Nico Wägerle ist CEO und Co-founder von Certivity.
| Certivity GmbHEin Ingenieur hat´s schwer. Er muss neben der eigentlichen Entwicklungsarbeit alle möglichen Vorschriften, Normen, Standards und Kundenspezifikationen im Blick behalten und umsetzen. Wenn die wichtigen Regularien im PDF-Format oder als Textdatei vorliegen, bedeutet das einen enormen Übersetzungsaufwand – denn die Ingenieursarbeit spielt sich zunehmend digital ab. Viel Aufwand, der teuer bezahlt wird, und eine Arbeit, die fehleranfällig ist. Nico Wägerle kennt das gut. Der Jurist hat für einen großen Autobauer an der Regulierung autonomer Fahrsysteme gearbeitet – im engen Zusammenspiel mit Ingenieuren. „Die Anforderungen haben wir manuell in Excel-Tabellen eingetragen – das war so komplex und aufwendig, das konnten wir ab einem gewissen Punkt juristisch gar nicht mehr verantworten.“
Gerade in Branchen wie der Automobilindustrie, in denen es so sehr auf Sicherheit ankommt, werde schließlich ständig neu reguliert. „Die Anforderungen nachzuhalten, ist eine permanente Aufgabe.“ Dies für Ingenieure zu vereinfachen und die Umsetzung sicherer zu machen, hat wiederum Nico Wägerle sich zur Aufgabe gemacht und mit drei anderen das Start-up Certivity gegründet, das den Umgang mit Regularien revolutionieren will.
„Wir haben ein Tool geschaffen, das mittels Künstlicher Intelligenz Dokumente analysiert, sie digitalisiert und in unser Datenmodell überführt.“ Diese Daten seien integrierbar in Anforderungsmanagement-Tools, die es schon gibt. Dass Ingenieure sich Dokumente zu neuen Normen oder veränderten Vorschriften ansehen und die Relevanz für ihre Projekte prüfen müssen – das sei damit vorbei, so Wägerle. „Wenn sich in der Regulatorik etwas ändert, wird das automatisch ins Anforderungsmanagement überführt. Dann ploppt da zum Beispiel auf: ‚Dieser geplante Test ist nicht mehr valide‘.“ Wägerles Mitgründer – ein technischer Ingenieur und zwei Softwareingenieure – stammen ebenfalls aus der Automobilbranche. „Daher wussten wir, dass in dieser Industrie das Problem besteht und dass unsere Idee ein Business Case ist.“ So hat sich Certivity zunächst auf den Einsatz in der Automobilindustrie konzentriert. „Mittlerweile haben wir bewiesen, dass unsere Software leistet, was wir versprechen“, sagt Nico Wägerle. „Sie ist weltweit schon bei 10.000 Nutzern an allen Automotive-Hotspots im Betrieb. Aber wir haben auch schon Kunden aus anderen Branchen wie der Luft- und Raumfahrt.“
2024 wurde Certivity als „Digitales Start-up des Jahres“ mit dem zweiten Platz ausgezeichnet. Das sollte bei den Plänen für die nahe Zukunft helfen: „Im Juni wollen wir eine weitere Finanzierungsrunde abgeschlossen haben, um unser Produkt weiterzuentwickeln und vor allem in die KI zu investieren, um es in noch mehr Feldern zur Anwendung zu bringen.“