Joy Galberth ist stolz auf ihr neues Büro. Sie hat zwei große Bildschirme, einen leistungsstarken Desktop und eine schnelle Internetverbindung. Eigentlich alles ganz normal. Die einzige Besonderheit: Die Bildschirme stehen in ihrem Wohnzimmer in Burke im Norden des Bundesstaats Virginia, einem Vorort der amerikanischen Hauptstadt Washington. Homeoffice war für die frühere Krankenschwester, die jetzt Managerin bei einem großen Krankenhausverbund ist, kürzlich noch ein Fremdwort. Aber seit sich die Corona-Pandemie global ausbreitet, ist mit der täglichen Autofahrt an ihren früheren Arbeitsplatz Schluss.
Vier Autostunden nördlich sitzt auch ihr 14-jähriger Neffe in New York zu Hause vor einem neuen Bildschirm. Es sind Ferien und über den Schirm flimmern jetzt vor allem Videospiele. Bis zum Ende des Schuljahres liefen darauf noch Klassen für Englisch und Geschichte – wegen der Pandemie und der geschlossenen Schule auf Zoom. Einen Drucker hat Galberths Neffe seit Kurzem auch.
Für den Ökonomen Shawn DuBravac ist das eine typische Entwicklung der vergangenen Monate. „Laptops, Webkameras, Computermonitore, also Geräte, mit denen man das Homeoffice ausstatten muss, wurden stark nachgefragt. Das gilt auch für Drucker, auch wenn sich der Trend eigentlich davon wegbewegt. Aber wenn Leute auf einmal ihre Kinder zu Hause unterrichten müssen, drucken sie schon mal Sachen von der Schule aus.“ DuBravac beachtet diese Trends so genau, weil er Chefökonom des IPC ist, der amerikanische Verband der Elektronikindustrie.
Trotz dieser Erfolgsgeschichten bei der Nachfrage nach Verbraucherelektronik wurde die amerikanische Elektrobranche von der Ausbreitung des Coronavirus und des darauf folgenden Wirtschaftsabschwungs dennoch hart getroffen – allerdings nicht ganz so schlimm wie andere Wirtschaftszweige. Kein Industriezweig konnte sich von den dramatischen wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie abkoppeln. „Die Pandemie hat sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit in alle Teile der Welt ausgebreitet“, konstatierten die Volkswirte der Weltbank im Juni. Angesichts schrumpfender Volkswirtschaften in Industrieländern, sehr niedrigem Wachstum in China und heftigem Gegenwind in den Entwicklungsländern rechnet die Weltbank für 2020 mit einem im Vergleich zum Vorjahr um 5,2 Prozent nachlassenden Weltwirtschaftswachstum.
In alarmierendem Tempo zur tiefsten globalen Rezession
Regierungen hatten eine Reihe von Maßnahmen zur Eindämmung ergriffen, Schulen und nicht lebensnotwendige Geschäfte wurden geschlossen, Reisen eingeschränkt. Diese Maßnahmen haben Konsum und Investitionen stark gedrosselt. Die Arbeitslosigkeit kletterte und es kam zu Verwerfungen an Finanz- und Rohstoffmärkten sowie zu Unterbrechungen im weltweiten Handel und bei Lieferketten. Die Pandemie habe in „alarmierendem Tempo“ zur tiefsten globalen Rezession seit dem zweiten Weltkrieg geführt, hieß es bei der Weltbank. Notenbanken haben rasch die Leitzinsen gesenkt und kaufen in bisher unbekanntem Ausmaß Staatsanleihen und Unternehmenspapiere, um die langfristigen Zinsen niedrig zu halten. Regierungen verabschiedeten Konjunkturprogramme, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu mildern. In den USA gab es zusätzliches Arbeitslosengeld und Hilfskredite für mittelständische Unternehmen. Davon profitierte auch die Elektronikindustrie. Trotzdem: Als die Aufträge im März und April austrockneten, mussten viele Hersteller ihre Mitarbeiter in den Zwangsurlaub schicken. Fast drei Viertel der Elektroproduzenten hatten nach einer Umfrage des Branchenverbandes IPC Kredite unter dem sogenannten Payroll Protection Program beantragt, um weiterhin Löhne zahlen zu können. In Deutschland gab es Kurzarbeit.
In den Vereinigten Staaten standen die Produzenten im April vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen, darunter unklare oder veränderte Betriebsbedingungen, Änderungen bei den Lieferketten und verunsicherte Mitarbeiter. Die größte Sorge war nach der IPC-Umfrage aber eine nachlassende Nachfrage. Dennoch: Wie im Verbrauchersegment gab es auch bei Industriegütern Bereiche, die von der Pandemie profitierten. „Die Medizintechnik gehörte ganz zu Anfang der Pandemie zu den Gewinnern, weil die Nachfrage mit steigender Zahl von Krankenhausaufenthalten stieg“, sagt Ökonom DuBravac. Infrarot-Thermometer, die schnell Fieber als potenzielles Anzeichen für eine Virusinfektion erkennen, wurden plötzlich zum gefragten Produkt. Wegen der Reiseeinschränkungen allerdings hart traf es Elektrozulieferer der Luftfahrtbranche. Auch Unternehmen, die an Autohersteller liefern, deren Fabriken zeitweilig stillgelegt waren, meldeten Umsatzeinbußen.
Insgesamt blieb die Elektronikbranche innerhalb des verarbeitenden Gewerbes in den USA aber relativ robust. „Es gab im April einen Rückschlag, aber das war nichts im Vergleich zur Automobilindustrie“, sagt DuBravac. Alle Branchen haben sich inzwischen wieder von den Rückschlägen erholt, aber noch nicht wieder das Vorkrisenniveau erreicht. Die Kapazitätsauslastung der Autoindustrie lag im Juni noch um rund ein Viertel unter dem Niveau vor Ausbruch der Pandemie. Die Kapazitätsauslastung für Hersteller von Computern und elektronischen Produkten lag zuletzt aber schon wieder bei 71 Prozent und damit nur noch 4 Prozentpunkte unter Vorkrisenniveau. Die Branche hat sich also nahezu vollständig erholt. Im Juni waren auch rund ein Drittel der im April und Mai verloren gegangenen Stellen wieder neu besetzt. Eine große Anzahl US-Elektronikproduzenten liefern an Industriekonzerne und Rüstungsunternehmen. „Diese Branchen gelten im Gegensatz zur Autoindustrie als essenziell und haben ihren Betrieb weitgehend aufrechterhalten, auch wenn sich die Produktion wegen der Infektionsschutzmaßnahmen verändert hatte“, sagt DuBravac.
»Laptops, Webkameras, Computermonitore, also Geräte, mit denen man das Homeoffice ausstatten muss, wurden stark nachgefragt. Das gilt auch für Drucker, auch wenn sich der Trend eigentlich davon wegbewegt.«
Shawn DuBravac, Ökonom
Die verschiedenen Regionen der Welt wurden zeitlich gestaffelt von der Pandemie getroffen. Auf China folgten Europa und schließlich die USA. „Für 2020 liegt das Schlimmste hinter uns“, glaubt DuBravac. Die Arbeitslosenquote ist mit zuletzt 11 Prozent jedoch weiterhin hoch. Und: Die Erholung ist mit Fragezeichen behaftet, weil sich das Virus in den Vereinigten Staaten wieder auszubreiten scheint. Das könnte wieder zu einem Lockdown der Wirtschaft führen und die wegen des generell schwachen wirtschaftlichen Umfelds zurückhaltenden Unternehmen weiter verunsichern. Die Elektronikbranche ist in Gefahr, weil die Infektionen zuletzt in Bundesstaaten wie Kalifornien und Texas – Zentren der amerikanischen Elektronikindustrie – wieder zunahmen.