München plant das mit Abstand längste Kabel der Welt auf Basis von Hochtemperatursupraleitern (HTS), das jemals gebaut wurde. Dazu liefert die in München ansässige THE VA die HTS-Bandleiter, die dänische NKT baut das Kabel und Linde sorgt für die Kryotechnik. Über eine Länge von 12 Kilometern überträgt das HTS-Kabel 500 bis 600 Megavoltampere (MVA) zwischen zwei Umspannwerken. Wahrhaft ein Superprojekt, das seinen Namen „SuperLink“zu Recht trägt. Der Stadt München erspart es teure Tiefbauarbeiten, weil sich das HTS-Kabel quer durch die Stadt relativ einfach und teilweise in vorhandenen Rohren verlegen lässt.
„Ein weltweites Leuchtturmprojekt und für die HTS-Industrie ein entscheidendes Projekt“, freut sich Dr. Werner Prusseit, CEO von THEVA Dünnschichttechnik, einem der HTS Pioniere und weltweit führenden Hersteller von HTS-Bandleitern. Dabei handelt es sich um die zweite Generation der HTS-Drähte, die die HTS erst in realitätsnahe Anwendungen brachte. „Wenn‚SuperLink‘ fliegt, dann entwickelt sich eine Eigendynamik und wir werden mit Sicherheit vermehrt Großkunden überzeugen können, für wirtschaftlich sinnvolle Anwendungen große Mengen an HTS-Material zu bestellen.“
Denn es war das berühmte Henne-Ei-Problem, das der Anwendung der Supraleitung in der realen Welt bisher entgegenstand: Ohne genügend hohe Nachfrage können die Produktionskapazitäten nicht aufgebaut werden, die erforderlich wären, um über Economy of Scale die Preise sinken zu lassen. Ohne attraktive Preise keine hohe Nachfrage.
Neuer Schwung dank höherer Rohstoffpreise
Das hat einige HTS-Leiterhersteller zum Aufgeben bewogen. Die BASF New Business hat ihre Tochter, die Deutsche Nanoschicht, 2020 einge stellt. Bruker, die ebenfalls eigenes HTS-Material für Hochfeldmagnetanwendungen entwickelt hatte, hat diesen Teil abgegeben und kauft nun lieber zu.
Doch im Moment steigen die Preise für Kupfer und Aluminium, während die Preise für HTS-Bandleiter gefallen sind – was der Supraleitung zusätzliche Aufmerksamkeit beschert.
Zwar findet es Prof. Dr. Matthias Noe, Direktor des Instituts für technische Physik für supraleitende Energieanwendungen (ITEP) am KIT in Karlsruhe, schade, dass die Firmen sich zurückgezogen haben, freut sich aber auch, dass sein Kollege Prof. Dr. Bernhard Holzapfel, Direktor Supraleitende Materialien des ITEP, die Anlagen von Bruker übernehmen konnte: „Wir haben jetzt am ITEP ein breites Wissen angesammelt – von den HTS-Materialien über die Kryotechnik bis weit in die Systemintegration hinein. Da sind wir weltweit führend.“ Zudem ist Prof. Dr. Tabea Arndt als Direktorin Supraleitende Magnettechnologie zum ITEP-Führungs team hinzugestoßen. Sie hatte zuvor die Siemens-Aktivitäten im Bereich der Supraleitung geleitetet.
„Als ich vor 23 Jahren in Karlsruhe angefangen hatte, bestanden starke Zweifel, ob die damals exotische Disziplin die nächsten fünf Jahre überstehen könnte“, erinnert sich Noe. „Am meisten freut mich, dass jetzt die Anfragen aus der Industrie und von den Verteilnetzbetreibern kommen – der Bedarf ist da.“
Höherer Energiebedarf verlangt neue Kabel
Das bestätigt Peter Michalek, Koordinator des Projekts SuperLink der Stadtwerke München (SWM): „Der Elektrizitätsbedarf in den Städten steigt stark an, die Energie muss irgendwie in die Städte rein, da sind 110-kV-HTS-Kabel fast alternativlos.“ Dafür gibt es kein Vorbild: Das „AmpaCity“-Kabel in Essen, das zwei Umspannwerke über eine Distanz von einem Kilometer verbunden hat, konnte über sieben Jahre problemlos betrieben werden, arbeitete aber auf der 10-kV-Ebene. „Bei 110 kV haben wir es mit ganz anderen Effekten zu tun“, sagt Peter Michalek. „Das ist eine absolute Innovation.“ Die natürlich auf Herz und Nieren geprüft werden muss. Sind die Typprüfung im nächsten Jahr und der Betriebstest eines am Hochspannungsnetz der SWM angeschlossenen 150 Meter langen HTS-Testkabels voraussichtlich 2023 abgeschlossen, soll die Ausschreibung für das 12-km-Kabel erfolgen.
Michalek und Prusseit sind sich sicher, dass es Nachfolgeprojekte geben wird – in München und in anderen Städten. „Viele Städte stehen ja vor denselben Problemen, weil lokale Großkraftwerke wegfallen“, sagt Michalek. Was in München gezeigt wird, kann als Vorbild für das Ruhrgebiet und andere Ballungszentrendienen. Immerhin ist in Deutschland über 80 Prozent der installierten Infrastruktur zum Teil weit über 40 Jahre alt und muss erneuert werden. Ähnliche Erfahrungen hat Dr. Wolfgang Reiser gemacht, Geschäftsführer von Vision Electric Super Conductors (VESC): Er hat bereits durchgerechnet, dass die Investitionskosten für eine supraleitende 100-kV-Gleichstromverbindung gleich hoch liegen wie die einer HGÜ-Strecke. Darüber hinaus bietet die Mittelspannungs ebene den Vorteil, dass der Aufwand für die Verlegung sehr viel geringer ist und auch die Verluste – immerhin sechs Prozent pro 1000 km für HGÜ – bei HTS nur einen Bruchteil betragen. „Wir haben ein vollständiges Konzept für die Hochleistungsüber tragung mit Supraleitern auf Mittelspannung bis in die Hochspannung hinein entwickelt“, so Reiser.
Außerdem arbeitet VESC in einer weiteren deutschen Großstadt an einem supraleitenden Mittelspannungskabel, wo die Anforderungen ganz anders sind als in München. „Dort kommen zwar dieselben HTS-Bandleiter zum Einsatz, allerdings verwendet es Stickstoff s owohl zum Kühlen als auch als Isolationsmaterial“, erklärt Reiser.
Wenn im Zuge der Energiewende die Hochspannungsnetze enger vermascht werden und HTS-Kabel Einzug halten, wird laut Reiser auch der Bedarf an supraleitenden Strombegrenzern steigen: „Die Verlustleitungen von supraleitenden Strombegrenzern sind geringer als die Alternativen, einige Leistungsbereiche können nur mit supraleitenden Strombegrenzern erreicht werden.“ Derzeit ist auf dem Gebiet der Hochspannungs-Strombegrenzer der russische Systemhersteller SuperOx führend, der in Moskau drei große supraleitende Strombegrenzer für 220 kV baut.
Wo werden sich demnächst weitere interessante HTS-Anwendungen eröffnen? Dr. Werner Prusseit sieht hier vor allem Fusionsreaktoren, in denen größere Mengen von HTS zum Einsatz kommen. „Es sind in den vergangenen Jahren einige Start-ups entstanden, die verglichen mit den Großprojekten wie ITER kompaktere Reaktoren entwickeln. Sie müssen ihren Investoren schnell positive Ergebnisse liefern und treiben die Entwicklung mit hoher Geschwindigkeit voran. Für den Plasmaeinschluss brauchen sie schon bald HTS-Bandleiter in großen Mengen.“