Roboter F.02 der BMW Group
BMW Group
01.01.2025

Humanoide Roboter: Fastalleskönner mit Hand und Fuß

Einsame Metallarme am Fließband waren gestern: Mit humanoiden Robotern strebt eine Technologie auf den Markt, die nicht nur die Industrie produktiver machen dürfte, sondern auch im Alltag, im Gesundheitswesen, in der Kunst und bei Katastrophenlagen helfen könnte.

Von Julian Hörndlein

Nachts um drei Uhr in der Fabrik eines Automobilherstellers: Zwischen den Gängen wuseln unzählige Personen herum, gehen ihrer Arbeit am Fließband nach. So scheint es zumindest auf den ersten Blick. Denn bei genauem Hinsehen handelt es sich nicht um Menschen, sondern um Maschinen. Und zwar um Roboter, die Menschen ganz schön ähnlich sehen. Sie haben zwei Beine, einen Rumpf, zwei Arme und einen Kopf, können problemlos Treppen steigen und mit viel Fingerspitzengefühl Bauteile greifen.

Aufgrund ihrer Menschenähnlichkeit spricht man von humanoiden Robotern. „Sie sind der nächste große Wurf“, sagt Andreas Renner, Direktor der Augsburger Steinbeis Business School, der sich wissenschaftlich mit KI und Robotik beschäftigt. Die größte Stärke der Humanoiden, so Renner, sei ihre Anpassungsfähigkeit. Meist sind Fabrikumgebungen auf die menschlichen Mitarbeitenden ausgerichtet, plötzlich auftauchende Hindernisse oder Treppenstufen stellen für diese meist kein Problem dar – für bisher häufig eingesetzte autonome Systeme wie fahrerlose Transportlösungen allerdings schon. „Mit den jüngsten Entwicklungen auf diesem Gebiet werden die Anwendungsfälle für humanoide Roboter immer vielfältiger – in der Industrie, aber auch darüber hinaus“, sagt Dr. Sebastian Reitelshöfer vom Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik (FAPS) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Zum Beispiel mache der Einsatz humanoider Roboter unbemannte Nachtschichten möglich, ohne dass man große bauliche Veränderungen in der Fabrik brauche. Roboter könnten auch dann einspringen, wenn entsprechende menschliche Fachkräfte fehlen.

Humanoider Roboter Neo Beta von 1X

Er kann Staub wischen, Türen öffnen, Kartons auspacken. Bei seinem Einsatz im Haushalt trägt der Neo Beta von Hersteller 1X Stoffkleidung, um möglichst menschlich zu wirken.

| 1X ©

Und das gilt nicht nur für die Industrie: Steinbeis-Direktor Andreas Renner spinnt einen skurril anmutenden Gedanken. „Mit Humanoider Robotik könnte sogar Homeoffice für Pflegekräfte möglich werden“, sagt er. Zwar könne man auf absehbare Zeit nicht davon ausgehen, dass humanoide Roboter in irgendeinem Bereich komplett selbstständig arbeiten können. Aber eine menschliche Pflegekraft könnte einen Roboter am Patienten steuern – und das unter Umständen vielleicht einen Tag pro Woche sogar von zu Hause aus. Die Vision vom Homeoffice für Pflegekräfte würde die Beschäftigung und damit den Beruf vielleicht attraktiver machen, meint Renner, und somit bei einer großen gesellschaftlichen Herausforderung abhelfen.

Einsatz ohne aufwendige Umbauten: In Umgebungen, die auf Menschen ausgerichtet sind, finden menschenähnliche Roboter sich schnell gut zurecht.

Mit dem Einsatz von Robotern in der Pflege beschäftigt sich auch Sebastian Reitelshöfer. Er kann sich vorstellen, dass sie etwa für Hol- und Bringdienste verwendet werden. Treppen hoch und runter und durch Gänge navigieren, um Medikamente aus der Apotheke oder Unterlagen aus der Verwaltung zu holen – das können humanoide Roboter schaffen und somit die Pflegefachkräfte spürbar entlasten.

Sogar in der Therapie selbst können die Roboter einen Beitrag leisten: „Beim Menschen macht es viel, wenn das Gegenüber menschliche Attribute hat“, erklärt Reitelshöfer. Der bekannte menschenähnliche Roboter Pepper wurde in der Vergangenheit schon im Training autistischer Kinder eingesetzt. In der Interaktion erkennt er das Stresslevel und kann dann etwa Atemübungen vorschlagen. Um die sozialen Anwendungsfelder zu erweitern, forscht die Friedrich-Alexander-Universität im Projekt „FORSocialRobots“ an den sozialen Fähigkeiten von Robotern. Unter anderem arbeiten die Wissenschaftler dazu mit der Sozialstiftung Bamberg zusammen. Ein neuartiges Konzept für Demenzstationen steht auf dem Programm. Das Ziel auch hier: „Dass das Personal entlastet und dadurch befähigt wird, mehr mit den Patienten zu arbeiten“, sagt Reitelshöfer.

Mit ihren Fähigkeiten ist auch der Einsatz von Humanoiden im Alltag mitunter sinnvoll. Der 1,65 Meter große Roboter Neo Beta des Herstellers 1X zum Beispiel kann im Haushalt helfen: Tee kochen, Flächen wischen, Wäsche falten oder Gegenstände bis 20 Kilogramm durch die Wohnung tragen. Das chinesische Unternehmen Unitree ist dazu übergegangen, den menschenähnlichen Roboter H1 über seinen Online-Shop auch Endkunden anzubieten. Die Lösungen bewegen sich beim Preis je nach Ausstattung zwischen 20.000 und 100.000 Euro.

Ein Blechteil in eine Vorrichtung legen, eine Tasche anreichen – das klingt unspektakulär, legt aber den Grundstein für künftig viel komplexere Einsätze in Fabriken oder zu Hause.

Geht es nach Unitree, sind Menschen nicht die einzigen Vorbilder für Roboter: Der Unitree Go2 Air ähnelt einem Hund, der sich flink durch unwegsames Gelände bewegen kann. Das ist nützlich im Rettungswesen oder in für Menschen gefährlichen Situationen, etwa in atomar verseuchtem Gebiet. Humanoide Roboter servieren in Cafés und Bars. Der Fourier GR-1 des Herstellers Fourier Intelligence kann als Concierge am Hotelempfang arbeiten, aber auch als Teil eines Sicherheitsdiensts Gelände überwachen. Selbst in Kunst und Kultur hat Robotik schon Einzug gehalten: Die Dresdner Sinfoniker haben im Herbst 2024 Roboterarme zum Dirigat eingesetzt.

Ein humanoider und ein hundeähnlicher Roboter von Unitree

Hersteller Unitree baut nicht nur menschen-, sondern auch tierähnliche Roboter. Der Go2 Air (links) beherrscht ab Werk schon viele übliche Hundetricks wie Springen oder Sitz machen – er kann aber zum Beispiel auch längere Strecken auf den Vorderfüßen laufen.

| Unitree Robotics

Bisher sind viele Lösungen allerdings noch in der Testphase, so zum Beispiel bei BMW: Der Autobauer hat im August den menschenähnlichen Roboter Figure 02 erfolgreich getestet. Er greift Blechteile und legt sie in spezielle Vorrichtungen für den Karosseriebau. „Wir wollen die Technologie von der Entwicklung bis zur Industrialisierung begleiten“, sagt Milan Nedeljkovic, Produktionsvorstand bei BMW. Der Figure 02 könne in schwierigen, unsicheren oder repetitiven Prozessen zum Einsatz kommen und die Ergonomie und Sicherheit der Mitarbeiter verbessern.

Wissenschaftler erachten solche Entwicklungen als vielversprechend, es ist allerdings noch einiges an Arbeit zu leisten. „Sie müssen flexibel, intelligent, schnell und sicher sein“, sagt Dr. Melya Boukheddimi, Forscherin am Robotics Innovation Center des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz in Bremen. „Innerhalb der letzten drei Jahre ist das Forschungsinteresse geradezu explodiert“, meint sie. Unter anderem geht es für Boukheddimi auch darum, Menschen und Roboter im Fabrikumfeld kompatibel zu machen. „Der Mensch muss sich sicher fühlen und die Kontrolle behalten“, sagt sie. Je ähnlicher die Roboter dem Menschen werden, desto mehr ethische Fragestellungen müssen berücksichtigt werden – und auch die Sicherheit spielt eine große Rolle. Je ausgefeilter die Fähigkeiten, desto mehr sei zu beachten und zu regulieren. Oder wie es Wissenschaftler Sebastian Reitelshöfer zusammenfasst: „Wenn Roboter auf zwei Beinen laufen, wird der Sicherheitsaspekt nicht leichter.“

Kontakt
VDE dialog - Das Technologie-Magazin