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01.04.2024 VDE dialog

Digitales: Der Kreislauf-Katalysator

Ohne digitale Technologien wird eine Kreislaufwirtschaft künftig nicht funktionieren. Sie stellen notwendige Daten bereit und ermöglichen Servicemodelle für einen besseren CO2-Fußabdruck. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der digitale Produktpass.

Von Markus Strehlitz

Die Kreislaufwirtschaft braucht Daten. Um ein Produkt wiederzuverwenden, zu reparieren oder seine Rohstoffe zu recyclen, sind jede Menge Informationen notwendig.

Um diese allen am Wertschöpfungsprozess Beteiligten zur Verfügung zu stellen, ist ein entscheidender Baustein der digitale Produktpass, wie er in der Ökodesign-Verordnung, auf die sich die EU im Dezember 2023 geeinigt hat, gefordert ist. Dieser soll alle relevanten Daten zu einem Produkt wie Informationen zu Wiederverwendbarkeit, Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit sowie den Umweltauswirkungen enthalten.

Solche Daten werden zwar bereits erfasst, sie liegen jedoch bisher in den Datenbanken der einzelnen Unternehmen. Mit dem digitalen Produktpass (DPP) sollen diese nun aus diesen Silos befreit, zusammengeführt und leichter zugänglich gemacht werden. Das sind statische Daten, die nach der Fertigung eines Produkts feststehen, und dynamische Daten – die Informationen, die sich im Laufe der Zeit verändern. Bei einer Batterie wäre das zum Beispiel die Anzahl der Ladezyklen. Der Pass begleitet das Produkt also über sein gesamtes Lebens hinweg und umfasst alle Daten. Er lässt sich ein bißchen wie ein digitaler Zwilling begreifen: ein digitales Abbild des physischen Produkts.

Entscheidungshilfe für die Verbraucher

Für die Kreislaufwirtschaft könnte der digitale Produktpass wie ein Katalysator wirken, Prozesse im Sinne einer Circular Economy effizienter machen und Entscheidungen, wie mit einem Produkt umgegangen wird, vereinfachen.

Was das konkret bedeutet, erklärt Anna Preut, die am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML in der Abteilung Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft tätig ist. „Wenn beispielsweise ein Verbraucher ein Produkt nicht mehr nutzt, weil es kaputt ist oder er es nicht mehr benötigt, können Informationen aus dem digitalen Produktpass ihm dabei helfen, zu entscheiden, was mit dem Produkt aus ökologischer Sicht am besten zu tun ist. Übergibt er es einem lokalen Entsorger oder schickt er es zurück zum Hersteller?“, so Preut. Den Betreibern von Recyclinganlagen wäre es möglich, ihre Sortierungsprozesse zu optimieren, weil sie mehr Informationen über die verwendeten Materialien haben.

Die bessere Verfügbarkeit von Daten könnte bis zum Jahr 2035 allein in der Automobilindustrie die jährlichen CO2-Emissionen um 12,3 Millionen Tonnen reduzieren und zudem für eine bessere Verwertung von 5,4 Millionen Tonnen Materialien sowie eine verstärkte Rückgewinnung wichtiger Rohstoffe sorgen, so die Einschätzung der EU-Kommission.

Wen die ökologischen Vorteile des digitalen Produktpasses noch nicht überzeugen, für den sei auf das wirtschaftliche Potenzial hingewiesen. „Durch die Bereitstellung detaillierter Produktinformationen können zielgerichtete und auf Kundenbedürfnisse zugeschnittene Angebote realisiert werden. So ergeben sich völlig neue Geschäftsmodelle rund um das Produkt und die Kreislaufwirtschaft“, schreibt Henning Meyer, Director für den Bereich Cloud Transformation & Sustainable IT beim Beratungsunternehmen Capgemini, in einem Blog-Post. Die Datenverfügbarkeit und Transparenz entlang der Lieferkette trage zusätzlich zu Effizienzsteigerungen bei und fördere Kosteneinsparungen sowie optimierte Produktionsprozesse. „Diese Effekte können in der Automobilindustrie beispielsweise zu geschätzten 1,8 Milliarden Euro Nettogewinn bis 2035 führen“, so Meyer.

„Indem Produkte nach der Nutzungsphase richtig entsorgt oder weitergegeben werden, können sie für eine erneute Vermarktung aufbereitet oder als Materialquellen für neue Produkte genutzt werden“, nennt Fraunhofer-Expertin Preut weitere Möglichkeiten. „Als Informationsquelle für digitale Lieferscheine kann der digitale Produktpass in Rücknahmelogistikprozessen und bei Ersatzteillieferungen unterstützen.“ So können nicht nur unnötige Transporte vermieden werden, sondern es lässt sich auch die Lebensdauer eines Produkts verlängern – ein Gewinn für Ökologie und Ökonomie gleichermaßen.

Viel Arbeit an Standards für den digitalen Produktpass

Bevor sich solche Potenziale erschließen lassen, gibt es jedoch noch einiges zu tun. Das von VDE DKE getragene Standardization Council Industrie 4.0 arbeitet mit Experten aus Wirtschaft und Forschung daran, ein Konzept für den DPP zu entwickeln. Das präferierte Modell ist dabei der DPP 4.0 mit einer Systemarchitektur, die sich auf die Prinzipien der Industrie 4.0 stützt. Dieses Modell soll einen dezentralen, föderierten DPP ermöglichen, welcher technologieoffen ist und eine Abhängigkeit von einzelnen Anbietern verhindert.

Auf einem Produkt ist ein Aufkleber mit einem QR-Code

Über einen QR-Code direkt am Produkt könnten Verbraucher künftig zum Digitalen Produktpass gelangen und zum Beispiel Informationen zum Hersteller, zu verwendeten Materialien und zum CO2-Fußabdruck finden. Wie das aussehen könnte, zeigt der DDP Demonstrator unter www.dke.de/nr010201

| DKE

Dies ermöglicht es Herstellern, eine Infrastruktur aufzubauen, um geforderte und freiwillig zur Verfügung gestellte Daten zu einem Produkt – unter anderem auch von Zulieferern – zusammenzuführen und diese im DPP bereitzustellen. Dazu zählt unter anderem die Installation eines Rights-Management-Systems, das die Rechte für den Zugriff auf die Daten regelt. Ohne dieses lässt sich kaum sicherstellen, dass keine sensiblen Informationen – etwa Produktionsgeheimnisse – die Firma verlassen. Zudem ist eine Lösung notwendig, um die dynamischen Daten, die während des gesamten Lebens eines Produktes dauernd anfallen, ebenfalls zu integrieren.

Hinzu kommen die Standards, mit denen sich die DKE beschäftigt. Diese adressieren unter anderem die Verwaltung von Zugriffsrechten, die technische, semantische und organisatorische Interoperabilität sowie Datenaustauschprotokolle, Datenformate und die Lagerung der Daten. „Zum Standardisierungsprozess gehört es, festzustellen, welche Standards es bereits gibt und wo es Überlappungen gibt. Im speziellen Fall des EU-Binnenmarktes ist zusätzlich zu klären, welche davon harmonisiert werden müssen“, erklärt Dr. Marvin Böll, Projektmanager VDE DKE. Bis 2025 soll die Arbeit abgeschlossen sein.

Normen sind laut Böll eine Voraussetzung für interoperable Lösungen und damit eine wichtige Bedingung dafür, dass kleine und mittelständische Unternehmen den DPP wirtschaftlich umsetzen können. Doch intern die Systeme bereitzustellen, um die Informationen in der erforderlichen Qualität zu liefern und dafür Sorge zu tragen, dass auch die dynamischen Daten ihren Weg in den Produktpass finden, könnte gerade für kleinere Firmen eine große Herausforderung sein. „Daher ist eine Vision der europäischen Kommission, dass sich rund um den DPP eine Art Ökosystem aus Dienstleistern bildet, die Unternehmen bei der Erfüllung der Anforderungen unterstützt – zum Beispiel von Betreibern eines ‚DPP as a service‘ “, sagt Böll. Dass regulatorische Vorgaben zu einem solchen Ökosystem führen können, zeigt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Im Zuge dieses Gesetzes sind bereits eine Reihe von Start-ups entstanden, die Unternehmen Lösungen anbieten, um die erforderlichen Daten zusammenzutragen. Um eine Fragmentierung des EU-Marktes zu vermeiden, sei es deswegen wichtig, dass man sich auf gemeinsame Standards und Normen einigt, so Böll. Ganz im Sinne einer gemeinsamen Anstrengung auf dem Weg zur Circular Economy.

Markus Strehlitz ist freier Journalist und Redakteur beim VDE dialog.

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