Porträtfoto von Prof. Dr. Antonia Wachter-Zeh
Astrid Eckert/TUM
01.04.2024 VDE dialog

Wissenschaft: Heute für morgen

Prof. Dr. Antonia Wachter-Zeh hat Elektrotechnik studiert und erbringt auf diesem Gebiet wissenschaftliche Höchstleistungen – für die sie jüngst auch mit dem Johann-Philipp-Reis-Preis geehrt wurde. Ein Gespräch über Quanten, Codes und Grundlagenforschung.

Von Martin Schmitz-Kuhl

Heute schon an morgen denken! Die einen assoziieren mit diesem Slogan die Themen Ruhestand und finanzielle Absicherung, andere vielleicht Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Antonia Wachter-Zeh kommen dagegen eher Quantencomputer in den Sinn. Nicht weil die Professorin für Elektrotechnik an der TU München selbst mit deren Entwicklung befasst ist, sondern schlicht und einfach, weil sie weiß, dass diese, wenn sie denn einmal einsatzfähig sind, vieles auf den Kopf stellen werden: „Die klassischen Verschlüsselungsverfahren, die heutzutage im Internet verwendet werden, könnte ein hinreichend leistungsfähiger Quantencomputer ruckzuck knacken“, erklärt die Expertin für Codierungstheorie und Kryptografie im Gespräch mit dem VDE dialog. Diese beruhten nämlich auf mathematischen Aufgabestellungen, die für den sogenannten Shor-Algorithmus keine nennenswerten Herausforderungen wären. Bereits vor 30 Jahren hatte der amerikanische Mathematiker Peter Shor diesen Quantencomputer-Algorithmus veröffentlicht. Solche Supercomputer fehlen allerdings bis heute, um ihn tatsächlich anwenden zu können. Doch das wird sich mit großer Sicherheit in 20, vielleicht 25 Jahren ändern – und damit wären eben auch viele derzeit bekannten Verschlüsselungstechniken obsolet.

Was also tun, damit Onlinebanking und jede andere Form von sicherer Kommunikation im Internet künftig noch möglich ist? Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt sind damit befasst. „Diese sogenannte Post-Quanten-Kryptografie ist ein Riesenthema“, stellt Wachter-Zeh klar. Und weil diese neuen Verfahren nicht nur entwickelt, sondern auch standardisiert werden müssen, hat das National Institute of Standards and Technology in den USA (NIST) bereits einige Wettbewerbe initiiert. Ganz unterschiedliche Ansätze konkurrieren hier miteinander, auch ein von Wachter-Zeh und ihrem Team entwickeltes Signaturverfahren ist noch im Rennen. „Ob ein Verfahren tatsächlich quantensicher ist, lässt sich jedoch gar nicht beweisen“, erläutert sie. Eine weltweite Forschungscommunity macht sich aber trotzdem auf die Suche nach Schwachpunkten in den eingereichten Verfahren, und nur die besten können sich durchsetzen und zum Standard werden. „Das wäre schon etwas ganz Großes“, hofft sie, selbst wenn es für solche Grundlagenforschung eigentlich nichts zu gewinnen gibt.

Vom Mathe-Ass zur Elektrotechnikerin

Obwohl: „Nichts zu gewinnen“ ist auch nicht ganz richtig. Denn die 39-Jährige hat in ihrer wissenschaftlichen Karriere schon so manche Auszeichnung bekommen, zuletzt den Johann-Philipp-Reis-Preis, den die Informationstechnische Gesellschaft im VDE zusammen mit anderen Partnern alle zwei Jahre vergibt. Gewürdigt wurde dabei vor allem der praktische Nutzen ihrer wissenschaftlichen Leistungen. Diese sind vielleicht nicht geeignet, um sie beispielsweise mit einem coolen Start-up direkt zu monetarisieren (Wachter-Zeh: „So etwas wäre auch überhaupt gar nicht mein Ding!“), wohl aber, um die Wirtschaft vor größerem Schaden zu bewahren. Diese etwaigen Schäden würden zwar erst mit der Entwicklung von Quantencomputern tatsächlich entstehen, müssen aber heute schon verhindert werden. Schließlich könne man bei einem Auto oder gar bei einem Satelliten dann nicht einfach ein Update mit den Verschlüsselungsverfahren aufspielen, erklärt Wachter-Zeh. „Darum muss man sich heute kümmern, sonst ist es zu spät!“

Die Faszination für Zahlen zeigte sich bei Wachter-Zeh bereits früh. Schon als Schülerin stellte sie ihr Gespür und ihre Leidenschaft für mathematische Aufgabenstellungen regelmäßig in Landeswettbewerben unter Beweis. Lange Zeit war für sie deshalb klar, dass sie Mathematik studieren würde. Aber dann erschien ihr das Fach doch zu weltfremd und sie entschied sich für ein Studium der Elektrotechnik. Hier wurde mehr und mehr ihr Interesse an der Nachrichtentechnik geweckt. Ihr Ziel war es, auf Basis mathematischer Theorien aus der modernen Algebra sogenannte fehlerkorrigierende Codes zu entwickeln, die eine effiziente und fehlerfreie Kommunikation rund um den Erdball ermöglichen sollten. Ihre Doktorarbeit über hocheffiziente Codierungsalgorithmen wurde zweifach mit Auszeichnung bewertet und erfuhr große Resonanz in der internationalen Forschungsgemeinschaft. Dann, als Postdoc, wollte Wachter-Zeh unbedingt ins Ausland gehen. Sie ging an das Israel Institute of Technology nach Haifa, um ihre Forschungen fortzusetzen. 2016 nahm sie dann eine Stelle an der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik an der TU München an.

"Die klassischen Verschlüsselungsverfahren könnte ein hinreichend leistungsfähiger Quanten-computer ruckzuck knacken."

Hier ist die Wissenschaftlerin nun – neben der Beschäftigung mit der genannten Post-Quanten-Kryptografie – noch mit jeder Menge anderer Themen befasst. Zum Beispiel mit der Langzeit-Datenspeicherung in künstlich hergestellter DNA oder auch dem Thema Datensicherheit in bestimmten Maschine-Learning-Anwendungen. Insgesamt also ein breites Feld, das aber durch mathematische Prinzipien im Allgemeinen und der Codierungstheorie im Besonderen zusammengehalten wird. „Das ist die Grundlage, das verbindet alle Themen“, erklärt Wachter-Zeh. Aber gibt es viele Menschen in ihrem Umfeld, die wirklich verstehen, was sie da an der Universität jeden Tag so treibt? „Mein Mann ist auch Ingenieur“, lacht sie, „das ist natürlich ganz praktisch.“

Dann abschließend noch der Punkt, dass sie eine junge Frau und zweifache Mutter ist – alles in allem nicht gerade selbstverständlich im elektrotechnischen Wissenschaftsbetrieb, der bekanntlich sehr männerdominiert ist. Wachter-Zeh verdreht die Augen. „Das Thema musste ja wieder kommen. Na, dann schießen Sie mal los!“ Naja, das muss ja vielleicht diesmal nicht sein.

Martin Schmitz-Kuhl ist freier Autor aus Frankfurt am Main und Redakteur beim VDE dialog.

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