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18.01.2021 Arbeitswelten Publikation

Bleibt alles anders

Mobiles Arbeiten, virtuelle Teams, digitale Tools: Im Pandemiejahr hat sich die Arbeitswelt rasant verändert. Der Vorteil: Viele Unternehmen wissen durch das Experimentieren mit neuen Arbeitsformen nun viel genauer, wie sie virtuelle und reale Arbeitsräume nutzen und miteinander kombinieren können.

Von Sarah Sommer

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Arbeiten unter Pandemie-Bedingungen – das hat vielerorts überraschend gut geklappt. Innerhalb kürzester Zeit haben Unternehmen und ihre Mitarbeiter zunächst den geschlossenen Wechsel ins Homeoffice möglich gemacht, um dann im Sommer kreative und flexible Zwischenlösungen zu finden: Neue Hygieneregeln für die Zusammenarbeit im Büro, flexibler Wechsel zwischen Homeoffice, Kunden­terminen und Team-Meetings mit Abstand. Die Arbeitswelt im Jahr 2020 war geprägt von Experimenten und immer wieder neuen Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit. Siemens-Chef Joe Kaeser waren die Höchstleistungen seiner Mitarbeiter in dieser Zeit sogar eine Sonderzahlung wert: Insgesamt 200 Millionen Euro Corona-Prämie zahlte der Konzern zum Jahreswechsel 2020/2021 an die Siemens-Mitarbeiter aus. „Unser aufrichtiger Dank gilt allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die auch jetzt unermüdlich die Extrameile gehen und Siemens mit in der Erfolgs­spur halten“, erklärte Kaeser die Entscheidung.

Hybride Arbeitskonzepte statt Dauer-Homeoffice

Der Siemens-Chef erkennt damit an, was längst nicht nur bei DAX-Konzernen deutlich geworden ist. Die meisten Unternehmen und ihre Mitarbeiter haben den rasanten Wandel der Arbeitswelt im Pandemiejahr gut gemeistert. Schon bald aber werden Unternehmen vor der Frage stehen: Wie geht es nach der Krise weiter, was wird von all den Experimenten bleiben im neuen, „normalen“ Arbeitsalltag? Und da scheiden sich die Geister. „Viele Unternehmen sehen die Krisen-Erfahrungen als Beleg dafür, dass standortunabhängiges Arbeiten in vielen Unternehmensbereichen die Zukunft ist“, sagt Teresa Hertwig. Die Expertin für Remote-Arbeitsmodelle berät Unternehmen, die ihre Arbeitswelten flexibler gestalten wollen. Sie sieht aber auch eine gegenläufige Tendenz: „In manchen Unternehmen gehören Homeoffice und Co vor allem zum Krisenbewältigungsplan. Nach der Pandemie wollen sie schnellstmöglich zum früher gewohnten Präsenzarbeiten zurückkehren.“

Beide Fraktionen haben gute Gründe für ihre Haltung, sagt Hertwig. Denn klar ist: Auch wenn digitale Lösungen in der Krise gut funktioniert haben, „heißt das noch lange nicht, dass aus diesen Notlösungen nun ohne Weiteres ein erfolgreiches New Normal der Zusammenarbeit wird.“ Aus einem „Hauptsache, alles läuft irgendwie weiter“ muss eine zukunftsfähige neue Arbeitswelt entstehen. „In den allermeisten Fällen wird das bedeuten: Digitale und analoge Arbeitsräume müssen zu einer hybriden Arbeitswelt verknüpft werden, die zu Bedürfnissen und Kultur des einzelnen Unternehmens passt“, sagt die Expertin. Auf dem Weg dahin gibt es noch viel zu tun.

Bei Siemens zum Beispiel durften Mitarbeiter schon vor Corona ein Fünftel ihrer Arbeit mobil erledigen – also im Homeoffice oder von unterwegs. Seit Beginn der Pandemie arbeiten weltweit nun im Schnitt 130.000 der insgesamt 295.000 Mitarbeiter ständig im Homeoffice. Die Erfahrungen mit dem mobilen Arbeiten waren so positiv, dass der Konzern es nach der Pandemie „als Kernelement der neuen Normalität dauerhaft als Standard etablieren“ will, erklärt eine Siemens-Sprecherin gegenüber dem VDE dialog, und weiter: „Wichtig ist, dass sich mobiles Arbeiten dabei ausdrücklich nicht nur auf das Homeoffice bezieht“, erklärt die Sprecherin die Strategie. Präsenzzeiten im Büro sollen das mobile Arbeiten sinnvoll ergänzen, sodass sich ein „hybrides Arbeitskonzept“ ergibt.

Etablierung flexibler und mobiler Arbeitskulturen

„Mobiles Arbeiten“ oder „standort­ungebundenes Arbeiten“ sind die Schlagwörter, die sich statt Homeoffice durchsetzen. Das liegt zum einen daran, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen „echten“ Heimarbeitsplatz für alle Mitarbeiter nur mit großem Aufwand und hohen Kosten umzusetzen sind. Vor allem aber hängt es damit zusammen, dass dem Homeoffice eben immer noch das Image des wenig produktiven „Zuhausebleibens“ anhängt. „Die Arbeitszeit dort wurde vor der Pandemie oft nicht als gleichwertig angesehen“, sagt Remote-Expertin Hertwig. „Erst in einer Kultur, in der flexibles, mobiles Arbeiten an der Tagesordnung ist, verschwindet dieses Denken.“ Viele Unternehmen machen sich jetzt auf den Weg hin zu einer solchen Kultur.

Auch bei mittelständischen Unternehmen wie dem Elektrotechnikhersteller Weidmüller sieht man das viel diskutierte Homeoffice dabei nur als Zwischenschritt zu einer digitaleren und flexibleren Arbeitswelt. Sybille Hilker, Marketing-Chefin bei Weidmüller, berichtet, dass sich in den vergangenen Monaten die jeweiligen Vor- und Nachteile der digitalen und analogen Arbeitswelten deutlich gezeigt haben: Interne und externe Meetings konnten erfolgreich durch virtuelle Teilnahme-Formate ergänzt werden, Mitarbeiter waren im Homeoffice sehr produktiv. Da Weidmüller global aktiv ist, waren Skype-Telefonate und Videokonferenzen für viele Mitarbeiter ohnehin nichts Neues, berichtet Hilker.

Standortungebundenes Arbeiten umfasst aber mehr als nur Zoom-Calls. Weidmüller nutzt die Pandemiezeit zum Beispiel auch, um mit neuen Technologien für die virtuelle Zusammenarbeit zu experimentieren: So kommen etwa digitale Fernwartungstechnologien für Maschinen nun häufiger zum Einsatz. Und Mitarbeiter aus der Firmenzentrale in Ostwestfalen unterstützen mithilfe von Virtual-Reality-Brillen Kollegen in anderen Ländern bei der Montage oder Reparatur von Produktionsanlagen. Gleichzeitig wurde aber spürbar, dass persönliche Gespräche und Kontakte wichtig bleiben, „um sich weiter im Team zu verstehen“, sagt Hilker. „Wir wollen daher einen guten Mix von Präsenz im Büro und Mobil­arbeit leben.“

Noch bestimmt das Virus, wer wann an welchem Ort arbeitet, wie Teams miteinander und mit Kunden kollaborieren. Ob Konzern oder Mittelständler, Homeoffice-Gegner oder Mobilarbeits-Fan: Auf die Freiheit, wieder selbst darüber zu entscheiden, wann wir wo am besten arbeiten können und wollen, darauf freuen sich alle.

SARAH SOMMER ist freie Wirtschaftsjournalistin im Team der Wirtschaftsredaktion wortwert mit Sitz in Köln.