Als vor mehr als 130 Jahren der VDE gegründet wurde, war die Welt der Elektrotechnik noch überschaubar. In dem neuen Verein ging es in der Anfangszeit vor allem um elektrische Energie- und Starkstromtechnik. Von Informations-, Automatisierungs- oder Biomedizintechnik war ebenso wenig die Rede wie von Mikroelektronik, Digitalisierung, Robotik oder gar Künstlicher Intelligenz, den Themen unserer Zeit.
Doch schon bald war es mit der Übersichtlichkeit vorbei. Die Elektrotechnik entwickelte sich im 20. Jahrhundert rasant in unterschiedlichste Richtungen, und insbesondere die Schwachstromtechnik (später Fernmelde- oder Nachrichtentechnik) fühlte sich im VDE irgendwann nicht mehr angemessen vertreten. „In den 1950er-Jahren war zunächst angedacht, einen eigenen nachrichtentechnischen Verein zu gründen, mit dem man dann korporativ dem VDE beitreten wollte“, erzählt Dr. Norbert Gilson, stellvertretender Vorsitzender des VDE Ausschusses „Geschichte der Elektrotechnik“. Doch das sei auf große Vorbehalte gestoßen, befürchtete man doch, dass es damit zu einer Aufspaltung kommen würde, zu einer Art Nebenorganisation jenseits des eigentlichen VDE. „Auf der anderen Seite hatte man aber auch Sorge, dass die Nachrichtentechniker irgendwann ganz weg wären, wenn man nicht einen Schritt auf sie zugehen würde“, so der Historiker. Schließlich einigte man sich 1954 auf die Gründung einer Fachgesellschaft unter dem Dach des VDE. Diese Nachrichtentechnische Gesellschaft, aus der dann in den 1980er-Jahren die Informationstechnische Gesellschaft hervorging, war also kein eigener Verein, sondern ein Organ des VDE, mit großer Selbstständigkeit und doch organisatorisch eingebunden. „Damit gelang es, den zentrifugalen Kräften einer sich ausdifferenzierenden Elektrotechnik erst einmal Einhalt zu gebieten“, erklärt Gilson. Etwas, das allerdings 15 Jahre später mit der Gründung der Gesellschaft für Informatik – einer Fachgesellschaft außerhalb des VDE Ökosystems – auch schon wieder misslingen sollte: „Die Frage, wo Elektrotechnik anfängt und wo sie aufhört, stellt sich immer wieder neu. Bei der Informatik schaffte man es damals nicht, sie in den eigenen Reihen zu halten“, berichtet Gilson, der während seines eigenen Elektrotechnikstudiums Anfang der 1970er-Jahre noch die Konkurrenz der unterschiedlichen Fakultäten miterleben konnte.