Als Elon Musk im November 2019 die Pläne einer Fahrzeugproduktion von Tesla in Deutschland verkündete, kam das einer Kampfansage an die heimische Automobilindustrie gleich. Beginnend mit der Fertigung des Model Y sollen in Deutschland zukünftige Fahrzeugmodelle für die weltweiten Märkte entworfen, entwickelt und hergestellt werden. Anfang Januar 2020 startete das Genehmigungsverfahren für den Aufbau einer Fahrzeugfertigung im brandenburgischen Grünheide. Seitdem kocht die Gerüchteküche, auch dadurch angeheizt, dass das behördliche Verfahren aktuell noch läuft und die Kommunikation von Tesla an Klarheit und Transparenz vermissen lässt. Schon im Sommer 2021 will Tesla demnach mit der Produktion in Deutschland starten, rund 12.000 Beschäftigte sollen dann eine halbe Million Autos im Jahr herstellen. Weitere Ausbaupläne umfassen eine Verdopplung der Fertigungskapazitäten auf bis zu einer Million Einheiten und eine Vergrößerung der Beschäftigtenzahl auf 40.000. Zudem möchte Tesla eine Batteriefertigung installieren.Tesla selbst gibt an, dass Produkttechnik und Produktionsmethoden der sogenannten Gigafactory Berlin-Brandenburg auf dem allerneuesten Stand sein werden, einschließlich einer hochmodernen Gießerei und einem effizienten Karosseriebau. Aktuell sucht Tesla dazu Mitarbeiter in den Bereichen Ingenieur- und Bauwesen, Produktion und Operations. „Die Ankündigung von Elon Musk zeigt, wie wichtig der Automobilstandort Deutschland für den Hochlauf der Elektromobilität in Europa ist. Sollten die Pläne in einigen Jahren umgesetzt werden, bedeutet dies einen weiteren Schub für die Elektromobilität. Eine Ansiedlung von Tesla in Deutschland stärkt den Automobilstandort Deutschland“, erklärte der damalige Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Bernhard Mattes, im November 2019. Die Frage ist jedoch, warum diese Stärkung von außen überhaupt nötig ist.
Krisenstimmung in der deutschen Automobilindustrie
Bei den deutschen Automobilherstellern kriselt es, und das nicht erst seit der COVID-19-Pandemie. Zwar ist der Automobilbereich mit mehr als 800.000 Beschäftigten nach wie vor einer der wichtigsten Industriezweige in Deutschland, allerdings warnte der VDA schon im Herbst 2019 vor einer weiter zurückgehenden Auslastung, Kurzarbeit und einer Reduzierung der Mitarbeiterzahl bei Leiharbeitern und in der Stammbelegschaft. Viele der in den vergangenen Monaten angekündigten Entlassungen bei Automobilherstellern und Zulieferern sind daher als Maßnahme im Rahmen einer langfristigen Restrukturierungsstrategie zu werten. Der weltweite Pkw-Absatz ging 2019 auf rund 80 Millionen Fahrzeuge zurück – ein Minus von fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr. Problematisch daran ist, dass sich die deutschen Automobilhersteller diesem allgemeinen globalen Trend nicht entziehen konnten, sondern voll davon getroffen wurden. Tesla hingegen muss seine Kunden mit langen Wartelisten vertrösten. „Während sich in Deutschland Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gegenseitig bei der Entwicklung von Elektroautos, dem Aufbau einer einheitlichen Ladeinfrastruktur und der Erzeugung von grünem Strom den Schwarzen Peter zuschieben, baut Elon Musk einfach seine Fahrzeuge samt Ladeinfrastruktur, betätigt sich als Stromanbieter und schafft so einen Börsenwert, von dem andere Hersteller nur träumen können“, stellt Dr. Thomas Becks, Leiter des Bereichs Services und Produkte beim VDE, fest. An dieser Stelle wird den deutschen Automobilherstellern gerne der Vorwurf gemacht, die Elektromobilität verschlafen zu haben. „So einfach ist das aber nicht, immerhin arbeiten die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen schon seit mindestens zehn Jahren an Elektrofahrzeugen und können auch technologische Erfolge vorweisen. Es hapert eher an der konsequenten Umsetzung in Serienkonzepte“, sagt Dr. Ralf Petri, Leiter des Geschäftsbereichs Mobility beim VDE. „Hier zeigt sich ein strukturelles Problem. Das Geschäftsmodell und damit der gesamte Horizont der etablierten Automobilindustrie ist darauf ausgelegt, ihre bestehenden Produkte immer weiter zu verbessern und in hohen Stückzahlen zu produzieren, nicht aber, auf dem vielzitierten weißen Blatt Papier oder dem leeren PC-Monitor eine komplette technologische Neuentwicklung aufzusetzen.“ Das umfasst einerseits die Wertschöpfungskette bei Herstellern und Zulieferern, andererseits aber auch die Methodik, wie Innovationen geschaffen und ins Fahrzeug integriert werden. Hier hat sich über viele Jahre ein Prozess etabliert, bei dem neue Funktionen Stück für Stück entwickelt und von jeweils separaten Abteilungen und Projektteams ins Fahrzeug integriert werden. „Vorteile dieses evolutionären Entwicklungsansatzes sind hohe Funktions- und Produktqualität bei niedrigen Kosten. Ein Nachteil ist die Trägheit bei der Umsetzung revolutionärer Konzepte wie der Elektrifizierung des Antriebs, die viele Bereiche des Fahrzeugs und des Unternehmens gleichermaßen betreffen“, sagt Petri.
Ein weiteres Manko dieses Ansatzes ist die hohe Anzahl an elektronischen Steuergeräten, die sich in den Fahrzeugen angesammelt hat. Da über lange Zeit neue Funktionen jeweils separat entwickelt und mit einem eigenen Steuergerät ins Fahrzeug implementiert wurden, umfasst die elektrische/elektronische Architektur heutiger Fahrzeuge bis zu 100 Controller, die im Fahrzeug als abgeschlossene Einheiten arbeiten und auch nur eingeschränkt kompatibel sind. Daraus entsteht eine Komplexität, die kaum noch beherrschbar ist, zumal Zukunftsentwicklungen wie das automatisierte Fahren nur durch eine starke Vernetzung der Steuergeräte untereinander gelingen können. Zu den Herausforderungen bei der Hardware kommt die Datenexplosion: Hatte ein Auto vor zehn Jahren noch rund zehn Millionen Zeilen Softwarecode, wird die Software von automatisiert fahrenden Fahrzeugen zwischen 300 und 500 Millionen Codezeilen umfassen. „Bereits in heutigen Autos stecken rund 100 Millionen Zeilen Softwarecode. Die Zukunft der Mobilität kann nur gestalten, wer über umfassende Elektronik- und Softwareexpertise verfügt“, sagt Dr. Stefan Hartung, Geschäftsführer von Bosch. Die traditionelle Softwareentwicklung in einzelnen, voneinander unabhängigen Bereichen gerät da zunehmend an ihre Grenzen.
Teslas Vorteil: Es gibt keine Technikaltlasten
Das Problem dieser Technikaltlasten kennt Tesla noch nicht. „Ein Tesla ist quasi ein Supercomputer mit einem über die Cloud updatefähigen Betriebssystem, um das ein Fahrzeug herum konstruiert wurde“, so Becks. Die aktuelle sogenannte Hardware 3, mit dem das Model 3 sowie Model S und Model X ausgerüstet sind, vereint die Steuerung aller automatisierten Fahrfunktionen und des Infotainmentsystems in einem Bauteil. Dazu wurden zwei Rechner, getrennt durch eine Flüssigkeitskühlung, aufeinandergestapelt. Der erste Chip ist ein mittels Künstlicher Intelligenz programmierter Hochleistungsrechner für die Fahrfunktionen, der zweite ein Controller für das Infotainment. Wie das japanische Nachrichtenportal Nikkei Asia im Februar 2020 berichtete, sind sogar Fachleute der Branche vom konsequenten Aufbau des Hardware-3-Moduls überrascht. Die Kompetenz von Tesla im Softwarebereich zeigt sich auch beim Elektroantrieb. Zwar sind die Hardwarekomponenten der Fahrzeuge eher als Standardlösungen anzusehen, sei es der Elektromotor, die Leistungselektronik oder gar der Batteriepack, allerdings sorgt eine sehr gut programmierte und ständig aktualisierte Software für ein hocheffizientes Zusammenspiel aller Komponenten. Becks: „Das Ergebnis ist ein Gesamtantriebssystem, dessen Performance aktuell als Benchmark anzusehen ist.“