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01.07.2024 VDE dialog

Nachhaltigkeit: Mein Haus, der Klimaschutz-Joker

Wohn- und besonders Geschäftshäuser haben das Potenzial, zu entscheidenden Bausteinen der Energiewende zu werden. Mit innovativer Gebäudeautomation lässt sich Energie smart und effizient nutzen.

Von Julian Hörndlein

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Der Blick in die Zukunft klingt vielversprechend: Nach der kalten Winternacht heizt die Wärmepumpe zielgenau Küche und Wohnzimmer auf, im Büro werden nur die Arbeitsplätze beleuchtet, an denen auch wirklich Menschen aktiv sind, und das Elektroauto lädt natürlich optimiert so, dass vor allem die Photovoltaikenergie vom eigenen Dach genutzt wird. Auch der Traum von klimaneutralen Privathäusern und großen Gebäuden rückt damit näher. Um das Szenario allerdings Realität werden zu lassen, braucht es eine umfassende Vernetzung zwischen den einzelnen Geräten – und natürlich jede Menge Energie, meist in Form von Strom. „Wir verdoppeln bis verdreifachen den Strombedarf“, erklärt Dr. Severin Beucker, Gründer und Gesellschafter des Borderstep Instituts für Innovation und Nachhaltigkeit in Berlin. Beucker glaubt aber daran, dass es mit der Steigerung der Energieeffizienz von Gebäuden einen sehr guten Hebel gibt, um mit dem gestiegenen Bedarf umgehen zu können.

„Effizienz ist das Gebot der Stunde“, sagt Beucker. Das ehemalige Nischenthema hat durch die Energiepreissteigerungen in den letzten Jahren einen neuen Stellenwert erhalten. Hinzu kommt die durch den Klimawandel bedingte allgemeine Notwendigkeit, in der Gebäudenutzung und im Energieverbrauch neu zu denken. „Dem Thema Effizienz wird in der Energiewende generell zu wenig Beachtung geschenkt“, findet Beucker. Dabei ist das Potenzial schon bei kleinen Anpassungen im eigenen Haushalt sehr groß. Jedes Grad Raumtemperatur weniger spart etwa sechs Prozent an Energie. Dank Gebäudeautomation muss ein Absenken der Temperatur aber nicht heißen, dass der Komfort zu Hause mit sinkt, stattdessen hilft die neue Technologie bei der zielgenauen Steuerung relevanter Geräte.

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Der Gebäudesektor verbraucht 35 Prozent der Gesamtenergie

Aufs ganze Land skaliert, wird Gebäudeautomatisierung rechnerisch zu einem echten Schwergewicht im Klimaschutz. Nicht zuletzt beansprucht der Gebäudesektor etwa 35 Prozent des gesamten deutschen Energiebedarfs für sich, auch etwa 40 Prozent der CO2-Emissionen weltweit gehen auf den Bau und die Nutzung von Gebäuden zurück. Der Branchenverband Bitkom geht davon aus, dass durch einen ambitionierten Ausbau von Gebäudeautomation bis 2030 bis zu 14,7 Millionen Tonnen an CO2 eingespart werden können. „Und das schon, wenn jährlich etwa zwei bis drei Prozent des deutschen Gebäudebestands automatisiert werden“, so Beucker.

Komponenten der Gebäudeautomation mit KI noch besser nutzen

Damit dieser Ausbau gelingen kann, braucht es die passenden Technologien. Tatsächlich nimmt Deutschland bei der Herstellung von Komponenten für die Gebäudeautomatisierung eine Vorreiterrolle ein. Denn die Technologien existieren bereits viel länger, als es Google, Amazon oder Apple mit ihren geschlossenen Lösungen suggerieren. Eine wichtige Rolle spielt vor allem in der gewerblichen Nutzung der fest verdrahtete, aber herstellerunabhängige Feldbus KNX. Ein Feldbus ist ein System, das in einer Anlage Feldgeräte wie Messfühler und Stellglieder zur Kommunikation mit einem Automatisierungsgerät verbindet. In der KNX Association, dem Zusammenschluss von Herstellern entsprechender Technik, sind mittlerweile über 500 Mitgliedsunternehmen aktiv.

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„Und alle Produkte können miteinander kommunizieren“, sagt Michael Schuster, Geschäftsführer der Enertex Bayern GmbH. Vor dem Hintergrund des lauter werdenden Rufs nach mehr Energieeffizienz ist es logisch, dass Produkte auch verstärkt in diese Richtung entwickelt werden. Enertex arbeitet aktuell zusammen mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) am Forschungsprojekt KoSIR zur Entwicklung von Radarsensoren, die Präsenz im Raum zielgenau detektieren. Damit hat die Radartechnologie einen signifikanten Vorsprung gegenüber herkömmlichen Bewegungsmeldern, die bei jeder Art der Bewegung aktiv werden. „Bei Bewegungsmeldern geht auch das Licht an, wenn ein Hund oder eine Katze vorbeiläuft“, sagt Prof. Dr. Björn Eskofier, Inhaber des Lehrstuhls für Maschinelles Lernen und Datenanalytik an der FAU Erlangen-Nürnberg. Die Folge ist ein unnötiger Energieeinsatz, der bei einem einzelnen Bewegungsmelder nur wenig ins Gewicht fällt, in der Masse aber signifikant ist. Radartechnologie hingegen identifiziere Menschen und könnte zum Beispiel in Bürokomplexen zum Einsatz kommen. Dann würde nur der Teil des Raumes zielgenau beleuchtet und geheizt, in dem sich auch Menschen aufhalten. „Ist niemand mehr da, kann man die Heizung nach und nach abschalten“, sagt Eskofier. Noch handelt es sich bei KoSIR um Forschung, dennoch könnte die Radartechnologie vor allem dank Künstlicher Intelligenz künftig so einfach sein, dass sie im Gebäude zu finden sein wird. „Wir sind nur in der Lage, Daten auszutauschen, wenn wir KI verwenden“, so der Wissenschaftler.

Batteriefreie Funklösungen im Trend

Sensoren, Taster, Displays und Aktoren werden immer effizienter. Aktuell geht der Trend hin zu batterielosen Systemen, die über Funk kommunizieren und damit nicht einmal mehr eine komplizierte Verkabelung voraussetzen. Sogenannte „Energy Harvester“ ziehen die für den Betrieb notwendige Energie direkt aus der Umgebung – entweder aus dem Tastendruck an sich oder beispielsweise aus kleinen Solarzellen, wie man sie vom Taschenrechner aus der Schule kennt. Ein Unternehmen, das die Entwicklung solcher Technologien vorantreibt, ist die EnOcean GmbH mit Sitz in Oberhaching.

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Dass batteriefreie Geräte immer wichtiger werden, liegt auch an den aktuellen Entwicklungen: „Der Blick auf Energiesparen hat sich signifikant gewandelt“, sagt Matthias Kassner, Produktmanager bei EnOcean. Das Unternehmen stellt Geräte her, die energieautark und kabellos arbeiten. Neben der kinetischen und der Solarenergie nutzen sie Temperaturunterschiede oder Elektromagnetismus. Für die Sensoren reicht häufig eine minimale Leistung von wenigen Mikrowatt aus. Allerdings: „Man muss zwischen Geschäftsgebäuden und Smart Homes unterscheiden“, sagt Kassner. In großen Hotel- oder Tagungskomplexen macht die effiziente Nutzung von Energie viel mehr aus als im Einfamilienhaus. Neben der Beleuchtung liegen Anwendungs- und Einsparpotenziale in ganz unterschiedlichen Gebäudebereichen – von der Heizung und Kühlung bis hin zu Verschattung und Belüftung. Mit intelligenter Sensorik geht zum Beispiel die Heizung automatisch aus, sobald ein Fenster geöffnet wird, oder die Rollos fahren bei einer bestimmten Sonneneinstrahlung automatisch herunter. Noch wichtiger wird das Thema bei großen Gewerbekomplexen. Dort werden teils bis zu 100.000 Sensoren verbaut. Müssten überall dort die Batterien getauscht werden, würde das zu einem großen Ressourcenverbrauch und hohem Aufwand führen. Gebäudeautomation schafft es dann, ein Gebäude umfassend zu vernetzen und die Klimabilanz des Hauses zu verbessern. Dabei geht es etwa um die Ausrichtung der Heizung an den Wetterprognosen. Auch der Ausbau der Strominfrastruktur durch die Installation von sogenannten Smart Metern, die intelligent den Stromverbrauch messen und an die Netzbetreiber melden, steht aktuell an. Dann kann anhand der genauen Verbrauchsdaten das Energiemanagement optimiert werden.

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Fachleute sind sich einig, dass im Ausbau der Gebäudeautomation ein wichtiger Treiber der Energiewende schlummert. Dennoch gibt es noch allerhand zu tun: Laut Severin Beucker wird die Entwicklung unter anderem durch ungeklärte Zuständigkeiten gehemmt. Denn Deutschland ist nach wie vor ein Land mit sehr vielen Mietwohnungen. Beispiel Wärme: „Wir brauchen eine gerechte Verteilung der Investition in Gebäudeautomation zwischen Vermieter und Mieter“, sagt er. Denn was zuerst Kosten verursache, werde die Nebenkosten langfristig deutlich senken. Lange Zeit war Gebäudeautomation außerdem ein Thema für Liebhaber: „Der treibende Faktor für Innovationen wird wohl auch weiterhin das Luxussegment bleiben“, sagt Michael Schuster. Dennoch müsse der Anspruch sein, Gebäudeautomation in die Breite zu bringen. Für Matthias Kassner zeigt der Trend in Richtung der Nachrüstung von Bestandsbauten – dem Retrofit. „Ein massiver Trend geht hin zu einfach und schnell zu installierenden Lösungen, für die es keine Fachleute braucht“, sagt er. Dort spielen dann Funklösungen ganz besonders ihre Stärken aus.

Mit der Weiterentwicklung der Gebäudeautomation steht Steigerung von Effizienz und Nachhaltigkeit im energiehungrigen Gebäudesektor nichts mehr im Wege. Wie Borderstep-Gründer Severin Beucker es sagt: „Es gibt ein großes Potenzial, das auch ausgeschöpft werden kann.“

Julian Hörndlein ist freiberuflicher Technik-Journalist in Nürnberg.

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