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HARLEY DAVIDSON
19.01.2021 ELEKTROMOTORRÄDER Publikation

E(asy)-Rider

Mit Elektromotorrädern könnte endlich wieder Stille in die Städte und Wälder einkehren. Dennoch tun sich Kunden wie Hersteller schwer mit der Elektrifizierung ihrer Feuerstühle. Lange wurde der Markt von einigen wackeren Start-ups dominiert. Doch mit Harley-Davidson und BMW kommen langsam auch die ersten Traditionsunternehmen aus der Deckung. Von Martin Schmitz-Kuhl

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Werbung, zumal in den sozialen Netzwerken, kann auch nach hinten losgehen. So geschehen bei Harley-Davidson, wo man seit einigen Monaten auf Facebook für das neue­ Elektromotorrad Lifewire trommelt. Tausende Biker rea­gierten und kommentierten – die wenigsten freundlich. Schließlich setzt mit Harley-Davidson nicht irgendein Unternehmen auf Elektro, sondern ausgerechnet die Kultmarke aus den Vereinigten Staaten. „Born to be wild“ geht anders, so das einhellige Urteil unter den Traditionalisten: Peter Fonda und Dennis Hopper, die vor 50 Jahren noch im Kultfilm „Easy Rider“ mit ihren „heißen Öfen“ über die Highways Amerikas cruisten, würden sich im Grabe umdrehen!

Solche Einwände kennt auch Frank Schimossek. Der für Deutschland und Österreich zuständige Country Manager ist selbst – wie es sich für einen Harley-Davidson-Mitarbeiter gehört – leidenschaftlicher Motorradfahrer. Im Unterschied zu vielen seiner Kunden ist er aber von dem neuesten Produkt aus seinem Haus regelrecht begeistert. „Man muss so etwas einfach selbst mal ausprobiert haben“, sagt Schimossek. „Ich verspreche Ihnen: Sie steigen mit einem breiten Grinsen im Gesicht von diesem Motorrad ab.“ Denn bei einem Elektrofahrzeug stünde das Drehmoment von der ersten Radumdrehung an voll zur Verfügung, erklärt er. Dies führe zu einer überaus beeindruckenden Beschleunigung und zu einem außergewöhnlich kraftvollen Durchzug. Da könne kein Verbrennermotor mithalten.

CO2-Neutralität ist nun einmal mit Öl und Benzin schwer umsetzbar

NOVUS

René Renger, Gründer und CEO NOVUS GmbH

| Novus

Und trotzdem: Eine Harley ohne den zärtlichen Duft von Benzin und Öl? Ohne das sinnliche Vibrieren zwischen den Schenkeln? Gar ohne das lärmende Brummen, Knattern und Dröhnen? All das ist für viele Biker mit dem Motorradfahren und dem Gefühl von grenzenloser Freiheit verbunden. Doch dieses Freiheitsgefühl erfährt in jüngster Zeit immer häufiger Gegenwind. Denn schließlich wissen wir eigentlich seit Immanuel Kant (1724 – 1804), dass die Freiheit des Einzelnen endet, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Also zum Beispiel die Freiheit, an einer vielbefahrenen Hauptverkehrsstraße zu wohnen und trotzdem nachts schlafen zu können. Oder die Freiheit, am Wochen­ende die Natur zu suchen, um Stille und Erholung zu finden und nicht nur den Sound der Landstraße.

Hinzu kommt, dass sich Europa und die Welt Klimaziele gesetzt haben. Und CO2-Neutralität ist nun einmal mit Öl und Benzin schwer umsetzbar. So langsam scheint sich deshalb die Erkenntnis durchzusetzen, dass Elektromobilität nicht nur auf vier Rädern eine ganz vielversprechende Alternative sein könnte. Am schnellsten war hier mal wieder ein Start-up aus Kalifornien: Wie Tesla bei den Elektro­autos ist Zero Motorcycles bei Elektromotorrädern ein Pionier der ersten Stunde – und verdientermaßen Marktführer. Zahlreiche weitere Start-ups folgten, so zum Beispiel Energica in Italien, Urbet in Spanien oder Super Soco in China.


Ein Elektro-Zweirad muss nicht aussehen wie das Motorrad von einst

Interessant dabei: Genauso wie die ersten Autos aussahen wie Kutschen ohne Pferde, sehen die meisten Elektro­motorräder heute aus wie die alten Verbrenner, nur ohne Auspuff. Erst allmählich werden die Hersteller mutiger und verzichten zum Beispiel auf einen Fake-­Tank. Am konsequentesten ist hier wohl derzeit das deutsche Start-up NOVUS aus Braunschweig. Ihr neues Motorrad soll „ein Kunstwerk auf Rädern“ werden, so Gründer René Renger: „Ein NOVUS soll aussehen, als käme es direkt aus der Zukunft, und der Fahrer muss das Gefühl bekommen, die Hauptrolle in einem Science-Fiction-Film zu spielen.“ Das futuristische, komplett aus Carbon gefertigte Elektromotorrad hat allerdings seinen Preis: Es wird, wenn es Anfang 2022 auf den Markt kommt, rund 50.000 Euro kosten und damit mehr als doppelt so viel wie beispielsweise das Premium­modell von Zero Motorcycles.

Die „Big Player“ zeigen sich in Sachen Elektromobilität schwerfällig

BMW

Das Design des neuen BMW-Modells Definition CE 04 wird sicherlich polarisieren, in jedem Fall ist es aber durchdacht – bis hin zum passenden Outfit, inklusive Sneaker, Jeans und Leucht-Parka. Technische Details und einen Zeitplan für die Einführung als Serienfahrzeug gibt es noch nicht.

| BMW

Neben der Innovationsfreudigkeit und der Dynamik der jungen Unternehmen zeigten sich die „Big Player“ auf dem Motorradmarkt in Sachen Elektromobilität bislang auffällig schwerfällig. Dies gilt insbesondere für die vier großen japanischen Hersteller – Honda, Kawasaki, Suzuki und Yamaha – , die sich inzwischen jedoch für die Entwicklung von Elektromotorrädern zusammengetan haben, um den Vorsprung der globalen Konkurrenz aufzuholen. Doch auch ansonsten ist neben Harley-Davidson das österreichische Unternehmen KTM aus Österreich der einzige Traditions-Anbieter, der ein E-Motorrad in petto hat – einen Elektro-Crosser für das Gelände.

Und der einzige große deutsche Hersteller? Während BMW bei Elektroautos durchaus die Zeichen der Zeit erkannt und in der Entwicklung einen Zahn zugelegt hat, tun sich die Münchner bei Elektromotorrädern nach wie vor schwer. Zwar produzieren sie mit dem C-Evolution schon seit 2014 einen elektrisch betriebenen Großroller in Serie, in das Segment der „richtigen“ Elektromotorräder wagen sie sich jedoch auch mit dem Mitte November präsentierten Nachfolgemodell Definition CE 04 nicht vor (siehe auch nebenstehendes Interview). Das liegt zum einen daran, dass der zu verteilende Kuchen wohl schlichtweg zu klein ist. Gerade einmal 2295 elektrisch betriebene Krafträder wurden nach Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes 2019 neu zugelassen, bei insgesamt 168.307 Neuzulassungen. Das entspricht einem Elektro-Anteil bei Krafträdern von gerade einmal 1,3 Prozent. Zum andern liegt es aber auch an technischen Bedenken. Denn auch auf absehbare Zeit ist wohl kaum damit zu rechnen, dass man mit einem Elektromotorrad stundenlang über die Landstraße cruisen oder bequem die Alpen überqueren kann – Reichweiten über 200 Kilometer sind nur bei den schwersten Maschinen und einer äußerst sparsamen Fahrweise möglich. Hinzu kommt, dass man selbst bei einer Schnellladestation rund eine halbe Stunde einplanen muss, um das Motorrad wieder aufzutanken, sofern man überhaupt eine solche findet, und diese sowohl frei als auch kompatibel ist. Denn es existieren sechs unterschiedliche Steckertypen. Die dafür nötigen Kabel alle mitzuschleppen, ist auf einem Motorrad mehr als nur lästig.

Ganz anders sieht das freilich in einem anderen Kraft­rad-Segment aus, nämlich bei jenen Zweirädern, die ohnehin für den urbanen Raum und damit für kürzere Strecken ausgelegt sind: Laut des europäischen Zweiradhersteller- und Importeursverband ACEM lag der Elektro­anteil bei Mopeds, Mokicks und kleinen „Fünfziger“-Rollern im ersten Halbjahr 2020 immerhin schon bei 22,3 Prozent (Vorjahr 21,2 Prozent). Das ist zweifelsohne angesichts der unbestreitbaren Vorteile, die ein Elektro­zweirad auf der Kurzstrecke hat, schon ganz ordentlich, aber sicherlich auch noch ausbaufähig.

Eine echte Alternative – nicht auf der Langstrecke, aber in der Stadt

Ein großes Problem sieht der Bundesverband eMobilität (BEM) hier vor allem darin, dass solche kleinen Motorräder, die man mit einem alten Autoführerschein fahren darf, nur 45 km/h schnell sein dürfen. „Auf den Hauptverkehrsachsen werden sie so zu Verkehrshindernissen und provozieren Unsicherheiten bei den anderen Verkehrsteilnehmern sowie Verdrängungsaktionen“, ärgert sich Verbandspräsident Kurt Sigl, der darin ein echtes und vor allem völlig unnötiges Sicherheitsrisiko sieht. Denn die Lösung für dieses Problem sei ganz einfach: Man müsse nur die Höchstgeschwindigkeit für diese Fahrzeugtypen auf 59 km/h hochsetzen, sodass diese in der Stadt mit den Autos mitthalten könnten.

Mithalten könnten sie damit jedoch nicht nur im Verkehrsstrom, sondern auch ganz generell. Denn sie wären „klimaverbessernd, Parkraum sparend und kostengünstig“, wie Sigl betont. Und damit eine echte Alternative im Bereich der Micromobility. Doch was für die einen die Lösung, wäre für andere ein Problem. So würde die Auto­lobby äußerst erfolgreich gegen eine entsprechende Gesetzesänderung Sturm laufen, glaubt der BEM-Präsident: „Seit zehn Jahren verhindert inzwischen das Bundesverkehrsministerium schon eine Anpassung.“

Ändern wird sich daran vielleicht erst etwas, wenn auch die großen Hersteller in diesem Segment eine Marktchance sehen. Große Hersteller wie Harley-Davidson. Wer nun glaubt, dass Harley-Davidson wohl kaum jetzt auch noch ihren Kunden Elektromopeds antun würde, könnte ganz schnell eines Besseren belehrt werden. So kündigt Country-Manager Frank Schimossek gegenüber dem VDE dialog an: „Unser Unternehmen möchte zu einem führenden Hersteller im Bereich der zweirädrigen Elektromobilität werden und in naher Zukunft weitere elektrisch angetriebene Zweiräder präsentieren, sodass ein komplettes Portfolio entsteht.“ Eines dieser neuen Modelle für 2021 ist bereits auf der Website angekündigt: Es handelt sich um ein Elektrofahrrad.

MARTIN SCHMITZ-KUHL ist freier Autor aus Frankfurt am Main und Redakteur beim VDE dialog.

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E-Design

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Wenn ein Elektromotorrad nicht so stinkt und klingt wie ein Verbrenner, muss es eigentlich auch nicht so aussehen. Immer mehr Hersteller bemühen sich daher um ein eigenständiges Design, das zum Beispiel auf einen Pseudo-Tank verzichtet:

1. Das Pocket Rocket von SOL Motors in Stuttgart soll bald in Serie gehen

2. Das NOVUS des gleichnamigen Start-ups aus Braunschweig

3. Der Elektro-Cruiser Johammer J1 ist aus österreichischer Produktion

4. Das Elektromoped Model B des niederländischen Unternehmens Brekr

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25.01.2024 TOP

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