Ein Wissenschaftler am Probenhalter des Röntgenlasers European XFEL
© DESY / Lars Berg
01.01.2024 VDE dialog

Teilchenbeschleunigung: Mit Tempo an die Spitze

Deutschland ist erstklassig – in der Forschung und der Arbeit rund um Teilchenbeschleuniger. Die Technologien kommen zum Einsatz in der Bekämpfung von Krebs oder zur Simulation physikalischer Umstände auf Exoplaneten. Dabei werden die leistungsstarken Röhren immer kleiner.

Von Julian Hörndlein

In vielen Disziplinen wäre man hierzulande gerne Vorreiter. In dieser ist man es tatsächlich: „Deutschland nimmt im Bereich der Teilchenbeschleuniger weltweit wirklich eine führende Rolle ein“, sagt Dr. Arik Willner. Er muss es wissen: Der Physiker ist CTO des Deutschen Elektronen-Synchrotrons DESY, das in Hamburg und in Zeuthen am südöstlichen Stadtrand von Berlin Teilchenbeschleuniger betreibt und ihre Wirkweise erforscht. Ein Synchrotron ist eine vor allem früher verwendete Bauart eines Kreisbeschleunigers, wie man ihn von der Forschungseinrichtung CERN in Genf (vielleicht aus dem Roman „Illuminati“ von Dan Brown) kennt. Auch der erste Beschleuniger von DESY war ein Synchrotron. Heute gibt es verschiedene Typen von Kreisbeschleunigern, man nennt sie nun Speicherringe. Doch das Grundprinzip bleibt gleich: Beschleunigt werden können geladene Teilchen wie Elektronen. Diese werden zur Beschleunigung über starke elektromagnetische Wellen geschickt. Am Ende werden die Elektronen dann über als Undulatoren bezeichnete Magnetstrukturen geleitet, in denen Röntgenlicht entsteht. Dieses brillante Röntgenlicht nutzen Forschende, um Experimente durchzuführen. „Das hat natürlich unglaubliches Potenzial für sehr viele Forschungsdisziplinen“, stimmt auch Prof. Dr. Wim Leemans, Direktor des Beschleunigerbereichs bei DESY, zu.

27.000 Laserblitze pro Sekunde

Wenn besonders helles, laserartiges Röntgenlicht benötigt wird, nutzen Wissenschaftler Linearbeschleuniger, die die Elektronen in einer geraden Linie in Richtung der Undulatoren schießen. Auf dem DESY-Gelände befindet sich der Startpunkt für den 3,4 Kilometer langen Röntgenlaser European XFEL, der extrem intensive Röntgenlaserblitze für die Verwendung in Wissenschaft und Industrie erzeugt. 27.000 pro Sekunde sind das an der Zahl. Der XFEL verläuft in einer geraden Linie vom DESY-Campus in Hamburg-Bahrenfeld bis in den Forschungscampus in Schenefeld. Dabei unterquert er Wohnhäuser, Straßen und Sportplätze. Am Ende der Anlage können Forschende aus aller Welt eine Leuchtstärke nutzen, die milliardenfach höher ist als die, die man aus der Strahlentherapie oder der Diagnostik im Krankenhaus kennt.

eine lange gelbe Röhre in einem Tunnel ist Teil des Röntgenlasers European XFEL

Blick in den 2,1 Kilometer langen Beschleunigertunnel des European XFEL.

| © DESY / Dirk Nölle

Die Vernetzung beider Institutionen ist eng: „Die Idee für den Bau des Röntgenlasers ist bei DESY entstanden, und es gibt eine sehr enge Verzahnung zwischen uns und DESY“, erklärt Dr. Thomas Tschentscher, Wissenschaftlicher Direktor bei European XFEL. Aber DESY und European XFEL erforschen unterschiedliche Anwendungen in verschiedenen Experimenten. Denn die Röntgenlichtquellen mit ihren Teilchenbeschleunigern sind wissenschaftliche Werkzeuge, die eine enorme Zahl an möglichen Anwendungen bieten. Allein am European XFEL werden pro Jahr etwa 100 Experimente durchgeführt.

Neben physikalischer Forschung gibt es Anwendungen auch in der Medizin. DESY hat sogar einen Anteil an der Bekämpfung der Corona-Pandemie. „Bereits 2019 hat BioNTech an unser Röntgenlichtquelle gemessen“, sagt DESY-CTO Willner. Das Ziel sei gewesen, die sogenannten Nanocarrier zu optimieren, mit denen die mRNA transportiert wird. „Diese Optimierungen haben in Patente gemündet, die nun auch in die vierte Charge der Impfstoffe eingeflossen sind.“

Strahlung im Dienst der Gesundheit

Auch in anderen Bereichen der Medizin werden Teilchenbeschleuniger verwendet. „Die Daten, die durch die Experimente generiert werden, sind für die Medikamentenentwicklung hoch relevant“, sagt Willner. Hinzu kommt die Strahlentherapie. In vielen Krankenhäusern befinden sich hierfür Teilchenbeschleuniger, die allerdings deutlich kleiner als die Anlagen in Hamburg sind. Dort werden Elektronen beschleunigt und auf einen Tumor gelenkt, der so zielgenau zerstört werden soll. Das Prinzip wird bereits erfolgreich angewendet, trotzdem ist hier noch einiges an Forschungsbedarf vorhanden. Denn aktuell sind auch die meisten Teilchenbeschleuniger in Kliniken raumfüllend und unhandlich in der Praxis. Die Idee von DESY-Direktor Wim Leemans sind Teilchenbeschleuniger, die in einen Kleintransporter passen.

Dass das möglich sein könnte, zeigt ein Forschungsprojekt, das die Technische Universität Darmstadt zusammen mit Partnern durchgeführt hat. Das dort ansässige Fachgebiet Beschleunigerphysik hat an einem lasergetriebenen Elektronenbeschleuniger geforscht, der auf einen Siliziumchip passt und kleiner als ein Fingernagel ist. „Die Anwendungen in der Medizintechnik sind sicherlich vielversprechend, wenn es um kompakte Teilchenbeschleuniger geht“, erklärt Prof. Dr. Oliver Boine-Frankenheim, Leiter des Fachgebiets an der TU Darmstadt. Der Chip könnte per Glasfaserkabel in den Körper eingeführt und Tumore dadurch gezielt aus nächster Nähe bestrahlt werden. Darüber hinausgehende Anwendungsgebiete seien noch nicht klar. Denn die Kompaktheit des Beschleunigers habe auch zur Folge, dass die beschleunigten Ströme sehr klein seien. Generell sei es damit nur möglich, Elektronen zu beschleunigen – keine Ionen oder Protonen. Dennoch wird weiter an den Miniatur-Beschleunigern gearbeitet. Im vergangenen Herbst meldete die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Partnerin der Darmstädter Forscher, einen Durchbruch bei der Beschleunigung von Elektronen auf einer Fläche, die kleiner als ein 1-Cent-Stück ist.

Ein sehr kleiner Teilchenbeschleuniger liegt auf einer 1-Cent-Münze

Mini-Teilchenbeschleuniger wie der von der FAU Nürnberg-Erlangen entwickelte können innerhalb menschlicher Körper zur Tumortherapie eingesetzt werden.

| FAU/Laser Physics, Stefanie Kraus, Julian Litzel

Mega-Beschleunigung in Darmstadt

Darmstadt ist neben Hamburg ein zweiter wichtiger Standort für Beschleunigeranlagen. Das mache Deutschland zu einer „Hochburg der Beschleunigerphysik“, so Boine-Frankenheim. Er verfolgt den Fortschritt täglich mit, denn er blickt aus seinem Darmstädter Büro auf die Baustelle des nächsten großen Beschleunigerzentrums. Dort entsteht aktuell mit FAIR (Facility for Antiproton and Ion Research) eines der größten Forschungsvorhaben dieser Art weltweit. Deutscher Gesellschafter ist das in Darmstadt ansässige GSI Helmholzzentrum für Schwerionenforschung, wo Boine-Frankenheim zusätzlich zu seiner Tätigkeit an der TU Darmstadt Abteilungsleiter ist. „Wir versuchen, die Beschleuniger auf höchste Performance zu trimmen“, erklärt der Wissenschaftler. FAIR soll eine der modernsten Beschleunigeranlagen der Welt werden. 3,3 Milliarden Euro werden dazu in Darmstadt investiert, insgesamt 600.000 Kubikmeter Beton und 65.000 Tonnen Stahl verbaut. Dieser Aufwand wird nicht ohne Grund betrieben, tatsächlich geht es bei FAIR um nicht weniger als darum, die Entstehung des Universums zu untersuchen. Mit den Anlagen wird es möglich sein, die extremen Bedingungen nachzuahmen, denen Materie in großen Planeten, Sternen, Sternexplosionen und -kollisionen ausgesetzt ist. Dazu werden mithilfe der Beschleuniger Ionen auf kleine Materialproben geschossen, sodass im winzigen Aufprallpunkt für einen kurzen Moment kosmische Materie entsteht. Die Anlage wird gewaltig: Allein der Ringbeschleuniger hat einen Umfang von 1100 Metern, hinzu kommen Experimentierringe und -stationen. Als Vorbeschleuniger dient die bestehende GSI-Anlage.

Dem Universum selbst auf die Spuren zu kommen, fasziniert die Wissenschaftler in der Beschäftigung mit Teilchenbeschleunigern seit jeher. „Anwendungen aus der Astrophysik haben gerade durch die Forschung an Exoplaneten in den letzten Jahren stark an Dynamik gewonnen“, erklärt European XFEL-Direktor Thomas Tschentscher. Auch der Hamburger Linearbeschleuniger leistet seinen Beitrag an der Erforschung. Über die Messungen am Röntgenlaser wird auf thermodynamische Variablen wie Leitfähigkeit, Dichtevariation oder Wärmekapazität zurückgeschlossen. Das sind Parameter, die ohne die Röntgenlaser und ihre Beschleuniger bisher auf der Erde nicht erfasst werden können, aber einen Beitrag leisten, um Planeten und ihre Entstehung besser zu verstehen.

Normung für mehr Sicherheit

Neben der wissenschaftlichen Nutzung nehmen auch die industriellen Anwendungen von Teilchenbeschleunigern zu. Nicht nur hier, aber hier besonders, spielt auch die Sicherheit eine große Rolle. Unternehmen nutzen Teilchenbeschleuniger etwa zur Untersuchung von Materialien auf molekularer Ebene. Gerade in der Halbleiter- und Automobilindustrie werden damit Materialzusammensetzungen, Dicken und Strukturen charakterisiert.

Der Probenhalter an der Röntgenlichtquelle des Teilchenbeschleunigers PETRA III

Probenhalter an der brillanten Röntgenlichtquelle des Teilchenbeschleunigers PETRA III, um den in Hamburg bei DESY eine ganze Forschungshalle entwickelt und gebaut wurde.

| © DESY/Christian Schmid

Darüber hinaus modifiziert die Industrie ihre Materialien mithilfe von Beschleunigern, etwa um eine höhere Verschleißfestigkeit oder Korrosionsbeständigkeit zu erhalten. Der Umgang mit Strahlung kann die Gesundheit beeinträchtigen. „Wenn es in die Industrie geht, kommen auch Bediener daran, denen die Gefahren von Strahlen nicht unbedingt bewusst sind“, sagt Georg Vogel. Er beschäftigt sich als Normungsmanager bei der Deutschen Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE) mit der Standardisierung von Teilchenbeschleunigern und will Beteiligte zusammenbringen. „Die Unternehmen sind häufig noch nicht so sehr in den entsprechenden Gremien vertreten“, sagt Vogel. Anders die wissenschaftlichen Institutionen, unter anderem arbeite DESY mit. Um mittels der Normung die Sicherheit aller Beteiligten zu gewährleisten, befasst sich eigens ein Komitee der DKE mit Mess-, Steuer- und Regelungstechnik im Zusammenhang mit ionisierender Strahlung, im August 2023 wurde zuletzt eine entsprechende Norm veröffentlicht.

Neben der Normung und Standardisierung geht für die Wissenschaft die Arbeit an den riesigen Anlagen weiter. Künftig wahrscheinlich wie in so vielen anderen Bereichen mithilfe Künstlicher Intelligenz. „Aktuell gehen noch Wochen mit der richtigen Einstellung der Beschleuniger verloren“, sagt der Darmstädter Forscher Oliver Boine-Frankenheim. In Zukunft könnte eine KI dabei helfen, dass nur noch ein Bruchteil der Zeit dafür benötigt wird. Deutschland wird bei dieser Entwicklung ganz vorne mit dabei sein.

Julian Hörndlein ist Technik-Journalist in Nürnberg.

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