Für die deutsche Gründerszene war es eine sensationelle Nachricht. Rasa Technologies, ein in Berlin gegründetes Start-up für Künstliche Intelligenz und Sprachassistenten, bekam in einer Finanzierungsrunde im Juni 26 Millionen Dollar von Andreessen Horowitz – der kalifornischen Risikogesellschaft des legendären Internet-Pioniers Marc Andreessen. In der Branche kommt das einem Ritterschlag gleich.
Eigentlich wollte Rasa in Berlin bleiben. Aber vor einem Jahr, als die junge Firma schon Millionen von der amerikanischen Venture-Capital-Gesellschaft (VC) Accel erhalten hatte, zog Rasa an die amerikanische Westküste, nach San Francisco. Der Standort Berlin wird allerdings nicht aufgegeben. „Grundsätzlich bin ich zwar immer noch davon überzeugt, dass man in Berlin eine große Firma aufbauen kann“, sagte Mitgründer Alex Weidauer damals der „Gründerszene“. Aber es gebe weiterhin Unterschiede. „Im Silicon Valley spricht man ganz anders über die Skalierung von Unternehmen, das beeindruckt mich immer noch.“ Zudem sei das „Tiefenverständnis“ für das Produkt von Rasa bei den Valley-VCs höher, findet Weidauer.
Die Coronavirus-Pandemie hat das Silicon Valley jedoch verändert. Homeoffice ist die Regel und das Silicon Valley gilt zunehmend eher als eine Geisteshaltung denn als physischer Ort. Dieser Gründergeist hat nichts von seiner Faszination für deutsche Gründer verloren. Aber in Zeiten pandemiebedingter Kontakt- und Reisebeschränkungen ist es schwieriger geworden, direkte Verbindungen zu knüpfen. „Keiner geht mehr zu Pitch Nights“, sagt Dietmar Rieg, der Geschäftsführer der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer in New York und Initiator des Start-up-Programms STEP USA. Diese Abende, auf denen Gründer ihre Geschäftsideen vor Investoren präsentieren, sind Teil dieses Programms, das junge deutsche Unternehmer nach New York bringt, die an einer Expansion in den Vereinigten Staaten interessiert sind. Die jüngste Runde fand Anfang September virtuell statt.
Das Silicon Valley blickt nach Europa
Gleichzeitig beginnen sich Amerikaner stärker für europäische und deutsche Start-ups zu interessieren – nicht nur virtuell, sondern vor Ort. Der deutsche Investor Christian Angermayer legt gerade einen 125 Millionen Euro schweren Fonds namens Elevat3 für Unternehmen in der Wachstumsphase auf. Zu den Investoren und strategischen Partnern gehört der US-Investor Peter Thiel, der zu den Gründern des Zahlungsdienstleisters PayPal und zu den ersten Investoren von Facebook gehörte. Angermayer und Thiel haben sowohl in den USA als auch in Deutschland schon erfolgreich in mehr als ein Dutzend Tech-Start-ups investiert, darunter das mittlerweile mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertete Fintech Deposit Solutions. Der Schwerpunkt des neuen Fonds: Künstliche Intelligenz, Raumfahrttechnologie, Internetsicherheit, Biotech, Blockchain und Fintech, also Themen, die auch im Silicon Valley eine große Rolle spielen.
Auch die große Silicon-Valley-Firma Sequoia, ein früher Investor bei heutigen Technologiegiganten wie Apple, Google oder eben PayPal, hat Interesse an Europa. Trotz Brexit und Corona hat Sequoia im September ein Büro in London eröffnet, das von der aus Rumänien stammenden Luciana Lixandru geleitet wird. Sequoia warb Lixandru, die die in Bukarest gegründete Software-Firma UiPath entdeckt hatte, von Accel ab. Als zweiten Partner hat Sequoia George Robson angeheuert, der zuletzt Produktchef beim britischen Fintech Revolut war. „Es gibt in Europa mehr Chancen und Innovation als je zuvor“, twitterte Robson. Nach Angaben der VC-Gesellschaft Atomico war im vergangenen Jahr schon bei einem Fünftel der Finanzierungsrunden in Europa ein amerikanischer Investor dabei – fast dreimal so viel wie im Jahr zuvor und mehr als sechsmal so viel wie im Jahr 2013.
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Der Deutsche Albert Wenger, Partner bei der New Yorker Risikokapitalgesellschaft Union Square Ventures, führt das offenbare Interesse der Amerikaner auf die gestiegene Qualität der Start-ups in Europa zurück. „Europa ist in vielerlei Hinsicht erwachsener geworden“, sagt Wenger. Eine neue Generation von Unternehmern sei entstanden, die regionalen Risikokapitalgeber seien größer geworden und es gebe europaweit vielversprechende Start-ups wie Clue, eine Berliner Gesundheits-App für Frauen, oder die Berliner Musikplattform SoundCloud, die beide im Portfolio von Union Square Ventures sind.
Die Talente, die trotzdem von Amerika träumen, könnten zudem von US-Präsident Trumps im Juni per Dekret verfügter Aussetzung von Arbeitsvisa für hochqualifizierte Fachkräfte abgeschreckt werden. Europäische Start-ups können die Tech-Spezialisten gut gebrauchen. Nach Trumps Verfügung setzte Jean-Charles Samuelian-Werve, Gründer des digitalen französischen Krankenversicherers Alan, umgehend einen Tweet ab. „Frankreich hat ein tolles Visa-Programm. Pingt mich an, um zu uns zu kommen.“
NORBERT KULS ist freier Wirtschaftskorrespondent in New York und schreibt für die Börsen-Zeitung.