81,9 Prozent der Firmen klagten Ende 2021 über Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen. Überdurchschnittlich oft sind unter anderem Hersteller elektrischer Geräte und Betriebe der Automobilindustrie betroffen.
| ifo InstitutWie anfällig das globale Wirtschaftssystem für Störungen ist, spüren viele Menschen seit Monaten. Ob größere Möbel, Playstation 5 oder das neue Auto, bei vielen Dingen gibt es Lieferschwierigkeiten und teils monatelange Wartezeiten. Für viele Unternehmen besonders drastisch ist der weltweite Chipmangel. In vielen Branchen sanken die Umsätze 2021. Und eine Besserung ist nicht in Sicht. Auch das laufende werde ein „Stop-and-Go-Jahr“ lautet die Prognose des Industrieverbandes BDI. „Trotz voller Auftragsbücher werden fehlende Mikrochips, Bauteile und Rohstoffe die Produktion noch längere Zeit beeinträchtigen“, sagt BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Diese Engpässe verringern die industrielle Wertschöpfung Deutschlands in den Jahren 2021 und 2022 um jeweils mehr als 50 Milliarden Euro. Die wirtschaftlichen Einbußen haben auch mittel- und langfristige Folgen auf verschiedenen Ebenen. Wirtschaft, Wissenschaft und Politik analysieren die Fragilität der Lieferketten und ziehen daraus Konsequenzen. Unternehmen diskutieren Maßnahmen wie Nearshoring, Multi-Sourcing und Redundanzkapazitäten. Die politische Debatte um technologische Souveränität gewinnt weiter an Fahrt. Und Wissenschaftler entwickeln Plattformen für resiliente Versorgungsnetze und andere Methoden, um Lieferketten widerstandsfähiger zu machen.
Prozesse hinterfragen und Krisenszenarien durchspielen
Doch bis diese Aktivitäten Entlastung bringen, müssen Unternehmen zu anderen Maßnahmen greifen, um die Versorgung für ihre Produktionsabläufe zu sichern. Bei Einkauf und Beschaffung bietet auch der VDE grundsätzlich Unterstützung: Über die VDE Global Services gibt es verschiedene Dienstleistungen im Supply Chain Management, das Spektrum reicht von der Überprüfung möglicher Lieferanten in Asien bis hin zur Warenausgangskontrolle. Auf Unternehmen und Projektleiter im Bereich Erneuerbare Energien konzentriert sich hierbei die VDE Renewables. „Unser Ansatz ist ein detailliert ausgearbeitetes, maßgeschneidertes Servicekonzept und richtet sich an alle Stakeholder der Energiewirtschaft“, sagt Burkhard Holder, Geschäftsführer der VDE Renewables. Die Experten der VDE Supply Chain Services sollen in normalen Zeiten sicherstellen, dass bestellte Güter in der benötigten Qualität zur vereinbarten Zeit geliefert werden können. Doch regionale Lockdowns und Einschränkungen der Reisemöglichkeiten erschweren auch die entsprechenden Audits. „Unsere Inspektoren können und konnten nicht ohne Weiteres Fabriken besuchen“, sagt Michael Wenzel, Key Account Manager für Supply Chain Services beim VDE Prüf- und Zertifizierungsinstitut. Daher wurde auch hier auf digitale Kommunikationswege umgestellt und es werden beispielsweise virtuelle Inspektionen durchgeführt. „Vorverschiffungskontrollen mussten teils auch in einen hybriden Prozess überführt werden“, sagt Wenzel. So werden nun Siegel in die Fabriken geschickt, von dort werden versiegelte Muster in das Labor vor Ort gesandt, wo dann die Kontrolle stattfindet.
Der Spagat zwischen Effizienz und Resilienz
Viele Unternehmen prüfen jetzt genau ihre Prozesse und Lieferketten. Dazu gehören die Ermittlung von Lagerreichweiten, die Optimierung des Bestandsmanagements und die Frage, was kritische Komponenten sind und wo sie produziert werden. „Es macht Sinn, für strategisch wichtige Komponenten wieder verstärkt ins Dual Sourcing zu gehen, also Alternativlieferanten aufzubauen“, rät Sylvia Trage, Direktorin im Bereich Consulting bei KPMG. Laut einer McKinsey-Studie will jedes vierte mittelständische Unternehmen seine Lieferkette regionalisieren. Auch die Rückkehr von Teilen der Produktion (Reshoring) oder das Nearshoring, also die Verlagerung von Produktion an günstigere, aber näher gelegene Standorte, sind Thema.
Dabei stehen die Firmen jedoch in einem Konflikt zwischen Effizienz und Resilienz. Lange war das Paradigma, nicht benötigte Strukturen aus Kostengründen abzubauen. Um das Verhältnis nun neu zu justieren, helfen Werkzeuge wie das Resilience Engineering. „Man kann auf einer Leistungs-Zeit-Kurve den Leistungsabfall eines Unternehmens in einer Krise unter verschiedenen Bedingungen oder Maßnahmen berechnen“, erklärt Alexander Stolz, Leiter der Abteilung Sicherheitstechnologie am Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik. Im Vergleich der Ergebnisse zeige sich dann, welche Option die resilientere ist. Dazu gehört auch, Krisenszenarien durchzuspielen. Dabei ist es gar nicht so wichtig, wie genau man problematische Situationen prognostiziert. Stattdessen sollten Unternehmen abstrahieren und etwa Pläne für den Fall entwickeln, dass die Hälfte der Belegschaft nicht vor Ort arbeiten kann – ob wegen einer Pandemie, einer Naturkatastrophe oder eines Systemausfalls ist letztlich egal. Auch an neuen technischen Lösungen wird gearbeitet. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert im Rahmen des Innovationswettbewerbs Künstliche Intelligenz seit vergangenem Sommer gleich vier Projekte zur Prävention und Bewältigung von Krisen mit insgesamt rund 44 Millionen Euro.