Im Meer verankert stehen zahlreiche Airborne-Wind-Energy-Systeme, die aussehen wie Fallschirme an einer Schnur.
SkySails Group GmbH
13.07.2021 Windkraft Publikation

Bessere Ernte

Windenergie nicht über Windräder, sondern beispielsweise über Flugdrachen zu ernten – diese Idee gewinnt an Höhe. Zahlreiche Start-ups, vor allem in Europa, arbeiten an der Umsetzung ganz unterschiedlicher Konzepte. Die ersten Prototypen gibt es bereits.

Von Heinz Arnold

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Die Türme der Windräder strecken sich aus gutem Grund immer weiter in die Höhe: Weit oben wehen die Winde verlässlicher und schneller als in Bodennähe, also lässt sich dort mehr Energie ernten. Dazu müssen jedoch Fundament, Turm, Maschinenhaus und Rotor gebaut werden, was viele Tonnen Material frisst, das energieaufwendig hergestellt werden muss. Das Windrad tritt also mit einem großen CO2-Fußabdruck in die Welt.

Visionäre Ingenieure kamen allerdings schon früh auf die Idee, die Sache einfach umzudrehen: Den Turm ganz entfallen zu lassen, den Generator auf den Boden zu stellen und den Rotor fliegen zu lassen. Doch ist das mehr als ein Hirngespinst? „Ja!“, antworten die Flugwindkraftenthusiasten, es sei im Grunde ganz einfach. Erste Erfahrungen damit dürften wir alle in unserer Kindheit gesammelt haben: Beim Drachen steigen lassen! Das überzeugt auf den ersten Blick wenig?

Ein zweiter Blick lohnt sich: Weltweit gibt es nicht weniger als 50 Unternehmen – meist Start-ups –, die auf Basis dieser Idee Flugwindkraftwerke entwickeln. Diese sparen gegenüber Windrädern bis zu 95 Prozent Material, der CO2-Fußabdruck verringert sich um 75 Prozent. „Europa und Deutschland sind hier führend“, sagt Udo Zillmann, Generalsekretär der Airborne Wind Europe mit Sitz in Brüssel. Allerdings: Die Flugwindkraftwerk-Branche steht noch ganz am Anfang: Derzeit starten die ersten Pilotprojekte, es muss sich erst noch in der Realität zeigen, was die Technik kann. Doch ist sie hochkomplex, vieles kann schiefgehen.

Erste Misserfolge waren ein Schock für die Branche

Das zeigte das Beispiel der amerikanischen Makani, die 2013 von Alphabet gekauft wurde. Das Prinzip: Ein autonom fliegendes Flugzeug mit 26 Meter Spannweite startet von einer Plattform im Meer mithilfe seiner acht über Propeller angetriebenen Elektromotoren. In der Zone günstiger Höhenwinde angekommen, schalten die Motoren in Generatorbetrieb, die erzeugte Energie (600 kW) wird über ein Kabel zur Bodenstation geleitet. Doch 2019 verlor Alphabet die Geduld und als das Flugzeug bei einem Probeflug vor der Küste Norwegens auch noch ins Meer stürzte, kam das endgültige Aus. Das Unternehmen hatte wohl zu schnell zu viel auf einmal gewollt – und scheiterte. „Ein Schock für die Branche“, erinnert sich Udo Zillmann.

Zugdrachenantrieb punktet mit guter Skalierbarkeit

„Lieber klein anfangen und sich in kleinen Schritten zu größeren Systemen vortasten“, sagt deshalb Stephan Wrage, Gründer und CEO der in Hamburg ansässigen SkySails Power. „Wir haben als erstes Airborne-Wind-Energy-System-Unternehmen der Welt bereits Flugwindkraftanlagen verkauft und starten jetzt die Serienproduktion. Wir sind darüber hinaus die Einzigen, die im Moment den vollautomatischen Start bieten, ein sehr wichtiger Systembestandteil.“ Er setzt auf einen Drachen aus Stoff, der sich relativ einfach vergrößern lässt, sobald es im Kleinen funktioniert. Der Drachen ist an einem Seil befestigt, das er beim Aufstieg mit großer Kraft von einer Trommel am Boden abspult. Die Trommel treibt einen Generator an. Hat der Drachen die maximale Flughöhe erreicht, schaltet der Generator in den Motorbetrieb und holt den Drachen in niedrigere Höhen zurück, was je nach Windgeschwindigkeit 5 bis 10 Prozent der Energie kostet, die er während des Aufstiegs produziert hat. Dann startet der neue Zyklus. Der Drachen wird dabei unabhängig von dem Zugseil zur Energieerzeugung über Steuerseile gelenkt. So kann er tagelang in der Luft bleiben. Ein erstes System mit bis zu 200 kW Leistung betreibt SkySails bereits seit Ende 2019 in Klixbüll, in einem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Gemeinschaftsprojekt, zusammen mit EnBW, Omexom und der Uni Hannover. Derzeit läuft nun die Produktion und Auslieferung der ersten kommerziellen Anlagen.

EnerKite in Brandenburg hat einen halbstarren Flügel entwickelt. Der Vorteil: Der Flügel hat weit bessere aerodynamische Eigenschaften, was die Effizienz der Energieernte deutlich erhöht. Allerdings ist die Startphase schwieriger, gelingt jetzt aber laut CEO Alexander Bormann auf der 30-kW-Minimalanlage, die EnerKite bereits baut. In diesem Jahr soll die erste Anlage verkauft werden. Parallel dazu entwickelt EnerKite den 100-kW-Serienprototypen, der Ende 2022 fertiggestellt sein soll. „Es kommt nicht nur auf den Drachentyp an, sondern genauso auf die Steuerung, auf das Hauptseil, die Trommel und den Generator sowie ganz wesentlich auf die Software. In diesem System muss alles aufeinander abgestimmt und vernetzt sein, eine faszinierende Ingenieuraufgabe, deren Ergebnisse auch den traditionellen Windrädern neue Impulse geben können“, erklärt Alexander Bormann. Die Vision: In den 2-MW-Bereich vorzustoßen, um Windparks zu bauen, die pro Bodenfläche doppelt so viel Energie produzieren wie konventionelle Windparks.

Anvisiert werden autonom operierende Drohnen

Ein deutlich anderes Konzept verfolgt Dr. Rolf Luchsinger, Mitgründer und CEO der Schweizer TwingTec: Nicht ein Drachen ist über das Zugseil mit dem Generator verbunden, sondern eine selbstständig fliegende Drohne mit derzeit 5,5 Meter Spannweite, die mit mehreren Rotoren versehen ist. Sie erlauben vollautomatisches und punktgenaues Starten und Landen von einer Plattform bei allen Windbedingungen. Eine der größten Herausforderungen ist auch hier das sichere Starten und Landen, in der Endausbaustufe sollte dies alles vollautomatisch funktionieren. In zwei Jahren will TwingTec einen 100-kW-Prototypen mit 15 Meter Spannweite vorstellen. Kitemill aus Norwegen setzt auf ein ganz ähnliches System, „allerdings halten wir wichtige Patente auf diese Technik“, so Dr. Rolf Luchsinger.

Die Münchner kiteKRAFT verfolgt ein ähnliches Prinzip wie Makani – nur bei Weitem nicht so gigantisch: Eine Spannweite von 2,5 Meter hat die erste Drohne, die aussieht wie ein Doppeldecker mit Seitenflügeln, was dem Fluggerät eine hohe Steifigkeit verleiht. Die Drohne startet mit über Elektromotoren angetriebenen Propellern, die in der Höhenwindzone in Generatorbetrieb umschalten. Der so erzeugte Strom wird über ein selbst entwickeltes Kabel zur Bodenstation geleitet. „Bis 2024 wollen wir ein 100-kW-System entwickelt haben, was zeigt, dass unser System sehr skalierbar ist“, sagt Florian Bauer, Co-CEO und CTO von kiteKRAFT.

Zu den Märkten, die die Start-ups anvisieren, zählen etwa der Ersatz beziehungsweise die Ergänzung von Dieselaggregaten, die Versorgung von Microgrids auf Inseln, die Versorgung von Minen oder auch von großen Schiffen. Wenn damit erstes Geld verdient werden könnte, wäre das ein Einstieg in die vielversprechende Technik. Windräder haben auch nicht mit Nabenhöhen von 150 Meter und 8-MW-Turbinen angefangen.

Doch das würde nicht genügen. „Jetzt müssen Standards kommen, es muss geregelte Prozeduren für die Zulassung von Airborne Wind Energy Systems geben, sonst ist an eine Kommerzialisierung der vielversprechenden Technik nicht zu denken“, sagt Dr. Alois Kessler, bei EnBW für Forschung & Entwicklung zuständig, der zusammen mit SkySails am Projekt in Klixbüll arbeitet.

HEINZ ARNOLD ist Senior Editor und stellvertretender Chefredakteur bei Markt & Technik, der unabhängigen Wochenzeitung für Elektronik.