Ein E-Auto lädt an einer Wallbox
BMW Group
01.07.2025 VDE dialog

Bidirektionales Laden: V2G für alle

Die Batterien von Elektroautos als Stromspeicher zu nutzen, ist profitabel für Netz und Nutzer. Fehlen nur noch die nötigen Standards, um die Technologie flächendeckend zur Verfügung zu stellen.

Von Michael Neißendorfer

Diese Technologie schafft eine echte Win-win-Situation: Elektroautos können mithilfe ihrer Batterie Strom nicht nur aufnehmen, sondern auch speichern und wieder ans Netz abgeben. So kann die Nutzung von erneuerbaren Energien optimiert werden, lokale Lastspitzen werden abgemildert. Ein Plus für die Besitzer der Autos: Es winken Erlöse für die Bereitstellung dieser Netzdienstleistung.

In Frankreich ist die Verheißung schon Wirklichkeit geworden. Hier ist das erste Endkundenprodukt für Vehicle-to-Grid (V2G) in Europa seit wenigen Monaten auf dem Markt: Käufer eines Renault 5 können mit einem dedizierten Wallbox-Modell des Autoherstellers am Strommarkt teilnehmen. Elf Cent erhalten Kunden für jede Stunde, die ihr E-Auto mit dem Netz verbunden ist und als Puffer zur Verfügung steht. Allerdings handelt es sich dabei um eine Insellösung, die nur mit diesem Hardware-Doppel und einem speziellen Stromtarif funktioniert. An der Realisierung beteiligt ist das Münchner Unternehmen The Mobility House. Geschäftsführer Marcus Fendt betont den Leuchtturmcharakter der Zusammenarbeit mit Renault. „Kunden in Frankreich erhalten mit den Erlösen aus V2G Strom für gut 10.000 Kilometer umsonst, wenn das Fahrzeug 13 Stunden pro Tag mit dem Netz verbunden ist.“

Warum gibt es so etwas in Deutschland noch nicht? Ylber Azemi, Projektleiter VDE ETG / Mobility, begründet dies unter anderem damit, dass erst die Standards geschaffen werden müssten, damit V2G flächendeckend und herstellerübergreifend nutzbar ist: „Interoperabilität ist das Stichwort“, sagt er, „V2G muss in Deutschland sicher und zuverlässig umsetzbar sein, mit Blick auf den internationalen Markt entwickeln wir jedoch Standards, die global anwendbar sind, denn unsere Lösungen sollen weltweit einsetzbar sein. Und so weit sind wir in der Normung noch nicht, da wir auf standardisierte Prozesse und Fristen Rücksicht nehmen müssen.“ Technologisch ist das bidirektionale Laden bereits möglich, so können E-Autos per Vehicle-to-Load (V2L) Strom direkt aus der Fahrbatterie auch an größere Verbraucher mit bis zu 3,6 kW abgeben, wie etwa an einen Elektrogrill, einen Bohrhammer oder eine Heckenschere.

schematische Darstellung von bidirektionalem Laden

Bidirektionales Laden mit E-Auto, Solarzellen und Energiespeicher an einem Wohnhaus.

| Polestar

Die Einbindung von E-Autos als Zwischenspeicher im Eigenheim (Vehicle-to-Home; V2H), das genutzt werden kann, um den Eigenverbrauch aus einer PV-Anlage zu erhöhen, wird ebenfalls von den ersten Anwendern schon praktiziert, allerdings nicht in standardisierten, sondern bislang ebenfalls noch in herstellerspezifischen Systemen, etwa von Volkswagen und Ford gemeinsam mit E3/DC. Viele V2G-Pilotprojekte wiederum wie BDL Next unter der Leitung von Bayernwerk, das vom damaligen Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gesteuerte Projekt Grids & Benefits und Dutzende weitere weltweit – allein der japanische Autohersteller und V2G-Pionier Nissan kommt auf mehr als 40 an der Zahl – haben bereits gezeigt, dass bidirektionales Laden auch auf Netzebene funktioniert.

V2G-fähige Wallboxen sind schon länger in Entwicklung und zum Teil auch erhältlich. Die meisten von ihnen sind DC-Ladestationen, die die Umwandlung von Gleichstrom in Wechselstrom selbst durchführen, womit im Vergleich zum Einsatz von AC-Ladestationen keine zusätzlichen Komponenten im Auto notwendig sind. Damit V2G auch mit AC-Wallboxen funktioniert, muss das E-Auto über ein bidirektionales Bordladegerät verfügen, um Strom zurück ins Netz speisen zu können.

Letztendlich auf den Markt kommen werden beide Varianten. Der Standard für die Kommunikation zwischen Wallbox und E-Auto – ISO 15118-20 – ist für DC bereits erarbeitet und für AC kurz vor der Veröffentlichung. „Dass mehrere Jahre vergehen, bis die Normung auf Basis mehrerer internationaler Standards laut ISO- und IEC-Vorgaben abgeschlossen ist, ist erwartbar gewesen“, erklärt Azemi den Umstand, warum V2G noch nicht über das Pilotstadium hinausgekommen ist. Die Verabschiedung der notwendigen Systemstandards ist aber auf der Zielgeraden und im Fall von AC für Ende 2026 vorgesehen, während die aktuellen Standardisierungsroadmaps einen Abschluss der Arbeiten für DC für Ende 2027 prognostizieren. Unmittelbar danach rechnet Azemi damit, dass in Deutschland die ersten Produkte für Endkunden auf den Markt kommen – ab 2027 für AC und ab 2028 für DC.

Doch bleiben zuvor noch einige Herausforderungen zu bewältigen. Eine große Hürde, die Frankreich bereits abgeschafft hat, sind in Deutschland die noch hohen Steuern und Abgaben, die für Elektroautos als Marktteilnehmer an der Strombörse abgeführt werden müssen, und zwar doppelt: einmal beim Einspeisen in die Batterie bzw. beim Laden des E-Autos und ein zweites Mal beim Rückspeisen ins Netz. Ein großer Nachteil gegenüber stationären Batteriespeichern, die von diesen Netzentgelten befreit sind. Viele Unternehmen und Verbände sprechen sich für eine steuerliche Gleichbehandlung von stationären und rollenden Speichern, also E-Autos, aus, darunter der ADAC, der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur (NOW) und der Verband der Automobilindustrie (VDA). „Die neue Bundesregierung sollte gemeinsam mit der Bundesnetzagentur entsprechende Änderungen forcieren, um das Problem der Doppelbesteuerung gänzlich zu beheben“, fordert VDA-Sprecherin Lena Anzenhofer.

Screenshots einer App zur Steuerung von bidirektionalem Laden

Das Management der Ladezeit und mit gewünschtem Ladestand übernehmen funktioniert per App. Elektroautohersteller wie Polestar werben damit, dass Nutzer ihre Stromkosten dank bidirektionalem Laden um bis zu 30 Prozent senken können.

| Polestar

Wer kann die Technologie vorantreiben? „Die Autohersteller haben nicht viel davon“, sagt Azemi. „Auch bei den Energieversorgern und Netzbetreibern hat das Thema nicht die oberste Priorität“, so der Projektleiter beim VDE, obwohl sie dank V2G mancherorts Netzausbaukosten sparen könnten, da Elektroautos im Stromnetz der Zukunft lokale Lastspitzen abfangen würden. Momentan aber ist für Netzbetreiber und die Kunden das Überschussladen noch attraktiver, bei dem bei einem Überangebot von erneuerbaren Energien dieser Strom nicht abgeregelt, sondern gezielt genutzt wird, etwa indem E-Autos abgestimmt auf die aktuelle Erzeugung geladen werden.

Dafür fehlen allerdings noch entsprechende Signale im Netz – derzeit berücksichtigen die Systeme lediglich den aktuellen Strompreis, nicht aber die Herkunft des Stroms und ob erneuerbare Energieanlagen gerade stillstehen. Hier sieht Azemi Nachholbedarf – und eine große Chance: „Erneuerbare Energien gezielter zu verteilen, etwa indem man sie in die Fahrzeuge bringt, verbessert die Nutzung von Ökostrom sowie die CO2-Bilanz von E-Autos bereits enorm“, sagt er.

Das Potenzial für Endkunden sei schwer einzuschätzen, so Azemi weiter, etwa wenn man die hohen Anschaffungskosten für die Hardware – aktuell gehen Wallbox-Hersteller von etwa 3000 Euro für eine V2G-fähige DC-Wallbox aus, AC-Systeme werden deutlich günstiger sein. Eine Investition, die sich erst amortisieren muss. Kann das gelingen? Azemi geht von Einnahmen durch V2G in Höhe von 200 bis 300 Euro pro Jahr aus. Eine aktuelle Studie der Fraunhofer-Institute für Solare Energiesysteme (ISE) und für System- und Innovationsforschung (ISI) im Auftrag von Transport & Environment (TE) ist deutlich optimistischer und rechnet im Optimalfall sogar mit mehr als 1000 bis 1500 Euro – allerdings vor Abgaben und Steuern, beim Endkunden ankommen wird ungefähr die Hälfte davon. Azemi begründet seine vorsichtigere Einschätzung damit, dass in Zukunft besonders niedrige und teils sogar negative Stromkosten, die aktuell immer dann auftreten, wenn besonders viel erneuerbare Energie im Netz ist, seltener werden, wenn dieser Strom gezielter genutzt und nicht mehr abgeregelt wird. Im Gegenzug würde auch das Erlöspotenzial durch V2G sinken.

Kontakt
VDE dialog - Das Technologie-Magazin