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01.10.2025 VDE dialog

Nachwuchsmangel: „Die Auslastung lag bei unter 50 Prozent“

Studiengänge mit elektrotechnischem Schwerpunkt werben händeringend um den Nachwuchs. Eine Möglichkeit, dem zu begegnen: Die Ausbildung breiter aufstellen, um mehrere Disziplinen gemeinsam abzudecken. Die Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen (HAWK) hat für den Bereich Elektrotechnik so einen generalisierten Einstieg entwickelt und bildet seine Studierenden allgemein in „Ingenieurwissenschaften“ aus. Prof. Katja Scholz-Bürig, Vizepräsidentin für Studium und Lehre, und Prof. Dr. Salvatore Sternkopf, Studiendekan der Fakultät Ingenieurwissenschaften ziehen eine positive Bilanz der Veränderung.

Interview: Julian Hörndlein

Prof. Katja Scholz-Bürig und Prof. Dr. Salvatore Sternkopf

Prof. Katja Scholz-Bürig und Prof. Dr. Salvatore Sternkopf

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VDE dialog: Wie ist bei Ihnen die Lage in Disziplinen wie der Elektrotechnik?

Prof. Dr. Salvatore Sternkopf: In den vergangenen Jahren sind die Studierendenzahlen in den klassischen Studiengängen der Lehreinheit Ingenieurwissenschaften an der HAWK Göttingen kontinuierlich zurückgegangen. Die Auslastung in diesen Studiengängen lag zuletzt bei unter 50 Prozent. Die Entwicklung zeigt auch, dass der bisherige Studiengang Elektrotechnik/Informationstechnik an Attraktivität verloren hat. Vor diesem Hintergrund wurde ein umfassender Strategieprozess angestoßen. Ziel war es, die Studienangebote attraktiver zu gestalten, besser an aktuelle Entwicklungen anzupassen und insbesondere eine stärkere Generalisierung vorzunehmen.

Wie sieht das aus?

Prof. Katja Scholz-Bürig: Der neue Bachelor-Studiengang Ingenieurwissenschaften vereint die bisherigen Fachrichtungen, darunter Elektrotechnik und Informationstechnik, in einem generalisierten, interdisziplinären Studienmodell. So erhalten Studierende mehr Flexibilität und vor allem zusätzliche Zeit zur Orientierung, bevor sie sich auf einen individuellen Schwerpunkt festlegen.

Wie blicken Schülerinnen und Schüler auf das Berufsfeld Ingenieur?

Prof. Dr. Salvatore Sternkopf: Im Strategieprozess wurden auch soziologische Erkenntnisse zur Motivationslage der Studienanfänger berücksichtigt. Eingeflossen ist, dass offenbar viele junge Menschen kaum eine Vorstellung von MINT-Berufsbildern haben, gleichzeitig aber große Angst, eine falsche Studienentscheidung zu treffen. Sie wünschen sich mehr „schadlose“ Orientierungsmöglichkeiten. Der neue generalisierte Bachelorstudiengang Ingenieurwissenschaften ist eine wichtige Konsequenz aus dieser Erkenntnis, da er sowohl mehr Flexibilität in der Studienwahl als auch einen sanfteren Einstieg fördert.

Laufen neue Studiengangsprofile den klassischen Titeln wie Elektrotechnik den Rang ab?

Prof. Dr. Salvatore Sternkopf: Ja, wir nehmen ein gewandeltes Interesseprofil der Studieninteressierten wahr. Viele junge Menschen suchen heute nach Studienangeboten, die stärker auf Zukunftsthemen wie Nachhaltigkeit, Energiewende und Klimaschutz eingehen. Das Image klassischer Studiengänge wie Elektrotechnik gilt dagegen oft als überholt oder zu spezialisiert – auch wenn die Inhalte weiterhin hochrelevant sind.

Welche Rolle spielen Elektrotechnik-Inhalte nun bei Ingenieurwissenschaften?

Prof. Dr. Salvatore Sternkopf: Im neuen Studiengang sind die Inhalte der früheren Elektrotechnik- und Informationstechnik-Studiengänge klar verankert. In den ersten beiden Semestern erwerben alle Studierenden eine breite ingenieurwissenschaftliche Basis, unter anderem in Elektrotechnik, Elektronik und Informatik. Ab dem dritten Semester können individuelle Schwerpunkte gewählt werden, etwa in Elektrotechnik oder Informationstechnik, mit Modulen wie Mikroprozessortechnik, Regelungstechnik, digitale Signalverarbeitung oder Kommunikationstechnik. Wahlpflichtmodule ermöglichen zusätzlich eine Spezialisierung auf zukunftsorientierte Themen wie Industrie 4.0, erneuerbare Energien oder IT-Sicherheit. Die neue Struktur kombiniert klassische Inhalte mit flexibler Schwerpunktsetzung und moderner Profilbildung. Damit bleiben die bewährten Fachinhalte erhalten, werden aber attraktiver und praxisnäher vermittelt.

Wie blicken die Industrie und die Hochschulleitung auf den Reformprozess?

Prof. Katja Scholz-Bürig: Seitens der Hochschulleitung wird der Reformprozess, der für die Lehrenden natürlich erhebliche Veränderungen und Herausforderungen sehr begrüßt und unterstützt. Wir freuen uns, dass die HAWK hier mit einem modernen, auf die Bedürfnisse der Studierenden abgestimmten Prozess voran geht, um die für unsere Zukunftsherausforderungen unserer Gesellschaft so wichtigen Fachkräfte zu generieren und auszubilden. Das wird auch seitens der Industrie vor Ort, deren inhaltliche Bedarfe in dem Prozess maßgeblich mit einbezogen wurden, ausgesprochen begrüßt.

Ist schon abzusehen, ob das Angebot attraktiver für Studierende geworden ist?

Prof. Dr. Salvatore Sternkopf: Absolut. Die Erfahrungen aus den ersten Bewerbungsphasen deuten darauf hin, dass das Interesse steigt – auch wenn belastbare Einschreibungszahlen und Evaluationsergebnisse noch ausstehen. Das neue Modell zielt darauf ab, mehr potenzielle Studierende für das Ingenieurwesen zu gewinnen, insbesondere auch diejenigen, die sich durch traditionelle Fachgrenzen bisher abgeschreckt fühlten.

Gehen andere Hochschulen einen ähnlichen Weg wie die HAWK?

Prof. Katja Scholz-Bürig: Auch wenn keine direkten Kooperationen vorliegen, zeigen Entwicklungen an anderen Hochschulen ähnliche Tendenzen: Studiengänge werden zunehmend interdisziplinär angelegt, klassische Fachgrenzen verwischen und der Fokus verschiebt sich hin zu flexibleren, praxisorientierten Studienverläufen. Der Trend zur Generalisierung und zur stärkeren Verknüpfung von Elektrotechnik, Informatik und weiteren ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen ist bundesweit erkennbar. Der neue Studiengang an der HAWK positioniert sich damit zukunftsorientiert und im Einklang mit aktuellen bildungspolitischen Entwicklungen.

Prof. Katja Scholz-Bürig ist seit 2022 Vizepräsidentin Studium und Lehre an der HAWK. Darüber hinaus verantwortet sie die Bereiche Wissenschaftliche Weiterbildung und Bibliothek, zudem leitet sie das interdisziplinäre Programm HAWK plus. Ihre Professur an der HAWK trat sie 2007 zunächst an der Fakultät Bauen und Erhalten an.

Prof. Dr. Salvatore Sternkopf ist seit Februar 2022 Professor für Werkstoffanalytik, Werkstoffprüfung und Chemie an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen. Zudem ist er Studiendekan der Fakultät Ingenieurwissenschaften. Zuvor ging der promovierte Physiker mehreren Tätigkeiten in der Industrie nach.

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