen müssen, ist, wie unser europäischer Weg stattdessen sein soll. Und den müssen wir dann auch konsequent gehen.

Die USA sind grundsätzlich dafür bekannt, Produkte, Technologien, Ideen viel smarter zu kommerzialisieren. Oft werden Dinge hier entwickelt und dann dort zu Geld gemacht. Aber ist das bei der Quantentechnologie nicht schon wieder das Problem: Es fehlen schlichtweg die Anwendungen?

Goetz: Wie eingangs gesagt: Wir sind noch am Anfang und die Technologie muss sich einfach immer weiterentwickeln. Aber irgendwann werden wir so weit sein, dass wir in der Lage sind, etwa Molekülsimulation zu ermöglichen. Und sobald diese Schwelle überschritten ist, werden auch die Märkte und die Anwendungen da sein.

Leisse: Im Gegensatz zu Jan Goetz, der promovierter Quantenphysiker ist, komme ich ja eher aus der Betriebswirtschaft. Ich habe bei eleQtron angefangen, um maßgeschneiderte Anwendungen für unsere Technologie zu entwickeln und damit auch frühzeitig mit Partnern aus unterschiedlichsten Branchen zusammenzuarbeiten. Wir nennen das Co-Design, und das ist der Kern der Entwicklung. So stellen wir sicher, dass unsere Technologie eben nicht irgendwo im Labor stecken bleibt, sondern wirklich immer weiter Richtung geschäftlicher Mehrwert läuft.

Wagen Sie eine Prognose, wann es die ersten wirtschaftlich nutzbringenden Anwendungen geben wird?

Leisse: Ich bin der Überzeugung, dass bis 2030 erste Anwendungen da sind.

Goetz: Das glaube ich auch. Es wird langsam, etwa in der Pharma- oder der Chemiebranche, anfangen. Nicht insoweit, als man dann damit schon konkret Geld verdienen könnte, aber doch so, dass es sich für die Unternehmen lohnt, Quantencomputer in ihren Entwicklungsprozessen zu nutzen.

Haben Sie noch gewisse Restzweifel, dass das alles vielleicht am Ende doch gar nicht funktioniert?

Goetz: In meinem Kopf gibt es verschiedene Szenarien, aber das „Geht-gar-nicht-Szenario“ kommt nicht darin vor. Mein Worst-Case-Szenario ist – und darüber wird nicht so gern gesprochen – ein Nutzen dieser Technologie nur für das Codebreaking, also dem Knacken heutiger Verschlüsselungsverfahren mittels Quantenalgorithmen. Allein das wäre für das Militär so wichtig, dass es sich für sie lohnen würde, solche Computer zu entwickeln. Das Best-Case-Szenario ist ein Super-Allzweckrechner, der all die Probleme in Windeseile lösen kann, zu denen heutige Rechner nicht in der Lage sind. Und irgendwo zwischen diesen beiden Polen werden wir uns vermutlich irgendwann wiederfinden.

Leisse: Mir ist es auf jeden Fall ein Herzensanliegen, zu beweisen, dass die Technologie weiter skalierbar ist – und dass der Aufbau eines erfolgreichen Deep-Tech-Unternehmens auch hier in Europa möglich ist!

Quantencomputer (1)

Die Quantencomputer von IQM aus Helsinki und eleQtron aus Göttingen gehören zu den ersten ihrer Art. In Europa.

Die Finnen sind einen Schritt voraus, doch die Deutschen – ausgezeichnet als Technology Pioneer 2025 – holen auf.

| IQM, EleQtron
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