Wenn Dr. Jochen Jung, leitender Arzt für Orthopädische Chirurgie an der ATOS Klinik Heidelberg, eine Knie- oder Hüftgelenksendoprothese einsetzt, dann tut er das nicht allein. Er wird unterstützt von einem robotischen Manipulatorsystem: „Was die robotische Endoprothetik angeht, bin ich Überzeugungstäter. Ich habe seit 2017 über 500 Prothesen mit robotischer Unterstützung eingesetzt. Die Ergebnisse sind einfach besser.“
Rückblende: Der erste Roboter der Medizingeschichte war Mademoiselle Claire, eine Krankenschwester aus Zahnrädern, Riemen und Schnüren, die im OP-Saal Instrumente übergab – im Jahr 1912. Gute 80 Jahre später erfolgten in Deutschland die ersten Hüftoperationen mit dem ROBODOC-System. Es stürzte Medizinrobotik und Medizintechnik in eine tiefe Krise, als sich Anfang der Nullerjahre herausstellte, dass es zu deutlich mehr Komplikationen kam. Doch dieses Tal der Tränen scheint überwunden. Zumindest steigen die Installationszahlen von OP-Robotern deutlich. Die International Federation of Robotics geht davon aus, dass aus 6053 installierten OP-Robotern weltweit im Jahr 2017 geschätzte über 16.000 im Jahr 2025 werden. Parallel dazu nimmt die Zahl der Operationen zu: „Im Jahr 2017 gab es weltweit mehr als eine Million roboterunterstützte Eingriffe“, sagte Dr. Jörg Traub, Leiter Gesundheit bei Bayern Innovativ, beim Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit. Im Jahr 2025, so Traub, dürften es über vier Millionen sein. Ein Treiber des globalen medizinischen Roboter-Booms ist der da Vinci-Roboter von Intuitive Surgical. Vor allem China prescht voran: Allein 2019 wurden dort Herstellerangaben zufolge 59 neue da Vinci-Systeme installiert. In den Jahren zuvor waren es jeweils unter zehn.
Robotische Endoprothetik gewinnt wieder an Boden
Hintergrund ist ein Roboter-Förderprogramm der chinesischen Regierung aus dem Jahr 2018. Dennoch: Die Zeiten, in denen die Statistiken von den vor allem in Urologie und Gynäkologie angesiedelten da Vincis dominiert wurden, gehen dem Ende zu. Kamen 2017 Zahlen von BIS Research zufolge noch zwei von drei global verkauften OP-Robotern von Intuitive Surgical, so sank dieser Anteil zuletzt. Experten schätzen, dass in Europa über 40 „robotisch assistierte OP-Systeme“ oder „RASS“ erhältlich sind.
In Heidelberg nutzt Orthopäde Jung das Mako-System. Es wird seit einer Übernahme im Jahr 2013 von dem US-Konzern Stryker vertrieben. Mako surft nicht mehr im Windschatten des da Vinci: Im Herbst 2020 gab der Hersteller die eintausendste Installation bekannt. Weltweit seien bisher über 300.000 Eingriffe durchgeführt worden, so Jung. Der wichtigste Markt sind die USA. In Europa sind England und Italien führend. In Deutschland operieren derzeit 18 Systeme. Zum Vergleich: Es gibt circa 140 da Vinci-Roboter in Deutschland. Vom da Vinci unterscheidet sich Mako dadurch, dass es ein komplexeres System ist. Vor dem Eingriff wird das Knie- oder Hüftimplantat anhand einer präoperativen Computertomographie exakt geplant, und ein 3-D-Modell wird erstellt, das während des Eingriffs mit der realen Anatomie des Patienten überlagert wird. Dabei hilft ein Infrarot-Registrierungssystem, das 40 Knochenpunkte kontinuierlich abtastet. So „weiß“ das robotische System immer genau, wo es sich gerade befindet. Die Prothese wird dann – immer noch am Computer – an die individuelle Spannung des Kapsel-Band-Apparats angepasst. Erst danach fährt der steril abgedeckte Roboter an den OP-Tisch und führt per Knopfdruck minimalinvasiv die nötigen Sägeschnitte durch – ausgestattet mit Sensoren, die das System im Sinne einer haptischen Kontrolle sofort anhalten, wenn etwas nicht stimmt.
„Der Unterschied zu den Robotiksystemen der frühen Nullerjahre ist, dass ich die ganze Zeit über die Kontrolle habe. Es ist wie eine Art Spurhalteassistent, der mir beim Operieren die Hand führt“, so Jung. Die Vorteile liegen für den Orthopäden auf der Hand: Die Implantate lassen sich viel präziser an den individuellen Bandapparat anpassen. „Die Patienten merken diesen Qualitätsunterschied. Bei einer normalen Knietotalendoprothese sind circa 20 Prozent der Patienten nachher unzufrieden. Mit dem Roboter können wir einen erheblichen Teil davon abfangen. Der Patient hat nach dem Eingriff ein natürlicheres Gefühl. Dass jemand am zweiten Tag das Knie 90 Grad beugen kann, sehe ich bei Eingriffen ohne Roboter nicht.“
Robotische Stents fürs Herz: Mehr Präzision, weniger Strahlung
Größere Präzision ist auch ein Kernargument beim Corindus von Siemens Healthineers. Es handelt sich um ein minimalinvasives, robotisches System für perkutane Eingriffe an den Herzkranzgefäßen. Der Kardiologe sitzt an einer Steuerkonsole außerhalb des Interventionsraums und lenkt den Katheter an die Stelle, an der der Stent (ein Gittergerüst aus Metall, das in die Herzgefäße implantiert wird)eingesetzt werden soll. Der Vorteil: Mit dem robotischen System lässt sich die Stelle exakt ausmessen und der Stent praktisch millimetergenau platzieren.
Prof. Dr. Holger Nef von der Kardiologie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg sieht eine Reihe von Vorteilen. Vor allem: Die Gefäßeingriffe werden weniger abhängig vom einzelnen Arzt beziehungsweise Zentrum. Mit robotischen Systemen lasse sich das Qualitätsniveau kleinerer, weniger erfahrener Zentren dem der größeren Zentren annähern, so Nef beim Hauptstadtkongress. Auch die Untersucher profitieren: Zum einen ist die Cockpit-Steuerung weniger belastend für die Wirbelsäule. Zum anderen kann sie hinter strahlenfestem Glas erfolgen, was die Strahlenexposition des Kardiologen reduziert. Ganz unwichtig ist das nicht: Strahlenschäden beim Personal, vor allem an der empfindlichen Augenlinse, sind in den interventionellen Fächern häufiger, als viele denken.