Mittig und link der da-Vinci-OP-Roboter-Greifarm zu sehen, von einem menschlichen Operateur bedient wird und ein Patient.
© 2021 Intuitive Surgical, Inc.
15.09.2021 Publikation

Die Rückkehr der OP-Roboter

So schick wie C-3PO sind sie nicht, und das werden sie auch nie: Dennoch sind OP-Roboter für viele Ärzte hoch attraktiv. Der Vergleich mit dem goldenen Star-Wars-Droiden hinkt aber nicht nur aus optischen Gründen: Statt eigenwilliger Selbstdenker sind intelligente Assistenten gefragt – die allerdings komplexer und autonomer werden.

von Philipp Grätzel von Grätz

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Blau gekleidete Operateure führen Greifarme, im Hintergrund uauf einem Monitor das Operationsfeld des Patienten zu sehen

Das da Vinci-Operationssystem ist ein roboterassistiertes Chirurgiesystem, bei dem ein Arzt den Eingriff über die Instrumente von einer Konsole aus lenkt. Über eine ­Kamera sieht der Operateur ein bis zu 10-fach vergrößertes 3-D-Bild in HD, das auch feinste Strukturen von Nerven und Gefäßen scharf abbildet.

| © 2021 Intuitive Surgical, Inc.

Wenn Dr. Jochen Jung, leitender Arzt für Orthopädische Chirurgie an der ATOS Klinik Heidelberg, eine Knie- oder Hüftgelenksendoprothese einsetzt, dann tut er das nicht allein. Er wird unterstützt von einem robotischen Manipulatorsystem: „Was die robotische Endoprothetik angeht, bin ich Überzeugungstäter. Ich habe seit 2017 über 500 Prothesen mit robotischer Unterstützung eingesetzt. Die Ergebnisse sind einfach besser.“

Rückblende: Der erste Roboter der Medizingeschichte war Mademoiselle Claire, eine Krankenschwester aus Zahnrädern, Riemen und Schnüren, die im OP-Saal Instrumente übergab – im Jahr 1912. Gute 80 Jahre später erfolgten in Deutschland die ersten Hüftoperationen mit dem ROBODOC-System. Es stürzte Medizinrobotik und Medizintechnik in eine tiefe Krise, als sich Anfang der Nullerjahre herausstellte, dass es zu deutlich mehr Komplikationen kam. Doch dieses Tal der Tränen scheint überwunden. Zumindest steigen die Installationszahlen von OP-Robotern deutlich. Die International Federation of Robotics geht davon aus, dass aus 6053 installierten OP-Robotern weltweit im Jahr 2017 geschätzte über 16.000 im Jahr 2025 werden. Parallel dazu nimmt die Zahl der Operationen zu: „Im Jahr 2017 gab es weltweit mehr als eine Million roboterunterstützte Eingriffe“, sagte Dr. Jörg Traub, Leiter Gesundheit bei Bayern Innovativ, beim Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit. Im Jahr 2025, so Traub, dürften es über vier Millionen sein. Ein Treiber des globalen medizinischen Roboter-Booms ist der da Vinci-Roboter von Intuitive Surgical. Vor allem China prescht voran: Allein 2019 wurden dort Herstellerangaben zufolge 59 neue da Vinci-Systeme installiert. In den Jahren zuvor waren es jeweils unter zehn.

Robotische Endoprothetik gewinnt wieder an Boden

Hintergrund ist ein Roboter-Förderprogramm der chinesischen Regierung aus dem Jahr 2018. Dennoch: Die Zeiten, in denen die Statistiken von den vor allem in Urologie und Gynäkologie angesiedelten da Vincis dominiert wurden, gehen dem Ende zu. Kamen 2017 Zahlen von BIS Research zufolge noch zwei von drei global verkauften OP-Robotern von Intuitive Surgical, so sank dieser Anteil zuletzt. Experten schätzen, dass in Europa über 40 „robotisch assistierte OP-Systeme“ oder „RASS“ erhältlich sind.

In Heidelberg nutzt Orthopäde Jung das Mako-System. Es wird seit einer Übernahme im Jahr 2013 von dem US-Konzern Stryker vertrieben. Mako surft nicht mehr im Windschatten des da Vinci: Im Herbst 2020 gab der Hersteller die eintausendste Installation bekannt. Weltweit seien bisher über 300.000 Eingriffe durchgeführt worden, so Jung. Der wichtigste Markt sind die USA. In Europa sind England und Italien führend. In Deutschland operieren derzeit 18 Systeme. Zum Vergleich: Es gibt circa 140 da Vinci-Roboter in Deutschland. Vom da Vinci unterscheidet sich Mako dadurch, dass es ein komplexeres System ist. Vor dem Eingriff wird das Knie- oder Hüftimplantat anhand einer präoperativen Computertomographie exakt geplant, und ein 3-D-Modell wird erstellt, das während des Eingriffs mit der realen Anatomie des Patienten überlagert wird. Dabei hilft ein Infrarot-Registrierungssystem, das 40 Knochenpunkte kontinuierlich abtastet. So „weiß“ das robotische System immer genau, wo es sich gerade befindet. Die Prothese wird dann – immer noch am Computer – an die individuelle Spannung des Kapsel-Band-Apparats angepasst. Erst danach fährt der steril abgedeckte Roboter an den OP-Tisch und führt per Knopfdruck minimalinvasiv die nötigen Sägeschnitte durch – ausgestattet mit Sensoren, die das System im Sinne einer haptischen Kontrolle sofort anhalten, wenn etwas nicht stimmt.

„Der Unterschied zu den Robotiksystemen der frühen Nullerjahre ist, dass ich die ganze Zeit über die Kontrolle habe. Es ist wie eine Art Spurhalteassistent, der mir beim Operieren die Hand führt“, so Jung. Die Vorteile liegen für den Orthopäden auf der Hand: Die Implantate lassen sich viel präziser an den individuellen Bandapparat anpassen. „Die Patienten merken diesen Qualitätsunterschied. Bei einer normalen Knietotalendoprothese sind circa 20 Prozent der Patienten nachher unzufrieden. Mit dem Roboter können wir einen erheblichen Teil davon abfangen. Der Patient hat nach dem Eingriff ein natürlicheres Gefühl. Dass jemand am zweiten Tag das Knie 90 Grad beugen kann, sehe ich bei Eingriffen ohne Roboter nicht.“

Robotische Stents fürs Herz: Mehr Präzision, weniger Strahlung

Größere Präzision ist auch ein Kernargument beim Corindus von Siemens Healthineers. Es handelt sich um ein minimalinvasives, robotisches System für perkutane Eingriffe an den Herzkranzgefäßen. Der Kardiologe sitzt an einer Steuerkonsole außerhalb des Interventionsraums und lenkt den Katheter an die Stelle, an der der Stent (ein Gittergerüst aus Metall, das in die Herzgefäße implantiert wird)eingesetzt werden soll. Der Vorteil: Mit dem robotischen System lässt sich die Stelle exakt ausmessen und der Stent praktisch millimetergenau platzieren.

Prof. Dr. Holger Nef von der Kardiologie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg sieht eine Reihe von Vorteilen. Vor allem: Die Gefäßeingriffe werden weniger abhängig vom einzelnen Arzt beziehungsweise Zentrum. Mit robotischen Systemen lasse sich das Qualitätsniveau kleinerer, weniger erfahrener Zentren dem der größeren Zentren annähern, so Nef beim Hauptstadtkongress. Auch die Untersucher profitieren: Zum einen ist die Cockpit-Steuerung weniger belastend für die Wirbelsäule. Zum anderen kann sie hinter strahlenfestem Glas erfolgen, was die Strahlenexposition des Kardiologen reduziert. Ganz unwichtig ist das nicht: Strahlenschäden beim Personal, vor allem an der empfindlichen Augenlinse, sind in den interventionellen Fächern häufiger, als viele denken.

Robotische Neurochirurgie: Elon Musk lässt grüßen

Links zwei Bilder eines Gehirns mit Tumor, rechts Foto des gleichen Gehirns in der OP-Situation

Tumorchirurgie, virtuell und real: Die dreidimensionale Aufbereitung der MRT-Daten zeigt einen Tumor (rot eingefärbt) sowie (grün eingefärbt) motorische Areale (l). Aus den MRT-­Daten wird ein virtuelles Operationsfeld erzeugt, das schon vor der OP den Tumor und das funktionelle Areal abbildet (Mitte) – in der Realität sind diese nicht identifizierbar (r.). Erst durch das Übereinanderlegen beider Bilder weiß der Operateur, wie er den Tumor entfernen kann, ohne funktionelle Areale zu beschädigen.

| Stefan Rosahl

Ein Spezialfall in Sachen OP-Robotik ist die Neurochirurgie – ein technikaffines Fach, für das Navigationssysteme und robotisch anmutende, stereotaktische Haltesysteme seit Jahren Standard sind. Tatsächlich sehen viele neurochirurgische Systeme zwar aus wie Roboter, sind aber keine. „Ein System, das die Freiheitsgrade und die Flexibilität eines da Vinci hat, wäre sehr willkommen“, sagt Prof. Dr. Steffen Rosahl, Leiter AG Neurochirurgie bei den Helios Kliniken Deutschland und stellvertretender Vorsitzender des Fachausschusses Neuroprothetik und Intelligente Implantate der DGBMT. Beispielhaft nennt Rosahl die Tumorchirurgie, etwa bei Gliom-Patienten, wo Tumorgewebe vorsichtig entfernt werden muss, ohne wichtige Nervenstränge in der Nachbarschaft zu beschädigen. Hier gibt es noch keine robotische Unterstützung, weil unter anderem die Zeitverzögerung bei der Signalübertragung problematisch sei, betont der Neurochirurg. 

Der Trend geht aber eindeutig in Richtung stärkere Automatisierung – immer unter Kontrolle des Neurochirurgen. Rosahl arbeitet in seiner Arbeitsgruppe an virtuellen und funktionellen OP-Feldern. Die Stichworte sind Monitoring und Sensorik, beides essenziell wichtig für künftige neurochirurgische Roboter. Die Erfurter stimulieren Nerven während der Operation mit Elektroden und erkennen daran, wann sie den empfindlichen Strukturen zu nah kommen. Dass sich so etwas mithilfe von Maschinenlernalgorithmen zu teilautomatisierten Warnsystemen weiterentwickeln ließe, liegt auf der Hand. „Ein weiterer Schritt in Richtung Robotik sind digitale OP-Mikroskope, die auf Roboterarme montiert sind, wie das Aeos, welches wir gemeinsam mit Aesculap entwickelt haben, oder, noch futuristischer, das RoboticScope des österreichischen Unternehmens BHS, das der Chirurg durch Kopfbewegungen steuert“, berichtet Rosahl. An solchen und ähnlichen Systemen arbeiten derzeit mehrere Hersteller.

„Echte“ neurochirurgische Roboter, die zumindest teilweise autonom agieren, gibt es im Bereich der stereotaktischen Eingriffe. Am bekanntesten ist ROSA, ein Roboter, der Trajektorien für Instrumente berechnet und Bohrungen vornimmt. „Dieser Roboter hat aber nicht sehr viele Freiheitsgrade“, so Rosahl. Viel mehr Aufregung gibt es derzeit um Neuralink, die Firma des exzentrischen Tesla-Gründers Elon Musk. Es handelt sich um einen sehr großen, extrem flexiblen, stereotaktischen Roboter, der einhundert und mehr Elektroden mit einem Durchmesser von knapp 30 µm an genau definierte Stellen des Gehirns einsetzen kann – bisher allerdings nur am Versuchstier.

„Neuralink ist quasi ROSA hoch zehn“, so Rosahl. „Ich hätte nie gedacht, dass das ohne Blutungen aus kleinsten Gefäßen funktionieren kann.“ Neuralink nutzt eine Live-Kamera, die hochaufgelöst anzeigt, wo die Blutgefäße laufen, die das System dank Robotersteuerung dann mikrometergenau umfährt. „In dieser Genauigkeit könnten wir das als menschliche Operateure niemals machen“, so Rosahl. Während Elon Musk überlegt, über die Elektroden Musik direkt ins Gehirn zu streamen, denkt Rosahl eher an einen medizinischen Einsatz. Beispielhaft nennt er die Behandlung von Parkinson-Patienten.

Chirurgische Robotersysteme sind hochpräzise – und sehr teuer

Ob sie da Vinci, Corindus, Mako oder anders heißen: Robotische Manipulatorsysteme sind teuer – nicht nur in der Anschaffung, auch im Unterhalt. Beim Mako verursachen Verbrauchsmaterialien zusätzliche Kosten, ebenso wie der menschliche Assistent, der bei jedem Eingriff anwesend sein muss und das System mitbedient. Oft sind das ehemalige OP-Pflegekräfte, die vom Hersteller bezahlt werden, was sich für die Krankenhäuser letztlich in den Servicekosten abbildet.

Im deutschen Gesundheitswesen ist so etwas im Kontext der gesetzlichen Krankenversicherung nur schwer refinanzierbar – auch deswegen ist die Zahl der Roboter eher gering. Für Einrichtungen, die Roboter einsetzen, funktioniert das Geschäftsmodell zum einen mit Privatversicherten, zum anderen deswegen, weil sich die robotischen Eingriffe herumsprechen und die Patienten „modern aufgestellte“ Kliniken aktiv aufsuchen. „Das kann zu Fallzahlsteigerungen um fast 30 Prozent führen, damit rechnet sich das auch bei gesetzlich versicherten Patienten, selbst wenn der Gewinn pro Operation niedriger ausfällt“, so Jung. Klar ist, dass auf Dauer etwas mehr nötig sein wird als Patientenzufriedenheit und „gefühlte“ Überlegenheit, wenn sich die Finanzierungsgrundlage für die robotischen OP-Systeme verbessern soll. Jung ist da gar nicht so pessimistisch. So gebe es unter anderem aus Australien und aus Florida im Zusammenhang mit der Mako-Implantation von Schlittenprothesen, also halbseitigen Knieprothesen, mittlerweile vielversprechende Daten. Sie deuten darauf hin, dass die Zahl der Revisionsoperationen sinkt. Bestätigt sich das, wäre es ein sehr harter Endpunkt, an dem kaum ein Kostenträger vorbeikäme.

Ob es für alle robotischen Systeme gelingt, Vorteile bei „harten“ Endpunkten zu zeigen, ist allerdings fraglich. Unter anderem in der Kardiologie scheinen Endpunkte wie schwere kardiovaskuläre Komplikationen kaum erreichbar. Nef plädiert deswegen dafür, auch andere Parameter als Nutzendimensionen zu akzeptieren, etwa die messbar höhere Präzision bei Gefäßimplantaten oder auch eine niedrigere Strahlenbelastung beim Personal.

Viele Einsatzmöglichkeiten und technische Weiterentwicklungen sind denkbar

Dass bei praktisch keinem robotischen System die Erstattung zufriedenstellend geregelt ist, illustriert, dass sich die OP-Robotik auch zwanzig Jahre nach ROBODOC noch in einem frühen Stadium befindet. Technisch steht bei vielen Systemen eine Erweiterung der Sensorik auf dem Entwicklungsprogramm und, Vorbild da Vinci, eine Ausweitung der Indikationen. Der Heidelberger Chirurg Jung hält insbesondere die Schulterprothesen für ein interessantes neues Feld für die robotischen Plattformen, außerdem die Wirbelverschraubungen, bei denen hohe Präzision gefragt ist. Mithilfe von Algorithmen der Künstlichen Intelligenz kann Sensorik für Steuerungszwecke genutzt werden und damit jene Automatisierung befördern, die die reine Navigationshilfen von der Robotik unterscheidet. Einfach ist das allerdings nicht mit der Künstlichen Intelligenz, darauf weist Prof. Dr. Jan Stallkamp von der Universität Heidelberg hin (siehe Interview). Auch die immer wieder eingeforderte stärkere Einbindung von intraoperativer Diagnostik ist komplex. Sie erfordert die Vernetzung von Systemen unterschiedlicher Hersteller und einen umfangreichen Datenaustausch. Das ist im OP-Kontext schon ohne Roboter schwierig, und mit Robotern wird es nicht einfacher.

Links:

Mehr über den da Vinci-OP-Roboter und das erste deutsche System robotisch assistierter Chirurgie von avatera erfahren Sie hier:

https://www.intuitive.com/de-de

https://www.avatera.eu/home

 Einen Film zum Einsatz von ROSA finden Sie hier:

https://www.youtube.com/watch?v=Gqdo8yFeN0o

Autor: Philipp Grätzel von Grätz ist Chefredakteur von E-HEALTH-COM und schreibt als freier Journalist über medizinische Themen und Technikthemen.