Porträtfoto von ESA-Astronaut Matthias Maurer, der in einem blauen esa-Overall in der Trainingshalle in den USA steht.

»Neue Akteure schieben das Entwicklungstempo an.« Matthias Maurer, ESA-Astronaut und Besatzungsmitglied der Crew Dragon 3

| ESA/Sabine Grothues
09.07.2021 Publikation

„Was die Kosten nach unten treibt, ist gut für die Forschung!“

Matthias Maurer, ESA-Astronaut und Besatzungsmitglied der Crew Dragon 3, fliegt im Herbst als Wissenschaftsastronaut ins All. Der Nachfolger von Alexander Gerst ist der zweite ESA - und der erste deutsche Astronaut, der an Bord einer SpaceX-Raumkapsel des kommerziellen NASA Crew-Programms zur ISS fliegt. Derzeit trainiert er für die Mission "Cosmic Kiss" in den USA. Im Interview schildert der Astronaut seine Sicht auf die Raumfahrt. So haben wir ihn gefragt, was er davon hält, wenn Touristen auf der Internationalen Raumstation (ISS) auftauchen, und wie er die neue kommerzielle Raumfahrt sieht.

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Sie trainieren derzeit für Ihre Mission in den USA. Haben Sie schon Ihre Crew kennengelernt?

Sicher. Wir trainieren schon zusammen. Vor kurzem war ich beispielsweise mit meinem Commander Raja Chari unter Wasser. Wir haben für einen Außenbordeinsatz trainiert. Da habe ich den Besten erwischt, den ich mir vorstellen kann. Raja war Chef der Testpiloten der amerikanischen F-35-Jet-Flotte. Er ist ein absoluter Vollprofi im Umgang mit neuen Fahrzeugen.

Und Ihr Raumschiff?

Ich habe mein Raumschiff Dragon 3 bereits zweimal im Reinraum im kalifornischen Hawthorne gesehen. Die Kapsel ist ja noch im Bau, denn wir bekommen eine neue. Im Gegensatz zu Thomas Pesquet, meinem Vorgänger auf der ISS, der fliegt ja mit einem recycelten Raumschiff.

Haben Sie auch mit SpaceX-Ingenieuren zu tun?

Ja. Die Techniker im Reinraum erzählen mir jedes Mal, wie das Schiff im Detail funktioniert. Sie meinen, der direkte Austausch sei wichtig und motivierend. Ich weiß nicht, ob das bei den anderen Firmen so ist. Aber ich finde das gut, dass ich sehe, wer meine Maschine baut, und ich Fragen stellen kann. Nicht dass ich mitreden könnte, das Spezialwissen habe ich nicht.

Über den Ingenieuren, die an unserer Kapsel arbeiten, hängt ein großes Poster mit Bildern der Besatzung. Damit die Leute jeden Tag sehen, das ist nicht nur ein Satellit, damit fliegen Menschen.

Ein Raumschiff ist geballte Elektrik und Elektronik. Wie weit verstehen Sie die?

Verstehen ist die eine Sache, eingreifen eine andere. Für die Elektronik gehen wir nicht hinter die Paneele. Die Crew-Dragon-Kapsel lässt sich vom Boden aus fliegen, ein sehr hoch entwickeltes Computerprogramm deckt sehr viele Fehler-Szenarien ab. Lediglich einige pneumatische Ventile müssen wir gelegentlich kontrollieren und dafür die Abdeckklappen öffnen. Diese Ventile müssen aufgehen, damit die Kapsel beispielsweise beim Wiedereintritt nicht zerquetscht wird beziehungsweise bei Innenüberdruck nicht aufplatzt.

Werden Sie im All also doch noch zum Techniker?

Ein paar Sachen muss der Mensch noch machen. Wir haben CO2-Absorber dabei, um die Luft zu reinigen. Sauerstoff haben wir zwar ausreichend, aber den verwandeln die Astronautinnen und Astronauten ja ständig in CO2, der dann die Kabine flutet. Irgendwann würde ein Level erreicht werden, bei dem wir müde werden und einschlafen. Und danach käme der Dauerschlaf, das will niemand. Wir müssen also kontinuierlich die Patronen wechseln.

Läuft das nicht automatisch?

Nein. Es bräuchte eine komplizierte Mechanik, um die Kartuschen auszuwechseln. Das wäre ein Riesenklotz und am Ende könnte dann ein Astronaut weniger mitfliegen.

Sie kennen das Sojus-Trainingsmodell in Köln. Ist die Crew Dragon anders?

Das Design des Inneren sieht aus wie das eines iPads, weiß, metallisch, vielleicht noch etwas schwarz und grau. Alles ist sauber und strukturiert. Der Innenraum ist sehr ergonomisch entworfen. Wenn ich in das SpaceX-Raumschiff reingehe, dann gehe ich da so in den Alltagsklamotten rein, wie ich jetzt bin, und krabbele später wieder raus.

In den anderen Raumschiffen muss ich einen Helm tragen, da ich mir ständig irgendwo den Kopf stoßen könnte, weil während des Baus immer wieder ein altbewährtes Teil neu dazukommt. Da merkt man, dass die Leute schon 20, 30 Jahre Raumfahrzeuge bauen und viele Sachen einfach übernehmen. Daher sieht das Cockpit aus wie aus den 80er-Jahren.

Merken Sie den Unterschied zwischen Old und NewSpace?

Ja. SpaceX ist eine Firma, die mit komplett neuen Ideen an die Sache herangeht. Wenn ich dort reinkomme, habe ich noch keinen Menschen gesehen, der aussah, als hätte er nicht großen Spaß bei der Arbeit. Da gibt es sogar eine Cafeteria, die ist nur zehn Meter vom ersten Arbeitsplatz für Raketenantriebe entfernt.

Die Ingenieure, die bei SpaceX arbeiten, sind im Schnitt zwischen 20 und 30 Jahre alt. Diese Generation ist ganz anders aufgewachsen als die Ingenieure der klassischen Raumfahrtfirmen; dort tendiert man stark dazu, Altbewährtes zu übernehmen, statt neu zu entwickeln. Bei der Raumfahrt ist es so: Man fliegt etwas, und wenn es funktioniert, dann ändert man es fast nie wieder.

Auf der anderen Seite: Bei einer Gelegenheit wurde einem SpaceX-Mitarbeiter die Frage gestellt, ob es eine 40-Stundenwoche gebe? Die haben einen nur seltsam angeschaut. Von einem Techniker erwartet der Arbeitgeber 55 und von einem Ingenieur 60 Arbeitsstunden die Woche – und das bei einem Monat Urlaub im Jahr. Die Bezahlung ist auch nicht überdurchschnittlich.

Welche Rolle spielt die neue kommerzielle Raumfahrt für Ihre Arbeit?

Zum einen denke ich, kommerzielle Akteure haben vielleicht nicht so viel Erfahrung. Wir wissen alle, dass Raumfahrt hart ist, da kann viel schiefgehen. Ich bin mir sogar sicher, dass irgendetwas schiefgehen wird. Das sehen wir vor allem bei den neuen Raketen für kleine Nutzlasten und deren vielen Fehlstarts.

Andererseits bin ich sehr froh, dass es diese neuen Akteure gibt. Die gehen mit einem frischen Mindset an die Arbeit. Die alten Paradigmen werden einfach weggewischt.

Dadurch kommen sehr effiziente Lösungen zustande. Das schiebt die alten klassischen Akteure wieder an, das Entwicklungstempo zu erhöhen. Daher freue ich mich über diese konstruktive Konkurrenz.

Das US-Raumfahrt-Budget ist viel größer als das von Europa. Ist die Forderung nach kommerzieller Raumfahrt für Europa überhaupt sinnvoll?

Klar, im Vergleich ist der Unterschied groß. Aber Europa hat das zweitgrößte Raumfahrtbudget. Man fragt sich: „Wieso fliegen die Russen und Chinesen bemannt, warum schaffen die Inder es, eine Kapsel zu bauen?“ Klar, die Gehälter sind nicht vergleichbar mit europäischen. Ich denke, in Europa ist noch Luft nach oben und die neuen Ansätze in Europa, bei denen auch Start-up-Firmen die Chance gegeben wird, kleine Raketen zu entwickeln, das ist der richtige Weg.

Also machen kommerzielle Raketen neben Ariane und Vega Sinn?

Da locken Sie mich ein bisschen aus der Reserve. Meine persönliche Meinung ist: Wenn man zwei Anbieter hat, die in Konkurrenz stehen, kann ich eher einen marktüblichen Preis erwarten, als wenn ich nur einen habe.

Europa muss auch auf dem Weltmarkt mithalten können. Neben dem teuren Shuttle war die Ariane viel günstiger, daher hatte Europa einen solchen Marktanteil erreicht. Aber mit SpaceX und demnächst Blue Origin geht die Preisspirale nach unten. Da müssen wir uns neu aufstellen.

Was halten Sie in diesem Zusammenhang von einem deutschen Startplatz in der Nordsee?

Für geostationäre Satelliten macht er keinen Sinn. Für polare Umlaufbahnen dagegen ist es egal, auf welcher Breite ein Startplatz liegt. Auch die Logistik würde Sinn ergeben, denn dann müsste man das Equipment nicht kompliziert nach Südamerika schiffen, um es dort noch mal an eine andere Firma zu übergeben. Das macht es ja nicht gerade günstiger. Bei einem Startplatz in der Nordsee liegt Deutschland in der Nähe. Wenn irgendein Ersatzteil fehlt, lässt sich das nachliefern. Wichtig ist, dass das Konzept wirtschaftlich ordentlich durchgerechnet ist. Aber am Ende dürfen Sie das nicht einen Astronauten fragen. Ich fliege nur mit den Raketen, ich baue sie nicht.

Braucht Europa Leute wie Elon Musk?

Ich glaube, die europäischen Milliardäre investieren lieber in Kunst. Ihnen fehlt der Silicon-Valley-Gedanke. Eine Person wie Elon Musk handelt nicht unbedingt wirtschaftlich, er ist Visionär. Gerade hat er seinen Starship-Prototypen SN11 gecrasht. Andere Leute würden sagen, das macht keinen Sinn, da verliere ich zu viel Geld. Musk macht es trotzdem, weil er einen langfristigen Plan verfolgt.

Ist der Crash von SN11 für Sie ein Alarmzeichen?

Nein, gar nicht. Ich finde das sehr inspirierend. Besser jetzt als später, wenn Menschen drinsitzen.

Musk will auch Touristen ins All befördern, was halten Sie davon?

Wenn ich oben bin, werde ich voraussichtlich bis zu fünf Touristen begegnen. Da mache ich mir schon Gedanken, wie gut sie ausgebildet sind. Muss ich mich dann um sie kümmern, wenn es beispielsweise ein Feuer gibt? Die Astronauten der ESA und NASA haben einen Auswahlprozess durchgemacht, bei dem Psychologen immer wieder geschaut haben, ob es die richtigen Kandidaten sind und ob sie auch in extremen Situationen einen kühlen Kopf behalten. Das ist ein Punkt, bei dem ich mich frage, in welchem Maße das Touristenkonzept ausgereift ist.

Ist das der Aspekt kommerzieller Raumfahrt, den sie nicht begrüßen?

Das will ich nicht sagen, wir müssen offen sein. Wenn Touristen zur ISS fliegen, werden die Raumschiffe auch häufiger genutzt. Das treibt dann die Kosten nach unten, was wieder gut für die Forschung ist.

Das Interview führte Peter Michael Schneider.