Bewegungsunschärfen bei Radfahrern im Verkehr
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13.07.2021 Publikation

Wer gewinnt das Rennen: Berlin oder München? Zwei Experten, zwei Meinungen

Für Dr. Thomas Prüver, Start-up-Experte bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young, liegt Berlin auf Platz 1 im Ranking der Tech-Standorte. Dem widerspricht Johannes von Borries, Geschäftsführer der Risikokapitalgesellschaft Unternehmertum Venture Capital Partners. München siegt im Städtevergleich - obwohl  er einst in Berlin Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Elektrotechnik studiert hat. 

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„Berlin ist eindeutig Start-up-Hauptstadt“

Dr. Thomas Prüver ist Start-up-Experte bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young, die regelmäßig den Gründermarkt sondiert und unter anderem das Start-up-Barometer herausbringt. Für ihn gibt es im Ranking der Tech-Standorte einen klaren Sieger: Berlin.

Porträtbild von Dr. Thomas Prüver, Partner und Start-up-Experte bei Ernst & Young

»Berlin ist eindeutig die Hauptstadt der Tech-Start-ups. München folgt mit weitem Abstand auf Platz 2.« Dr. Thomas Prüver, Partner und Start-up-Experte bei Ernst & Young

| Ernst & Young

Sie haben in der Studie „Venture Capital and Start-ups in Germany 2020“ die 100 Top-Tech-Start-ups untersucht. Wer ist nach Ihren Zahlen Deutschlands Start-up-Hauptstadt?

Eindeutig Berlin: 64 der 100 bestfinanzierten Technologie-Start-ups kommen aus der Hauptstadt. Aus München – dem Zweitplatzierten – kommen nur 21 der bestplatzierten Start-ups. Oder in Euro ausgedrückt: 9,5 Milliarden Euro Risikokapital flossen nach Berlin und 2,9 Milliarden Euro nach München. 

Auch in anderen Start-up-Studien liegt Berlin in der Regel vorne, doch nirgendwo so eindeutig wie in Ihrer. Können Sie sich das erklären?

Das liegt daran, dass wir in unserer Studie das kumulierte Finanzierungsvolumen der Start-ups bewertet haben. Wir haben uns also angeschaut, welches Risikokapital in Summe in den vergangenen Jahren in die Unternehmen geflossen ist. Wenn wir uns nur die letzten drei oder vier Jahre anschauen, ist festzustellen, dass München in der Tat ein hohes Wachstum an den Tag legt und gegenüber Berlin aufgeholt hat. Von daher glaube ich auch, dass Berlin und München derzeit nicht mehr weit auseinanderliegen. Das Wachstum ist in München derzeit sogar dynamischer als in Berlin – weil es natürlich auch mehr aufzuholen hat und die Basis in Berlin höher ist.

Gibt es das typische Berliner Tech-Start-up – auch im Vergleich zu München?

Früher war das vielleicht mal so. Vor einigen Jahren gab es viele sogenannte Copycats, also Unternehmen, die gut funktionierende Geschäftsmodelle aus den USA mit viel Kapital hierzulande replizierten und ausrollten. Und das waren vor allem Unternehmen aus den Bereichen E-Commerce und Online-Plattformen. Angefangen bei Start-ups wie Jamba, einem Unternehmen, das 2000 gegründet wurde, durch Klingeltöne bekannt wurde und heute längst Geschichte ist.

Sie sagen „früher“. Hat sich das gewandelt?

Ja, das hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Heute finde ich diese Stereotype, dass es in Berlin vor allem Low- und in München vor allem Hightech gibt, nicht mehr zutreffend. In beiden Städten gibt es beides!

Sie arbeiten selbst in der Hauptstadt: Hat Berlin irgendetwas, was München vielleicht nicht hat?

Da ist auf jeden Fall der Faktor Diversität/Internationalität zu nennen. Das sehe ich auch in meinem eigenen Team; darin arbeiten allein 25 Nationalitäten und die „Amtssprache“ ist selbst in der Kaffeeküche Englisch. Diese Internationalität ist für mich auf jeden Fall ein Standortvorteil. Denn sie führt dazu, dass Sie in der Stadt überall super ausgebildete Leute aus der ganzen Welt haben. Wer nach Deutschland kommt, um arbeiten zu wollen, landet erst einmal hier – und eher nicht in München.

Und was hat Berlin nicht?

Vor allem fehlt es an Industrie. Das ist natürlich in München mit der dortigen Maschinenbau- und Autoindustrie ganz anders. Und das ist für IT-Unternehmen wie Google oder Apple natürlich extrem attraktiv, weil sie die Nähe zu einer solchen Industrie suchen. In Berlin gab es dagegen lange Zeit nur die Nähe zur Politik, aber eben nicht zur Industrie. Nicht zuletzt durch die ganzen Start-ups, die ihr eigenes Technologie-Ökosystem bilden, verändert sich das aber auch gerade. 

„Die allermeisten Start-ups kommen aus München“

Einst hat Johannes von Borries in Berlin Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Elektrotechnik studiert. Heute ist er Geschäftsführer der Risikokapitalgesellschaft Unternehmertum Venture Capital Partners. Für ihn hat als Tech-Standort eindeutig München die Nase vorn.

Porträtbild von Johannes von Borries, Geschäftsführer von UVC Partners

»Die Frage ist, was man als Tech-Start-up bezeichnet. Im B2B-Bereich liegt München weit vor Berlin.« Johannes von Borries, Geschäftsführer von UVC Partners

| UVC Partners

UVC Partners investiert in technologiebasierte Start-ups. Aus welcher Stadt kommen die meisten von ihnen?

Wir finanzieren Unternehmen aus dem ganzen DACH-Bereich, aber die allermeisten – mindestens die Hälfte – kommen aus München. Drei Beispiele: Twaice, die auf Batterieanalytik spezialisiert sind. Blickfeld, die LiDAR-Sensoren für das autonome Fahren entwickeln. Und Konux, die an der Digitalisierung des deutschen Bahnnetzes arbeiten.

Wie kommt dieses München-Übergewicht? Nach einer EY-Studie sitzen 64 von 100 Tech-Start-ups in Berlin. Liegt Ihre Ausrichtung vielleicht daran, dass Sie selbst ihren Sitz in Bayern haben?

Nein, wir haben auch ein Office in Berlin, daran liegt es sicher nicht. Es ist wohl eher eine Frage, was man alles als „Tech-Start-up“ bezeichnet, letztlich ist ja alles im Start-up-Bereich irgendwie Tech. Unsere Definition ist da einfach etwas enger und wir sind eher auf den Bereich Industrie 4.0, B2B-Software, Mobility und Smart City fokussiert und nicht so sehr auf den E-Commerce-Bereich, der in Berlin sehr stark ist.

Also gilt doch das Vorurteil, dass in Berlin eher Low-Tech beheimatet ist?

Da muss man aufpassen! Es gibt bei E-Commerce nicht nur Low-Tech-Anwendungen, gerade wenn es zum Beispiel in Richtung Künstliche Intelligenz geht. Das ist durchaus anspruchsvoll, was in Berlin teilweise entwickelt wird. Ich würde bei der Unterscheidung zwischen Berlin und München eher zwischen B2B und B2C unterscheiden: Während sich in Berlin die Start-ups mit ihren Dienstleistungen meist direkt an den Consumer wenden, ist in München viel mehr das B2B-Geschäft stark – also wenn es darum geht, Komponenten, Produkte und Systeme an andere Firmen zu verkaufen.

Wieso gibt es solche Unternehmen nicht genauso in Berlin?

Das Problem für Berliner Start-ups fängt bereits damit an, dass die Kunden im Umland fehlen, denen man etwas verkaufen könnte oder mit denen man im Vorfeld schon irgendwelche Projekte machen könnte. Das ist in München mit der ganzen Industrie – von Siemens bis BMW – doch etwas ganz anders. Hinzu kommen die ganzen Forschungseinrichtungen. Insgesamt haben Sie in München eine ganz andere Community: Ingenieure und Techniker, die sich untereinander austauschen und vernetzen können. Das macht am Ende viel aus!

Unterscheiden sich die Münchner Start-ups auch ansonsten von den Berlinern?

Es gibt durchaus auch einen Unterschied bei den Mentalitäten. Etwas an die Masse von Consumern verkaufen zu wollen, ist etwas ganz anderes, als andere Ingenieure von dem eigenen Produkt überzeugen zu müssen. In dem einen Fall braucht man eher ein Gespür für Brandbildung und Marketing. Im anderen Fall braucht man gute Ingenieure mit guten Kontakten, die eine gemeinsame Sprache sprechen und technische Lösungen für ein Problem finden.

Das spricht also aus Ihrer Sicht alles eher für München?

Naja, eines hat Berlin schon: Dort gibt es sehr kreative, unkonventionelle Gründer. Wo der Münchner tendenziell etwas bodenständig und solide ist, ist der Berliner vielleicht einfach auch etwas wagemutiger. Solche Köpfe zu haben, kann durchaus von Vorteil sein.