Auf den ersten Blick sieht das BMW Omniverse wie eine moderne Fabrik aus: Eine Produktionsstraße führt Autos vom Karosseriewerk bis zur Endmontage, Menschen und Maschinen arbeiten gemeinsam an den verschiedenen Stationen. Das Besondere: Das Ganze findet gar nicht in der Realität statt, sondern in einer virtuellen 3D-Simulation. Der Autobauer testet hier gemeinsam mit dem Prozessorspezialisten NVIDIA neue Maschinen, Produktionslinien, Bewegungsabläufe oder ganze Fabriken zuerst digital. Das funktioniert wie im echten Leben: Ingenieure arbeiten gemeinsam in Echtzeit miteinander, testen die Maschinen und optimieren die Produktionsplanung. Danach entscheiden die Experten, was sie in die Realität übertragen – und was nicht.
Die digitale Fabrikhalle bei BMW ist eine Vorstufe des Metaversums. Manager, Investoren und Digitalvordenker sehen darin die nächste Stufe des Internets – mit großen kommerziellen Möglichkeiten, die auch immer wieder auf Kritik stoßen. Das Metaversum gilt als digitale Erweiterung unserer realen Welt, quasi eine neue Metaebene für unser Universum.
Wie bei den meisten großen Innovationen werden diese von privaten Unternehmen getrieben, die neue Geschäftschancen wittern. Kein Wunder also, dass Facebook seinen Mutterkonzern inzwischen Meta nennt und eine eigene Abteilung hat, die ausschließlich an diesem Thema arbeitet. Sven Gábor Jánszky, Vorsitzender des Zukunftsinstituts 2b Ahead, ist sogar überzeugt: „In zehn bis fünfzehn Jahren werden Metaversen Alltag sein.“ Das gilt nicht nur für Tech-Konzerne wie Facebook, weshalb der Zukunftsforscher rät, dass Unternehmen schon jetzt eine Metaversum-Strategie entwickeln sollten, wenn sie den Anschluss nicht verlieren wollen.
Digital und real verschmelzen
Jánszky geht davon aus, dass digitale Simulationen wie die Werkshalle bei BMW schon bald zum Alltag gehören werden. Bereits jetzt hat er eine klare Vorstellung, wie diese digitale Zukunftswelt aussehen könnte. In seiner Zukunftsanalyse zum Metaversum beschreibt er sie als „millimetergenau an der Realität ausgerichtete Abbildung der Welt“. Tech-Konzerne bauen also ein digitales Abbild der Welt, das nicht nur absolut realitätsgetreu ist, sondern auch noch maschinenlesbar. Das bedeutet: Endgeräte wie Virtual-Reality-Brillen könnten sowohl reale Dinge als auch digitale Objekte in die Realität projizieren. Letzteres gibt es schon heute, wie beispielsweise die chinesische KI-Sängerin Luo Tianyi zeigt. Die Künstlerin ist per Software generiert und sieht aus wie ein Charakter aus einer Manga-Serie. Im Jahr 2019 gab sie gemeinsam mit dem Star-Pianisten Lang Lang ein Konzert in Shanghai. Während Lang Lang auf der Bühne an seinem Flügel saß, wurde die virtuelle Figur Luo Tianyi auf die Bühne projiziert – und begeisterte damit 10.000 Zuschauer.
Virtuelles sinnlich erlebbar machen, nennt das Jánszky, will heißen: Neue Produktionsprozesse werden nicht nur simuliert, sondern der virtuelle Blumenstrauß riecht mindestens ebenso gut wie sein echter Zwilling. Voraussetzung dafür ist eine gute Infrastruktur mit schnellen Datenverbindungen, die Hologramme nahezu in Echtzeit übertragen. Dafür, so Jánszky, muss statt 5G die sechste Generation des Internets kommen sowie der umfassende Einsatz der Blockchain-Technologie. Sie ermöglicht die fälschungssichere Speicherung und Übertragung von Daten und macht so den digitalen Handel im großen Stil überhaupt erst möglich
Nicht nur Produktionsprozesse, auch der Verkauf dürfte sich mit dem Metaversum entscheidend ändern. „Die größte Kundengruppe werden nicht mehr wir Menschen sein, sondern Bots, die unser Geld ausgeben“, sagt Jánszky. Er schätzt, dass jeder Mensch 30 bis 50 Bots haben könnte, die auf die Gesundheit ihres Besitzers achten, Essen, Kleidung und Bücher bestellen. Unternehmen könnten künftig also ihre Verkaufsstrategien auf die virtuellen Gehilfen ausrichten.
Digitale Metawelt lockt die Konsumenten
Die neue Welt bietet zweifelsfrei zahlreiche Geschäftschancen. Wenn es nach Meta-Chef Mark Zuckerberg geht, sind es aber nicht die Umsätze, die die Innovation antreiben. Er betonte in einem Gründerbrief Ende Oktober vergangenen Jahres: „Wir bauen keine Dienstleistungen, um Geld zu verdienen. Wir verdienen Geld, um bessere Dienstleistungen aufzubauen.“ Wie bei Facebook und Google könnte die digitale Metawelt für Konsumenten vordergründig kostenlos sein. Doch Metaversum-Anbieter werden an jedem verkauften digitalen Blumenstrauß und jedem Onlinekonzert mitverdienen.
Damit geht auch viel Macht einher, was auch der Google-Chef Eric Schmidt kritisiert. Gegenüber der New York Times äußerte er Bedenken darüber, wer die Regeln in den neuen Metaversen festlegen darf. Außerdem befürchtet er, dass das Metaversum die Welt ins Digitale verlagern wird. Im Metaversum ist alles schöner und besser als in der Realität – Menschen werden sich in ein paar Jahren dafür entscheiden, mehr Zeit online zu verbringen – so prognostiziert er. Dass das nicht unbedingt das Beste für die menschliche Gesellschaft ist, davon ist der Google-Chef überzeugt.
Den Download der Metaversum-Analyse des Zukunftsinstituts 2b Ahead finden Sie unter "Downloads und Links".
»In zehn bis fünfzehn Jahren werden Metaversen Alltag sein.«
Sven Gábor Jánszky, Vorsitzender des Zukunftsinstituts 2b Ahead
SELMA SCHMITT
ist Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion wortwert mit den Themenschwerpunkten Wirtschaft und Finanzen.