Neben der Innovationsfreudigkeit und der Dynamik der jungen Unternehmen zeigten sich die „Big Player“ auf dem Motorradmarkt in Sachen Elektromobilität bislang auffällig schwerfällig. Dies gilt insbesondere für die vier großen japanischen Hersteller – Honda, Kawasaki, Suzuki und Yamaha – , die sich inzwischen jedoch für die Entwicklung von Elektromotorrädern zusammengetan haben, um den Vorsprung der globalen Konkurrenz aufzuholen. Doch auch ansonsten ist neben Harley-Davidson das österreichische Unternehmen KTM aus Österreich der einzige Traditions-Anbieter, der ein E-Motorrad in petto hat – einen Elektro-Crosser für das Gelände.
Und der einzige große deutsche Hersteller? Während BMW bei Elektroautos durchaus die Zeichen der Zeit erkannt und in der Entwicklung einen Zahn zugelegt hat, tun sich die Münchner bei Elektromotorrädern nach wie vor schwer. Zwar produzieren sie mit dem C-Evolution schon seit 2014 einen elektrisch betriebenen Großroller in Serie, in das Segment der „richtigen“ Elektromotorräder wagen sie sich jedoch auch mit dem Mitte November präsentierten Nachfolgemodell Definition CE 04 nicht vor (siehe auch nebenstehendes Interview). Das liegt zum einen daran, dass der zu verteilende Kuchen wohl schlichtweg zu klein ist. Gerade einmal 2295 elektrisch betriebene Krafträder wurden nach Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes 2019 neu zugelassen, bei insgesamt 168.307 Neuzulassungen. Das entspricht einem Elektro-Anteil bei Krafträdern von gerade einmal 1,3 Prozent. Zum andern liegt es aber auch an technischen Bedenken. Denn auch auf absehbare Zeit ist wohl kaum damit zu rechnen, dass man mit einem Elektromotorrad stundenlang über die Landstraße cruisen oder bequem die Alpen überqueren kann – Reichweiten über 200 Kilometer sind nur bei den schwersten Maschinen und einer äußerst sparsamen Fahrweise möglich. Hinzu kommt, dass man selbst bei einer Schnellladestation rund eine halbe Stunde einplanen muss, um das Motorrad wieder aufzutanken, sofern man überhaupt eine solche findet, und diese sowohl frei als auch kompatibel ist. Denn es existieren sechs unterschiedliche Steckertypen. Die dafür nötigen Kabel alle mitzuschleppen, ist auf einem Motorrad mehr als nur lästig.
Ganz anders sieht das freilich in einem anderen Kraftrad-Segment aus, nämlich bei jenen Zweirädern, die ohnehin für den urbanen Raum und damit für kürzere Strecken ausgelegt sind: Laut des europäischen Zweiradhersteller- und Importeursverband ACEM lag der Elektroanteil bei Mopeds, Mokicks und kleinen „Fünfziger“-Rollern im ersten Halbjahr 2020 immerhin schon bei 22,3 Prozent (Vorjahr 21,2 Prozent). Das ist zweifelsohne angesichts der unbestreitbaren Vorteile, die ein Elektrozweirad auf der Kurzstrecke hat, schon ganz ordentlich, aber sicherlich auch noch ausbaufähig.
Eine echte Alternative – nicht auf der Langstrecke, aber in der Stadt
Ein großes Problem sieht der Bundesverband eMobilität (BEM) hier vor allem darin, dass solche kleinen Motorräder, die man mit einem alten Autoführerschein fahren darf, nur 45 km/h schnell sein dürfen. „Auf den Hauptverkehrsachsen werden sie so zu Verkehrshindernissen und provozieren Unsicherheiten bei den anderen Verkehrsteilnehmern sowie Verdrängungsaktionen“, ärgert sich Verbandspräsident Kurt Sigl, der darin ein echtes und vor allem völlig unnötiges Sicherheitsrisiko sieht. Denn die Lösung für dieses Problem sei ganz einfach: Man müsse nur die Höchstgeschwindigkeit für diese Fahrzeugtypen auf 59 km/h hochsetzen, sodass diese in der Stadt mit den Autos mitthalten könnten.
Mithalten könnten sie damit jedoch nicht nur im Verkehrsstrom, sondern auch ganz generell. Denn sie wären „klimaverbessernd, Parkraum sparend und kostengünstig“, wie Sigl betont. Und damit eine echte Alternative im Bereich der Micromobility. Doch was für die einen die Lösung, wäre für andere ein Problem. So würde die Autolobby äußerst erfolgreich gegen eine entsprechende Gesetzesänderung Sturm laufen, glaubt der BEM-Präsident: „Seit zehn Jahren verhindert inzwischen das Bundesverkehrsministerium schon eine Anpassung.“
Ändern wird sich daran vielleicht erst etwas, wenn auch die großen Hersteller in diesem Segment eine Marktchance sehen. Große Hersteller wie Harley-Davidson. Wer nun glaubt, dass Harley-Davidson wohl kaum jetzt auch noch ihren Kunden Elektromopeds antun würde, könnte ganz schnell eines Besseren belehrt werden. So kündigt Country-Manager Frank Schimossek gegenüber dem VDE dialog an: „Unser Unternehmen möchte zu einem führenden Hersteller im Bereich der zweirädrigen Elektromobilität werden und in naher Zukunft weitere elektrisch angetriebene Zweiräder präsentieren, sodass ein komplettes Portfolio entsteht.“ Eines dieser neuen Modelle für 2021 ist bereits auf der Website angekündigt: Es handelt sich um ein Elektrofahrrad.
MARTIN SCHMITZ-KUHL ist freier Autor aus Frankfurt am Main und Redakteur beim VDE dialog.