Blick in die Zielkammer des Hochenergielasers der National Ignition Facility

Zielkammer des Hochenergielasers der National Ignition Facility. Hier wurde 2022 erstmals ein Energiegewinn von mehr als 50 Prozent bei einer Kernfusionsreaktion erzielt.

| Lawrence Livermore National Laboratory
01.01.2025 VDE dialog

Energieerzeugung: Fusion der Kerne

Ließe sich für eine saubere und risikofreie Stromerzeugung das Modell Sonne nachbauen, wäre die Lösung aller Energieprobleme in greifbarer Nähe. Doch die Verschmelzung von Atomkernen in einem Kraftwerk ist extrem herausfordernd und die Kernfusionstechnologie hat noch einen langen Weg vor sich.

Von Ulrich Erler

Die Kernfusion wurde in den letzten Jahrzehnten von vielen eher als Science-Fiction abgetan. So entstand auch der Begriff der Fusionskonstanten. Mit diesem machte man sich darüber lustig, dass immer gesagt wurde, es würde dreißig Jahre brauchen, bis die Technologie zur Stromerzeugung nutzbar sei – unabhängig vom Zeitpunkt, wann diese Äußerung gemacht wurde. Im Unterschied zu früher könnte heute jedoch an der Vorhersage etwas dran sein. Denn die Kernfusionsforschung hat in letzter Zeit mit beeindruckenden Ergebnissen aufhorchen lassen. Grund genug, sich diese Technologie, die im Gegensatz zur Kernspaltung keinen radioaktiven Abfall mit Halbwertszeiten von mehreren Tausend Jahren produziert, genauer anzuschauen. Um die physikalischen Vorgänge zu verstehen, richtet man den Blick am besten zur Sonne: Dort prallen permanent Wasserstoffatome mit solcher Wucht aufeinander, dass sie sich verbinden und dabei Energie in Form von Licht und Wärme freisetzen. Aber wie lässt sich das Modell Sonne auf der Erde nachbauen? Das ist alles andere als einfach, denn um subatomare Teilchen kollidieren und miteinander verschmelzen zu lassen, ist eine riesige Energiemenge erforderlich – zumal Atomkerne positiv geladen sind und sich gegenseitig abstoßen. Sie zusammenzubringen ist nur durch extrem hohe Temperaturen von 15 Millionen Grad Celsius sowie einem Druck von 100 Milliarden Bar und entsprechender Teilchendichte möglich.

In der Sonne prallen permanent Wasserstoffatome mit solcher Wucht aufeinander, dass sie sich verbinden und enorm viel Energie freisetzen. Wie kann man das Modell auf der Erde nachbauen?

Deshalb ist es den Forschern, seit sie in den 1950er-Jahren mit der Kernfusionsforschung begonnen haben, bis vor zwei Jahren nicht gelungen, eine Kernfusionsreaktion zu erzeugen, durch die mehr Energie entsteht, als sie verbraucht. Das änderte sich jedoch am 5. Dezember 2022: In der kalifornischen National Ignition Facility (NIF) des Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) erzielten Forscher einen Netto-Energiegewinn von mehr als 50 Prozent – ein absolutes Novum und zugleich eine Sensation für die Fachwelt. Dabei wurde mit der weltweit stärksten Laseranlage das Innere eines wenige Millimeter großen Behälters aufgeheizt. Die Innenwände des Behälters gaben energiereiche Röntgenstrahlen ab und erhitzten eine im Behälter enthaltene, mit Wasserstoff gefüllte Brennstoffkapsel. Der sehr hohe Druck und die extrem hohen Temperaturen führten im Brennstoff zur Fusion von Deuterium- und Tritiumkernen zu Heliumkernen. Durch die sogenannte Zündung des Brennstoffplasmas konnte die Temperatur ohne externe Aufheizung aufrechterhalten werden und man erhielt eine sich selbst erhaltende Dauerreaktion.

Prof. Dr. Markus Roth, Professor für Laser- und Plasmaphysik an der TU Darmstadt, war an dem beschriebenen Experiment ganz nah dran. Er betreibt nicht nur experimentelle Grundlagenforschung zur Wechselwirkung intensiver Laserstrahlen mit Materie, er ist auch Mitgründer sowie wissenschaftlicher Leiter des ausgegründeten Start-ups „Focused Energy“. Das deutsch-amerikanische Unternehmen unterhält enge Verbindungen zu den Forschern in der Bay Area und setzt ebenfalls auf eine laserbasierte Technologie. „Der Erfolg unserer Kollegen ist fantastisch, weil er zeigt, dass die Zündung des Plasmas gelingt, wenn die entsprechenden Bedingungen erreicht werden“, so Roth. „Der physikalische Prozess ist stabil, aber es gehen noch 99 Prozent der Energie verloren. Nun gilt es die Engineering-Aspekte zu optimieren und die Effizienz zu steigern.“ Dabei verfolgt er mit „Focused Energy“ in der letzten Phase der Zündung und des Brennens des Plasmas zwar den gleichen Aufbau wie die amerikanischen Kollegen, beschreitet ansonsten aber eigene Wege. Zum einen sollen modernere, mit Hochleistungsgläsern ausgestattete Laser mit deutlich höherem Wirkungsgrad und größerer Treffergenauigkeit zum Einsatz kommen, zum anderen soll die Brennstoffkapsel nicht indirekt, sondern direkt bestrahlt werden.

Ein Arbeiter in einem Teil des Plaßmagefäßes

Ein Teil des Plasmagefäßes von Wendelstein 7-X während des Fertigungsprozesses.

| MPI für Plasmaphysik / Wolfgang Filser

Neben der relativ neuen Lasertechnologie gibt es noch andere Fusionskonzepte, etwa die mechanische oder die magnetische Kompression des Plasmas. Wobei mit der Magnetfusion schon länger gearbeitet wird und kürzlich ebenfalls ein großer Erfolg erzielt wurde: Im britischen Culham konnte in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in der „Joint European Torus“-(JET)-Anlage aus 0,2 Milligramm Brennstoff 69 Megajoule Energie gewonnen werden. Für die gleiche Energiemenge hätte es rund 2 Kilogramm Braunkohle gebraucht, also das Zehnmillionenfache. Bei der Magnetfusion wird der Brennstoff – Fusionsplasma aus den beiden Isotopen – durch ein extrem starkes Magnetfeld in einer großen Vakuumkammer in Form eines riesigen Donuts zusammengepresst. Dadurch heizt es sich bis zur Zündung auf. Die Magnete sorgen dafür, dass das beim Erhitzen entstehende Plasma in der Mitte einer Kreisbahn gehalten wird und nicht an die Wände des Behälters stößt, die den hohen Temperaturen durch induzierten Strom, Radiowellen und energiereiche Teilchen nicht standhalten würden.

Nicht nur Forschung und Branchenvertreter blicken optimistisch auf die Fusionsforschung. Private Interessenten haben bereits mehrere Milliarden Euro investiert.

Auch im mecklenburg-vorpommerischen Greifswald setzt man auf Magnetfusion. Hier betreibt das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik mit Wendelstein 7-X die weltweit größte Fusionsanlage vom Typ Stellarator. Im Gegensatz zur Tokamak-Reaktorkammer in Culham arbeitet der Stellarator mit einer anderen Form des Magnetfeldes. Im September 2024 haben die rund 150 Plasma-Experten aus etwa 30 Nationen hier die vierte Betriebsphase gestartet. Nun soll die Maschine an ihre Leistungsgrenze gebracht werden und bis zu 40 Millionen Grad heißes und deutlich dichteres Plasma erzeugen, das auch länger stabil bleibt. Dazu wurde unter anderem ein 6 Millionen Euro teurer Plasma-Injektor verbaut – eine Art Einspritzdüse, über die kleine gefrorene Wasserstoffkügelchen in das Plasma geblasen werden, um dessen Dichte zu erhöhen.

Grafik des Fusionsreaktors Wendelstein 7-X

Die Computergrafik zeigt Plasma, Magnetspulen samt Verkabelung und Kühlleitungen sowie die innere Stützstruktur des Fusionsreaktors Wendelstein 7-X, mit dem am Max-Planck-Institut in Greifswald geforscht wird.

| MPI für Plasmaphysik

ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) im südfranzösischen Cadarache ist die älteste Forschungsanlage. Die erste Idee für dieses internationale Gemeinschaftsprojekt wurde bereits 1985 geboren. Doch das Konstrukt mit den vielen beteiligten Ländern sorgte für zahlreiche Verzögerungen und Kostenanstiege. Inzwischen wurde der Betriebsbeginn auf 2039 verschoben. ITER gilt zwar nach wie vor als Flaggschiff der Kernfusion, ist aufgrund der Erfolge der anderen Anlagen im globalen Wettrennen aber ins Hintertreffen geraten. Für Milena Roveda, CEO des Start-ups Gauss Fusion in Hanau, ist aber klar: „ITER ist nach wie vor ein Treiber für die Fusionsforschung und von den Erkenntnissen dort profitieren nicht zuletzt die zahlreichen Start-ups, die ihrerseits viel Dynamik in den Markt bringen.“ Zusammen mit führenden europäischen Unternehmen hat Roveda im Juni 2024 die European Fusion Association (EFA) gegründet, um die Industrialisierung der Fusionsenergie zu beschleunigen und sie aus dem Labor auf die Straße zu bringen. „Europa verfügt über alle notwendigen Technologien und das Know-how, um ein starkes Fusions-Ökosystem mit nachhaltigen Lieferketten zu entwickeln“, erklärt Roveda. „Vor dem Hintergrund der Transformation und der Krise traditioneller Branchen wie der Autoindustrie stellt die Kernfusion eine enorme wirtschaftliche Chance dar. Um im globalen Wettbewerb gegen China und die USA bestehen zu können, muss sich die europäische Industrie aber hinter einer gemeinsamen Vision versammeln.“ Dass der optimistische Blick auf die Kernfusion nicht nur von Branchenvertretern geteilt wird, zeigt der Zuspruch privater Investoren: Sie haben weltweit schon über 6 Milliarden Euro in die private Fusionsindustrie gesteckt. Und auch die EU und viele europäische Regierungen unterstützen mit umfangreichen Fördergeldern.

Für Kritiker wie dem BUND ist das indes eine falsche Schwerpunktsetzung: Selbst wenn sich irgendwann einmal mit der Kernfusion wirtschaftlich Strom erzeugen lasse, könne man nicht die nächsten Jahrzehnte darauf warten, so der Einwand. Die Dekarbonisierung müsse schließlich jetzt stattfinden und nicht in ferner Zukunft. Deshalb solle man die Forschungsgelder auch besser in Erneuerbare stecken, also vor allem in Wind- und Solaranlagen, so die Naturschutzorganisation. Auch die Energietechnische Gesellschaft im VDE (VDE ETG), die in Kürze ein Hintergrundpapier zu dem Thema veröffentlichen wird, unterstreicht, dass die Kernfusion nicht als Baustein für das Erreichen der Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts beitragen könne. „Die Kernfusionsforschung hat in letzter Zeit zwar beeindruckende Ergebnisse gebracht, aber der Entwicklungsstand der Technologie ist von einem Einsatz zur Stromerzeugung noch weit entfernt“, erklärt Dr. Britta Buchholz. Die Fundamentalkritik des BUND teilt die ETG-Vorsitzende aber nicht: „Unserer Einschätzung nach sollte die Forschung unbedingt fortgeführt und gefördert werden, zumal die technologischen Weiterentwicklungen auch für andere Bereiche nützlich sind – etwa bei der Entwicklung von Supraleitungen.“

„Allein mit den Erneuerbaren werden wir die Dekarbonisierung nicht schaffen.“

Kernfusion
Don Jedlovec
01.01.2025 VDE dialog

Der Physiker Prof. Dr. Markus Roth über den aktuellen Stand der Kernfusionsforschung und die Chancen für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Interview: Urich Erler

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