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01.01.2023 Publikation

Energiewende: Sparsam in die Zukunft

Die Klimaziele sind ohne einen Rückgang des Energiebedarfs nicht zu schaffen. Dazu müssen Wirtschaft, Industrie und Privathaushalte beitragen. Welche Technologien dabei helfen können, wo schon kräftig gespart wird – und wo es hapert.

von HANNS-J. NEUBERT

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Die gute Nachricht zuerst: Im ersten Halbjahr 2022 verbrauchte Deutschland 3,4 Prozent weniger Energie. Der Rückgang des Verbrauchs lässt sich einerseits auf den nicht besonders kalten Winter vor einem Jahr zurückführen, aber auch auf die Zurückhaltung der Verbraucher, weil die Energiepreise schon lange vor Beginn des Ukraine-Krieges deutlich angestiegen waren.

Eine schlechte Nachricht hingegen: Beim wichtigen Klimaschutzziel, den Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlenstoffdioxid (CO2) zu begrenzen, gab es einen Rückschritt. Als kein Gas mehr durch die Pipelines aus Russland strömte, liefen die Kohlekraftwerke wieder an, für die Wärme- und Stromerzeugung wurden 9,2 Prozent mehr Steinkohle und 10,6 Prozent mehr Braunkohle verbraucht.

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Wie sparsam Elektroautos unterm Strich wirklich sind, ist noch nicht ausgemacht. Fest steht, dass ihr Anteil am PKW-Bestand aktuell mit 1,3 Prozent niedriger ist als von vielen erhofft. 

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Politische Maßnahmen haben bisher nicht gegriffen

Zur Wärme- und Stromgewinnung emittieren die Kraftwerke heute in Deutschland um die 760 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid-Äquivalente pro Jahr. 2030 dürfen es nur noch 438 Millionen Tonnen sein, um den Weg zur geplanten Klimaneutralität bis 2045 erfolgreich zu beschreiten. Um den Ausstoß derart umfassend zu reduzieren, hat Deutschland jetzt nur noch sieben Jahre Zeit. Das Vorhaben stand einmal für einen Zeitraum von 25 Jahren auf der politischen Agenda. Mit jedem Jahr Verzögerung wird die Anstrengung größer, wobei das Angebot an grüner Energie nicht in dem Maße wächst, wie Wirtschaft und Bürger es gerne hätten, um die gängige Produktion und den gewohnten Lebensstandard aufrechtzuerhalten.

Die Vorgängerregierung hat bereits einige Energiesparprogramme und Klimaschutzmaßnahmen auf den Weg gebracht. Allein deren Wirkung war nicht wirklich durchschlagend, wie der Expertenrat für Klimafragen in seinem Zweijahresbericht Anfang November kritisierte. Hans-Martin Henning, der Vorsitzende des Expertenrates und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE fasst es so zusammen: „Pauschal gesprochen, sehen wir, dass viele politische Instrumente die erhofften Wirkungen letztlich nicht in vollem Umfang erreichen konnten.“

Alle Sektoren sind gefordert – aber nicht alle ziehen mit

Im Verkehrssektor beispielsweise sinkt der Energieverbrauch seit zehn Jahren gar nicht. Und im Gebäudesektor steht den effizienteren Heizungen und Dämmungen von Wohnhäusern der Trend zu größeren Wohnungen gegenüber, sodass die Treibhausgaseinsparungen hier seit 2015 nur um 14 Prozent zurückgingen. Schließlich verdarben auch noch Rebound-Effekte (siehe Kasten) die Rechnung, weil energieeffiziente Techniken, wie LEDs, durch Mehrverbrauch – mehr Beleuchtung – kompensiert wurden. Um den Ansprüchen und Möglichkeiten der unterschiedlichen Volkswirtschaftsbranchen auf dem Weg zur Klimaneutralität bis 2045 zu entsprechen, wurden die Energieverbraucher in Sektoren eingeteilt und für jeden Sektor eigene Einsparziele für die Emission von Treibhausgasen festgelegt.

Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft sollen dazu in unterschiedlichem Maße beitragen. Dabei ist die Energiewirtschaft besonders gefordert, weil sie im Jahr 2030 um die 77 Prozent weniger Treibhausgase emittieren darf als 1990. Bei der Industrie sind es 58, im Gebäudesektor 68, beim Verkehr 48, in der Landwirtschaft 32 und in der Abfallwirtschaft 89 Prozent. Während die einen, wie die Energiewirtschaft mit dem Umstieg auf erneuerbare Lösungen, auf einem vielversprechenden Weg sind, tut sich bei anderen nur wenig. Zum Beispiel im Gebäudesektor. Immobilienbesitzer hielten sich mit Wärmerenovierungen zurück. Bei Mietobjekten unter anderem deswegen, weil es schwierig ist, Investitionen so auf die Mieter umzulegen, dass sich Dämmung und Heizungsaustausch in kurzer Zeit amortisieren. Bei Eigentumswohnungen ziehen sich die Verhandlungen in den Inhabergemeinschaften oft über Jahre. Bei vielen Immobilien, die im Privatbesitz sind und als Altersvorsorge gedacht sind, haben die Besitzenden kein Interesse, in der „Erntephase“ noch größere Investitionen zu tätigen. Bei diesen und weiteren Hemmnissen greifen die Anreize für energetische Sanierungen nicht ausreichend. Inzwischen haben immer strengere gesetzliche Regelungen den Sanierungsdruck zwar erhöht – doch jetzt fehlt dafür das nötige Heer an Bauhandwerkern und anderen Fachkräften.

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Rebound und Backfire

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Durch die Steigerung der Effizienz können Produkte oder Dienstleistungen mit weniger Ressourcenverbrauch angeboten werden. Oft sind damit auch Kosteneinsparungen verbunden. Diese haben Rückwirkungen auf das Kaufverhalten und den Gebrauch der Produkte.

Zum Beispiel: Wenn Pkw durch Effizienzsteigerungen günstiger werden, dann fällt beim nächsten Kauf die Entscheidung eventuell zugunsten des größeren Modells aus. Ein sparsamer Pkw verursacht geringere Treibstoffkosten pro gefahrenem Kilometer. Das wirkt sich zumeist auf das Fahrverhalten aus: Wege werden häufiger mit dem Pkw zurückgelegt, längere Strecken gefahren und öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad dafür weniger genutzt. So kommt es, dass die technisch möglichen Effizienzgewinne in der Praxis oftmals nicht erreicht werden, weil das Produkt häufiger oder intensiver genutzt wird.

Neben der unmittelbaren Veränderung bei der Nutzung des betreffenden Produkts sind weitere umweltrelevante Änderungen des Nachfrageverhaltens möglich. In dem Beispiel bedeutet das, dass das beim Pkw eingesparte Geld zum Beispiel für Flugreisen ausgegeben werden könnte (indirekter Rebound). Die Ergebnisse der empirischen Schätzungen von Rebound-Effekten hängen von den verwendeten Methoden und den einbezogenen Effekten ab. Besonders schwierig ist es, Rebound-Effekte von Wachstums- oder Strukturwandeleffekten klar abzugrenzen. Die direkten Rebound-Effekte für Raumwärmenutzung können 10 bis 30 Prozent erreichen.

Bei Verkehr deuten die Studien darauf hin, dass Rebound-Effekte durch Energieeffizienz etwas geringer sind (bis ca. 20 Prozent). Werden indirekte Rebound-Effekte in die Betrachtung einbezogen, wird möglicherweise ein noch größerer Teil der Effizienzgewinne kompensiert. In Einzelfällen ist es denkbar, dass die Einspareffekte überkompensiert werden (sogenanntes Backfire). Dieser Fall ist aber die Ausnahme und ein solches Backfire ist mit Wachstums- und Strukturwandeleffekten verbunden, kann also nicht mehr als reiner Rebound-Effekt betrachtet werden.

Quelle: Umweltbundesamt

Von der Elektromobilität zu viel erwartet?

Auch im Verkehrssektor wäre viel mehr zu bewirken. Hier spielt wieder der Rebound-Effekt eine Rolle. Zunächst bei den Verbrennern. Denn die Motoren werden zwar immer sparsamer, die Autos dafür aber schwerer und stärker – der Trend zu immer größeren Verbrennerfahrzeugen bleibt. Die Hoffnung liegt jetzt auf Elektroautos. Allerdings kommt der Markt langsamer in Schwung als von vielen erhofft. Zwar wurde 2021 in Deutschland mit rund 356.000 eine Rekordzahl an Elektroautos neu zugelassen (2022 wird der Wert voraussichtlich noch übertroffen), doch der Anteil am Pkw-Bestand ist mit 1,3 Prozent 2022 gering. Auch wenn die Autos mit einem Strommix fahren, der über die nächsten Jahre hinweg einen immer höheren regenerativen Anteil bekommen wird, so ist noch nicht ausgemacht, ob das unter dem Strich so klimafreundlich wird wie erhofft. Die Batterieherstellung ist energieintensiv und erzeugt ihrerseits Emissionen. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie IPT werden zur Herstellung einer Kilowattstunde Batteriekapazität rund 42 Kilowattstunden Energie benötigt. Wenn diese Energie – wie aktuell in Deutschland zu einem guten Teil – aus Gas stammt, kommen Klimaemissionen von mehr als zehn Kilogramm CO2-Äquivalent pro Kilowattstunde Batteriekapazität zusammen. In Schweden mit seiner weitgehend elektrifizierten Batterieherstellung sind es weniger als die Hälfte.

Unternehmen beteiligen sich nur zögerlich

Enorme Einsparpotenziale hat das Umweltbundesamt vor allem bei den Brennstoffen für Wärme, bei Produktionsprozessen und Werkstattheizungen ausgemacht. Gewerbe, Handel, Dienstleistungen und Industrie verbrauchen dafür nämlich rund 54 Terawattstunden im Jahr, genug für mehr als zwölf Millionen Vier-Personen-Haushalte. Für den Betrieb von Pumpen, Beleuchtungen, Lüftungs- und Druckluftsystemen schlucken Industrie und Gewerbe rund zwei Fünftel des gesamten deutschen Stroms. Vielfach machen Klima- und Lüftungsanlagen für Büros, öffentliche Gebäude und Unternehmen bis zur Hälfte der Stromrechnung aus. Mit energieeffizienteren Geräten ließen sich hier nach Berechnungen der Behörde insgesamt 26 Terawattstunden Strom jährlich einsparen. Dieses enorme Sparpotenzial ist bisher weitgehend ungenutzt, weil viele Unternehmensmanager gar nicht genau wissen, wo wie viel Energie verloren geht. Dabei könnte ihnen beispielsweise das seit zehn Jahren erprobte Energiemanagementsystem ISO 50001 helfen, einen detaillierten Überblick zu bekommen.

Hinzu kommt die flächendeckende Digitalisierung. In Deutschland werden rund 3000 Großrechenzentren betrieben, die 16 Milliarden Kilowattstunden Strom verbrauchen, so viel wie ganz Berlin in einem Jahr. Wenn die Politik jedoch mit gesetzlichen Auflagen zu mehr Energiedisziplin kommt, regt sich Branchenkritik. So auch beim Entwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz, das den Energieverbrauch der Rechenzentren massiv senken will. Dabei zeigen schon heute einige Betreiber von Rechenzentren, dass sich mithilfe von natürlicher Kühlung, einem besseren Zusammenspiel von Kühlwasserkreisläufen, Kältemaschinen und Luftströmen nicht nur Energie, sondern auch Geld sparen lässt. Zudem lässt sich die Abwärme der Rechner verkaufen und in Nahwärmenetze einspeisen. Viele Unternehmen investieren allerdings lieber in ihr Kerngeschäft. Wenn sie überhaupt Energieeffizienzmaßnahmen in Erwägung ziehen, wünschen sie sich sehr kurze Amortisationszeiten von oft weniger als 1,5 Jahren. Oft fehlen ihnen Informationen, wie sie die zahlreichen Förderprogramme auf Länder-, Bundes- und EU-Ebene nutzen können – oder sie scheuen die Bürokratie.
 

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Wegen des wachsenden Bedarfs an Rechenleistung – diese ist heute zehnmal höher als 2010 – hat sich der Energieverbrauch deutscher Rechenzentren seit 2010 um 60 Prozent erhöht. Anbieter, die damit werben, Rechenzentren CO2-neutral zu betreiben, gibt es schon.

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Stromverbrauch an die Verfügbarkeit anpassen

Wenn in den nächsten Jahren zunehmend mehr schwankende Strommengen aus Wind- und Sonnenenergie in die Netze eingespeist werden, während fossile Kraftwerke wegfallen, müssen Wirtschaft, Industrie und Verbraucher nicht nur verantwortlich haushalten – Stromnachfrage und -angebot müssen auch besser aufeinander abgestimmt werden. Technologische Lösungen für Privathaushalte haben Anbieter wie zum Beispiel Easy Smart Grid. Das Unternehmen hat eine Technologie entwickelt, die aus dem Zustand des Netzes erkennt, ob viel oder wenig Strom da ist. Die Idee: „Durch dynamische Preise, die dem Stromangebot entsprechen, lässt sich das Verbrauchsverhalten steuern“, so Solution Manager Stefan Werner. Dazu brauche man keine komplizierten digitalen und internetbasierten Lösungen. Schon minimale Schwankungen in der Netzfrequenz um die 50 Hertz ließen sich als Preissignale darstellen. „Ist die Frequenz etwas höher als 50 Hertz, wird Strom günstiger, ist sie niedriger, wird er teurer“, so Werner. Das große Aber: Dazu braucht es flächendeckend dynamische Strompreise, die erst nach und nach eingeführt werden. Und ob das Verfahren unterm Strich zu einer Ersparnis führt, ist nicht klar. 

Technologien nutzen, Infrastruktur anpassen

Ein weiterer Ansatz von Easy Smart Grid: Ein kostengünstiger kleiner Chip in Verbrauchsgeräten sorgt dafür, dass diese selbstständig und sekundengenau auf Stromschwankungen reagieren. Auch Batterie-, Wärme- oder Druckspeicher lassen sich einbinden. Auf diese Weise können Erzeugung und Verbrauch von Ökostrom innerhalb eines begrenzten kommunalen oder regionalen Marktes austariert werden. In einem Pilotprojekt im baden-württembergischen Allensbach läuft das System bereits in einem Neubaugebiet mit zwölf Doppelhaushälften, zwei Mehrfamilienhäusern und einem Bestandsgebäude. Hier sind jetzt die Solardächer, ein Blockheizkraftwerk, zwölf Wärmepumpen, Ladestationen für Elektrofahrzeuge und ein Batteriespeicher intelligent mit den Haushaltsgeräten vernetzt. Der Eigenverbrauch aus Photovoltaikanlagen und Blockheizkraftwerk soll 50 bis 80 Prozent des Stromverbrauchs der Bewohner abdecken. Macht dieses Beispiel flächendeckend Schule, würde das Stromnetz damit erheblich entlastet.

Der Vorsitzende des Expertenrates für Klimafragen Henning mahnt: „Wenn wir die ambitionierten Ziele erreichen wollen, müssen wir den Verbrauchsbereich, den Nachfragebereich, in den Blick nehmen.“ Das heißt, den Konsum sowohl von Ressourcen als auch von Gütern zu reduzieren. Eine wachsende Wirtschaft, die die nicht nachwachsenden Ressourcen der Erde übernutzt, lässt sich nicht allein technisch in den Griff bekommen, und die Schuld an ungünstigem Konsumverhalten lässt sich nicht nur auf die Bürger abwälzen. „Zu den Konsumentscheidungen tragen viele Faktoren jenseits der individuellen Vorlieben bei. Infrastrukturen beeinflussen, wie viel Wohnfläche beansprucht wird oder welche Verkehrsmittel genutzt werden“, so das Wuppertal Institut, ein Thinktank für anwendungsorientierte Nachhaltigkeitsforschung. 

Das Vorhaben bleibt komplex. Der Wille ist vielerorts da. Viele technologischen Instrumente, um Energie zu sparen und so entscheidend zum Gelingen der Energiewende beizutragen, gibt es schon. Es wird Zeit, sie zu nutzen.


HANNS-J. NEUBERT ist freier Wissenschafts- und Technikjournalist in Hamburg.
 

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