Ein blauer Regionalzug auf Schienen vor bewölktem Himmel.
Sabrina Adeline Nagel / EVB
01.01.2023 Publikation

Alternativ angetrieben

In Deutschland fahren die ersten Wasserstoffzüge im Personennahverkehr. Die Entwicklung ist ein wichtiger Schritt in Richtung Klimaneutralität – obwohl batteriebetriebene Bahnen die deutlich energieeffizientere Alternative zu Dieselzügen und Streckenelektrifizierung sind.

Von Beatrice Hüper

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VDE dialog - Das Technologie-Magazin

Leise, komfortabel und emissionsfrei fährt man im nördlichen Niedersachsen. Seit vergangenem Sommer bedienen mit Wasserstoff angetriebene Züge die Strecken zwischen Cuxhaven, Bremerhaven, Bremervörde und Buxtehude. Die Züge werden von der Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser GmbH (evb) gefahren und gehören der Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG). Dort ist man stolz auf die neue Technologie: "Uns gehört die erste Wasserstoffzugflotte der Welt", sagt Thomas Nawrocki, Bereichsleiter Fahrzeugmanagement der LNVG. Bis Sommer 2023 wolle man mit insgesamt 14 Wasserstoffzügen die gesamte Dieselflotte der evb ersetzen.  

Denn darum geht es: Dieselzüge müssen weg. Obwohl "etwa 80 Prozent des Personennahverkehrs auf elektrifizierten Strecken erbracht werden", wie Nora Dörr, Projektleiterin Alternative Antriebssysteme beim VDE, weiß, sind aktuell immer noch Tausende klimatechnisch ungünstige Dieselzüge unterwegs. Doch wer sie abschaffen will, braucht Alternativen. Die Elektrifizierung mittels Oberleitung lohnt sich dabei nicht immer. Der Aufbau ist vor allem auf Strecken mit geringer Auslastung unverhältnismäßig teuer. "Antriebe mit Oberleitung sind im Bahnverkehr das Mittel der Wahl, weil sie am effizientesten sind. Doch überall da, wo es Lücken bei der Elektrifizierung gibt, bietet sich der Einsatz von Wasserstoffzügen und Batteriefahrzeugen an", sagt Rüdiger Wendt, VDI-Fachbeirat Bahntechnik.  

Pro und contra HEMU und BEMU

Bei BEMU-Fahrzeugen (BEMU = battery-electric multiple unit) wird der Fahrdraht direkt für die Versorgung des Antriebs verwendet. Gleichzeitig wird die Batterie darüber geladen. Wenn keine ausreichend langen Oberleitungen verfügbar sind, können auch punktuelle Ladestationen verwendet werden. Bei HEMU-Zügen (HEMU = hydrogen-electric multiple unit) wird Wasserstoff mit Luftsauerstoff in elektrische Energie umgewandelt. Der Wasserstoff muss getankt werden. Dabei sei die eine Technologie nicht grundsätzlich besser als die andere, so VDE Expertin Dörr. "Batteriefahrzeuge haben eine gute Energieeffizienz und nach aktuellem Stand dadurch geringere Betriebskosten. Aber sie müssen spätestens alle 120 Kilometer geladen werden." Da punkten Wasserstoffzüge: "Sie bewältigen lange Strecken ohne Stopps." Im Herbst hat ein Wasserstoffzug der Serie Coradia iLint des Herstellers Alstom aus der Flotte der LNVG 1175 Kilometer von Bremervörde nach München ohne Zwischenstopp zurückgelegt.

In einem entscheidenden Punkt allerdings schlagen BEMU die HEMU: "Bei Wasserstoffzügen ist die Energieeffizienz eher mangelhaft", sagt Dörr. Bis zu dreimal mehr Strom als Batteriezüge benötigen sie demnach. Denn der benötigte Wasserstoff muss zunächst produziert werden – aus Strom. Die Umwandlungsprozesse schmälern die Effizienz. Und: "Umweltschonend und CO2-neutral fahren Wasserstoffzüge nur, wenn grüner Wasserstoff getankt wird." Doch der ist zurzeit nur sehr begrenzt verfügbar. Dörr hält deswegen Wasserstoffzüge nicht flächendeckend für die optimale Antriebstechnologie im Personennahverkehr, aber in bestimmten Szenarien für sinnvoll: "Wo der Betrieb von Batteriezügen nicht möglich ist, weil die befahrenen Strecken vergleichsweise lang sind oder in Gegenden, in denen es in Zukunft ohnehin eine Wasserstoff-Infrastruktur geben wird – zum Beispiel im Ruhrgebiet, wo viel chemische Industrie vorhanden ist."

Innovation braucht Offenheit

Was technisch machbar, wirtschaftlich sinnvoll und ökologisch effizient ist, muss für jedes Netz erhoben werden: "Es sollte immer eine individuelle Betrachtung des Betriebskonzepts, der Fahrpläne und weiterer Faktoren geben", so Dörr. In Baden-Württemberg etwa entschied man sich grundsätzlich gegen den Einsatz von Wasserstoffzügen. In einer Studie konnten HEMU – obwohl auf mehreren Strecken erprobt – nicht überzeugen, so das dortige Verkehrsministerium. Für keins der untersuchten Teilnetze gab es eine Empfehlung für deren Einsatz. Anders entschied der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV). Er plant wie der evb mit Wasserstoff. Im Taunus fuhren die ersten Wasserstoffzüge testweise im Sommer 2022 los. Geplant ist, den Fuhrpark bis zum Frühjahr 2023 zu komplettieren – zur dann "größten Wasserstoffzugflotte der Welt", so der RMV.

Haben die Verbünde aufs falsche Pferd gesetzt? "Langfristige Innovationsentscheidungen sind immer ein bisschen wie der Blick in die Glaskugel“, sagt Nora Dörr. Der LNVG hat vor mehr als zehn Jahren mit der Umrüstung begonnen: „Wir haben von der Industrie eine Alternative zum Diesel verlangt – die konnte zunächst niemand anbieten. Dann kam von Alstom die Idee, Wasserstoff und Brennstoffzellen zu verwenden“, so Bereichsleiter Nawrocki.

"Zu der Zeit war man allgemein noch sehr technologieoffen, nicht nur im Schienenverkehr", sagt VDE Expertin Dörr. "Vorrangig ist bei neuen Technologien deren Machbarkeitsnachweis." Diese Prüfung haben Wasserstoffzüge bestanden. Nur aufgrund der Erfahrungen und Daten, die in Pilotprojekten gesammelt würden, könne man heute die Technologien so differenziert betrachten. "Dass wir mit der Brennstoffzellentechnologie eine weitere verlässliche Alternative zu Kohle und Öl haben, verdanken wir der Offenheit von Herstellern und Betreibern."

Beatrice Hüper ist freie Autorin aus Hamburg und Redakteurin beim VDE dialog.

VDE Beratung Alternative Antriebe

Bahnschiene im Gegenlicht
Joachim / stock.adobe.com
11.01.2021

Der VDE bietet eine systemische Betrachtung für Verkehrsbetriebe und Kommunen an: von der Untersuchung der technologischen Möglichkeiten über die wirtschaftliche Betrachtung inklusive Nutzwertanalyse und Berechnung unter unterschiedlichsten Rahmenbedingungen bis hin zur Ökobilanzierung der verschiedenen Zugtypen. Wichtig dabei, so Projektleiterin Dörr: "Wir bringen unsere neutrale Expertenschaft unabhängig von Technologien oder Anbietern ein."

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