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Florian Spiteller, DKE External Relations & Support

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01.07.2025 VDE dialog

Normung: „Technologie weltweit kompatibel und sicher machen“

Kaum ein Business ist so international wie das Normungsgeschäft. Dafür setzt die DKE weniger auf Vertretungen vor Ort, sondern auf weltweite Vernetzung und Kooperation – erklärt Florian Spiteller, Leiter des Bereichs External Relations & Support.

Interview: Martin Schmitz-Kuhl

VDE dialog: Die DKE ist seit 1970 für die elektrotechnische Normung zuständig. Was hat sich seither verändert – gerade in Bezug auf die Globalisierung und den weltweiten Handel?

Florian Spiteller: Einiges – und gleichzeitig auch wenig. Denn die Elektrotechnik war schon immer international ausgerichtet. Das unterscheidet sie von anderen Bereichen wie Bau oder Infrastruktur, wo vieles stärker national geprägt ist. Ein Ziegelstein oder ein Gullydeckel muss nicht zwingend international genormt sein! Unsere Normen zielen dagegen von Beginn an auf eine globale Anwendung ab, weil Stromnetze, Steckverbindungen oder elektronische Schnittstellen über Landesgrenzen hinweg funktionieren müssen.

Gab es also nie eine primär nationale Phase der elektrotechnischen Normung?

Doch, natürlich. Aber da müssen Sie in die Anfangszeit der elektrotechnischen Normung zurück gehen – ins Jahr 1895, als der VDE die ersten Sicherheitsvorschriften für elektrische Anlagen herausgebracht hat. Spätestens mit der Gründung der DKE und der Mitgliedschaft in der internationalen Normungsorganisation IEC wurde dann klar: Ziel ist nicht ein nationaler Alleingang, sondern internationale Harmonisierung. Was sich allerdings in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat, sind die Themen, mit denen wir uns beschäftigen, und vielleicht auch der Innovationszyklus, die Geschwindigkeit, mit der neue Themen gesetzt werden. Früher war Normung zudem rein technisch. Inzwischen ist sie politischer – und das gefällt natürlich nicht jedem.

Inwiefern?

Normung ist grundsätzlich natürlich etwas sehr Gutes für die Menschen: Sie macht Produkte sicherer. Sie sorgt dafür, dass ich mein Produkt auf der ganzen Welt verkaufen und verwenden kann. Sie baut Bürokratie ab, sie ermöglicht sichere Investitionen und freien Handel – und sie baut dadurch auch Korruption ab. Aber sie ist inzwischen eben auch ein Machtinstrument. Und das hat sich definitiv verändert. Nicht ohne Grund heißt es: „Wer die Norm hat, hat den Markt“. Das heißt: Wenn es mir gelingt, meine nationalen Anforderungen in eine internationale Norm einzubringen, haben meine Unternehmen automatisch einen Wettbewerbsvorteil. Umgekehrt bedeutet das: Nationale Normen können Märkte abschotten, für andere schwer zugänglich machen.

Das heißt, Normen sind zu einem wichtigen handelspolitischen Instrument geworden?

Richtig, und das in einer sehr schwierigen Zeit: Auf der einen Seite haben wir mit China ein sehr marktmächtiges, aufstrebendes Land, das bekanntlich nicht immer unsere Werte verkörpert, sodass Themen wie die KI-Normung tatsächlich eine Herausforderung sind. Und auf der anderen Seite ein Land wie die USA, dessen Präsident gerade die globale Handelspolitik komplett durcheinanderwirbelt. Dazwischen stehen wir, nicht als Deutschland, das alleine viel zu klein wäre, sondern als Europa, um hier bestenfalls einen Gegenpol zu bilden.

Sie setzen deshalb auf europäische Normen?

Nein! Eine Norm, die nur in Europa gilt, hilft den meisten der deutschen Unternehmen, gerade aus der Elektrotechnik-Branche, nicht weiter. Selbst viele unserer kleinen Mittelständler bedienen schließlich nicht nur den europäischen, sondern den weltweiten Markt. Wenn wir uns normungsseitig nur auf Europa konzentrieren würden, können wir zwar Normen entwickeln, die unseren Werten entsprechen, aber für die global orientierte Exportnation Deutschland wäre dies absolut nicht ausreichend. Von daher profitieren wir enorm davon, wenn es einen weltweiten Standard gibt. Denn ansonsten müssten unsere Unternehmen ihre Produkte für jedes einzelne Land anpassen, und das könnten sich vielleicht allenfalls unsere großen Unternehmen leisten, aber sicherlich nicht all unsere kleinen Hidden Champions.

Wie viele der Normen, die hier gelten, sind mittlerweile internationale Normen?

In der Elektrotechnik basieren 85 Prozent aller europäischen Normen auf den entsprechenden internationalen Normen. Lediglich 15 Prozent sind rein europäische oder nationale Normen. Auch diese Zahlen zeigen, wie international die elektrotechnische Normung ausgerichtet ist und wie gut die Zusammenarbeit zwischen der europäischen und internationalen Normung klappt. Den Mechanismus dazu nennen wir „Frankfurt Agreement“.

Wie läuft internationale Normung in der Praxis ab?

Die DKE ist das deutsche Mitglied in CENELEC (europäische Normung), der IEC (internationale Normung) und bei ETSI (Telekommunikation). Wir sehen uns als Plattform, die deutsche Interessen bündelt und in die internationalen Prozesse einspeist. Unternehmen, Verbände, Behörden, Verbraucher – alle, die betroffen sind, können sich einbringen. Auf nationaler Ebene entsteht so ein konsensbasierter Standpunkt, den wir dann in den internationalen Gremien vertreten. Konkret läuft das so ab, dass wir dann immer erst einmal bei der IEC und ihren Mitgliedsländern anfragen, ob sie an einer Norm interessiert sind. Wenn das der Fall ist, wird weltweit genormt und dann in der Regel auch von den europäischen Normenorganisationen übernommen.

Und wie wird dieser Konsens erzielt?

Wir arbeiten mit sogenannten Spiegelgremien: Wenn es international ein Komitee gibt, bilden wir dazu ein deutsches Pendant. Dort diskutieren die relevanten Akteure – Unternehmen, Forschung, Verwaltung – und definieren die nationale Sichtweise. Wer dann international mitarbeitet, vertritt nicht die Meinung seines Unternehmens, sondern den gemeinsam abgestimmten deutschen Standpunkt.

Wie viele Expertinnen und Experten sind daran beteiligt?

Wir sind dankbar, in der DKE über 10.000 Expertinnen und Experten zu haben. Viele sind in unseren deutschen Spiegelgremien aktiv, 500 auf europäischer und 1.250 auf internationaler Ebene. Die meisten kommen aus der Industrie und bringen ihre Expertise im Rahmen ihrer regulären Arbeit ein – ehrenamtlich, aber mit hohem Engagement.

Sind diese internationalen Gremien inzwischen rein digital organisiert oder reist man tatsächlich um die Welt?

Beides. Die sogenannten Technischen Komitees der IEC tagen oft in wechselnden Ländern – mal in Shanghai, dann in Paris oder Berlin. CENELEC hat seinen Sitz in Brüssel, die IEC in Genf, aber die eigentliche Arbeit passiert überall. Deutschland richtet regelmäßig selbst internationale Sitzungen aus, an denen oft 20 bis 30 Länder teilnehmen. Der persönliche Austausch ist dabei zentral – Normung ist „People’s Business“. Unser Job als DKE ist dabei, nicht die Normen selbst zu schreiben, sondern den Prozess für deren Erstellung zu organisieren. Dabei achten wir darauf, dass Compliance-Richtlinien eingehalten werden. Denn wir bringen schließlich Wettbewerber in einem Raum zusammen, das muss schon nach gewissen Regeln ablaufen.

Das klingt fast nach Diplomatie.

Ist es auch. In einem globalen Gremium mit 25 oder mehr Ländern braucht es Fingerspitzengefühl. Oft ist ein Gespräch beim Abendessen effektiver als fünf Stunden Videokonferenz. Man muss Allianzen bilden, Netzwerke aufbauen, Kompromisse finden, Interessen abwägen – und Vertrauen schaffen. Darum ist der persönliche Kontakt so wichtig.

Also gehört auch klassische Lobbyarbeit dazu?

Wenn man so will. Allerdings benutze ich lieber den Begriff „Interessenvertretung“, weil Lobbyismus in Deutschland oft etwas Anrüchiges hat. Zudem sind wir „non profit“ und vertreten keine Einzelinteressen, sondern wir werben für ein System, das allen in der Elektrotechnik nutzt – sicherere Produkte, weniger Handelsbarrieren, faire Wettbewerbsbedingungen. Normung ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument, um Technologie weltweit kompatibel und sicher zu machen.

Dafür haben Sie jetzt auch in China ein eigenes Büro eröffnet – der zweite DKE Standort im Ausland neben ihrem Büro in Brüssel. Wieso gerade dort?

Ja, wir haben gerade im IEC International Standards Promotion Center in Nanjing ein kleines Büro eröffnet. Es ist unser erklärtes Ziel, dort internationale Standards zu promoten. Denn wenn wir in China durch Schulungen oder Vorträge dazu beitragen, dass auch chinesische Unternehmen den Vorteil von internationalen Standards erkennen und sich aktiv daran beteiligen und China Teil des internationalen Handelssystems bleibt, haben wir für unsere Stakeholder etwas Gutes getan. Denn wir dürfen nicht vergessen: Mit über 1,4 Milliarden Menschen wäre es für China möglich, ein komplett eigenes Normungssystem aufzubauen und ihren Markt vom Rest der Welt abzuschotten. Das wäre für uns eine Katastrophe. Und es reicht schon, wenn aus dem Westen gerade Ungemach droht.

Sie meinen Donald Trump. Inwieweit stellt er für die internationale Normung eine Gefahr dar?

Das lässt sich noch nicht abschließend beurteilen. Bereits in der ersten Amtszeit von Donald Trump hatte sich etwas verändert, gerade im Zwischenmenschlichen, im Umgang miteinander. Unter dem Strich war es aber keine Kehrtwende. Diesmal ist natürlich die Befürchtung, dass er viel besser vorbereitet ist und insgesamt mehr Schaden anrichtet. Allerdings: vier Jahre – und wir gehen jetzt mal davon aus, dass es dabei bleibt – ist in der Normungswelt ein überschaubarer Zeitraum. Und abgesehen davon ist die Normungsgemeinschaft auch sehr breit aufgestellt. In der IEC hat jedes Land nur eine Stimme, unabhängig von seiner Größe. Das heißt, die USA sind wichtig, aber eben nur ein Akteur von vielen.

Wie positioniert sich die DKE in diesem Spannungsfeld unterschiedlicher Akteure?

Wir verstehen uns immer als neutrale Plattform, die Prozesse moderiert und deutsche Interessen im globalen Kontext vertritt. Dabei arbeiten wir eng mit Ministerien, Industrieverbänden und internationalen Partnern zusammen. Etwa auch im Rahmen des „Globalprojekt Qualitätsinfrastruktur“ (GPQI) des Bundeswirtschaftsministeriums mit Ländern wie Brasilien, Indien, China oder Mexiko. Ziel ist es, dort internationale Normung und einheitliche Qualitätsinfrastruktur zu fördern. Denn: Wenn diese Länder internationale Normen übernehmen, können die deutschen Elektrotechnik-Unternehmen ihre Produkte ohne große Anpassungen auch dort verkaufen. Standardisierung wird so zu einem Enabler für den freien Handel.

Was steht als Nächstes bei der DKE an?

Etwas Großes! 2026 richten wir in Hamburg das 110. General Meeting der IEC aus – mit über 3.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus rund 100 Ländern. Das ist für uns eine große Chance und gleichzeitig auch Verantwortung: Deutschland kann sich als Gastgeber präsentieren, Themen setzen und internationale Netzwerke weiter stärken.

Zur Person: ​Florian Spiteller ist Leiter des Bereichs External Relations & Support bei der DKE (Deutsche Kommission Elektrotechnik) und Mitglied der Geschäftsleitung. In dieser Funktion koordiniert er die internationalen Beziehungen der DKE zu Normungsorganisationen wie IEC, CENELEC und ETSI und vertritt deutsche Interessen in der globalen elektrotechnischen Normung.

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